Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Hand sich ragt, die werthe Magd, hierauf sie
sagt:

"Gut Wächter laß dein Schimpfen!
"Um alle Welt, den Tag nicht meld, eh daß das Feld
"In kühlem Thau thut glimmen.
"Die Zeit ist klein, daß ich und mein
"Geselle gut, hie han geruht
"In ehrenreicher Wonne."
Der Wächter sprach: "Frau thu zur Sach, denn
"Feld und Dach

"Hat kühler Thau umgeben,
"Seit du nun hast ein fremden Gast, so hab nicht Rast,
"Heiß' ihn von dannen streben.
"Ich seh manch Thier in dem Revier
"Von Hohl zu Hohl ja schlüpfen wohl,
"Das zeiget mir die Sonne."
Erst ward zur Stund, uns Jammer kund im Freu-
denbund,

Da wir den Tag ansahen,
Wohl Mund an Mund, gar süß verwundt im Kuß ge-
sund,
Und liebliches Umfahen,
Ward Liebes-Scherz in Scheidens-Schmerz,
Gar treu getheilt und schnell ereilt.
Ach edle Frucht du weiblich Zucht, hin auf die
Flucht

Muß ich mich leider kehren,
Zur Hand ſich ragt, die werthe Magd, hierauf ſie
ſagt:

„Gut Waͤchter laß dein Schimpfen!
„Um alle Welt, den Tag nicht meld, eh daß das Feld
„In kuͤhlem Thau thut glimmen.
„Die Zeit iſt klein, daß ich und mein
„Geſelle gut, hie han geruht
„In ehrenreicher Wonne.“
Der Waͤchter ſprach: „Frau thu zur Sach, denn
„Feld und Dach

„Hat kuͤhler Thau umgeben,
„Seit du nun haſt ein fremden Gaſt, ſo hab nicht Raſt,
„Heiß' ihn von dannen ſtreben.
„Ich ſeh manch Thier in dem Revier
„Von Hohl zu Hohl ja ſchluͤpfen wohl,
„Das zeiget mir die Sonne.“
Erſt ward zur Stund, uns Jammer kund im Freu-
denbund,

Da wir den Tag anſahen,
Wohl Mund an Mund, gar ſuͤß verwundt im Kuß ge-
ſund,
Und liebliches Umfahen,
Ward Liebes-Scherz in Scheidens-Schmerz,
Gar treu getheilt und ſchnell ereilt.
Ach edle Frucht du weiblich Zucht, hin auf die
Flucht

Muß ich mich leider kehren,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0233" n="224"/>
            <lg n="4">
              <l>Zur Hand &#x017F;ich ragt, die werthe Magd, hierauf &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;agt:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Gut Wa&#x0364;chter laß dein Schimpfen!</l><lb/>
              <l>&#x201E;Um alle Welt, den Tag nicht meld, eh daß das Feld</l><lb/>
              <l>&#x201E;In ku&#x0364;hlem Thau thut glimmen.</l><lb/>
              <l>&#x201E;Die Zeit i&#x017F;t klein, daß ich und mein</l><lb/>
              <l>&#x201E;Ge&#x017F;elle gut, hie han geruht</l><lb/>
              <l>&#x201E;In ehrenreicher Wonne.&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Der Wa&#x0364;chter &#x017F;prach: &#x201E;Frau thu zur Sach, denn<lb/>
&#x201E;Feld und Dach</l><lb/>
              <l>&#x201E;Hat ku&#x0364;hler Thau umgeben,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Seit du nun ha&#x017F;t ein fremden Ga&#x017F;t, &#x017F;o hab nicht Ra&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Heiß' ihn von dannen &#x017F;treben.</l><lb/>
              <l>&#x201E;Ich &#x017F;eh manch Thier in dem Revier</l><lb/>
              <l>&#x201E;Von Hohl zu Hohl ja &#x017F;chlu&#x0364;pfen wohl,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Das zeiget mir die Sonne.&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Er&#x017F;t ward zur Stund, uns Jammer kund im Freu-<lb/>
denbund,</l><lb/>
              <l>Da wir den Tag an&#x017F;ahen,</l><lb/>
              <l>Wohl Mund an Mund, gar &#x017F;u&#x0364;ß verwundt im Kuß ge-</l><lb/>
              <l>&#x017F;und,</l><lb/>
              <l>Und liebliches Umfahen,</l><lb/>
              <l>Ward Liebes-Scherz in Scheidens-Schmerz,</l><lb/>
              <l>Gar treu getheilt und &#x017F;chnell ereilt.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>Ach edle Frucht du weiblich Zucht, hin auf die<lb/>
Flucht</l><lb/>
              <l>Muß ich mich leider kehren,</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0233] Zur Hand ſich ragt, die werthe Magd, hierauf ſie ſagt: „Gut Waͤchter laß dein Schimpfen! „Um alle Welt, den Tag nicht meld, eh daß das Feld „In kuͤhlem Thau thut glimmen. „Die Zeit iſt klein, daß ich und mein „Geſelle gut, hie han geruht „In ehrenreicher Wonne.“ Der Waͤchter ſprach: „Frau thu zur Sach, denn „Feld und Dach „Hat kuͤhler Thau umgeben, „Seit du nun haſt ein fremden Gaſt, ſo hab nicht Raſt, „Heiß' ihn von dannen ſtreben. „Ich ſeh manch Thier in dem Revier „Von Hohl zu Hohl ja ſchluͤpfen wohl, „Das zeiget mir die Sonne.“ Erſt ward zur Stund, uns Jammer kund im Freu- denbund, Da wir den Tag anſahen, Wohl Mund an Mund, gar ſuͤß verwundt im Kuß ge- ſund, Und liebliches Umfahen, Ward Liebes-Scherz in Scheidens-Schmerz, Gar treu getheilt und ſchnell ereilt. Ach edle Frucht du weiblich Zucht, hin auf die Flucht Muß ich mich leider kehren,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/233
Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/233>, abgerufen am 09.10.2024.