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Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875.

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Witwer ertragen mußte. Sein Johann, bekannt als der tapfere
Hans, mußte als Soldat in den Krieg ziehen, und kam, wie
so viele andere, nicht mehr heim. Ein Kamerad aus dem Dorf war
dabei, wie ihn eine feindliche Kugel augenblicklich todt niederstreckte.

Dieser Kamerad brachte später dem Vater zum Andenken
des Hans silbernes Kreuzchen, das er auf der Brust trug, und
einen angefangenen Brief in die Heimath, den man in seiner
Tasche fand, ach, und dieser Augenblick hätte den Adler fast
selber das Leben gekostet. Besinnungslos fiel er zu Boden,
man trug ihn ins Bett, wochenlang kehrte nur auf Minuten
die Besinnung wieder, immer redete er im Fieber von Krieg,
Blut und Leichen, und wie er mitten unter diesen grausigen
Dingen seinen Hans suchen müsse. Endlich siegte doch das
Leben über den Tod, und der Adler fing an zu genesen. Aber
ach! ein Anderer stand auf als sich niederlegte. Sein Haar
war grau, seine kräftige, schöne Gestalt abgemagert und gebeugt,
und als er wieder zum ersten Mal mit müdem Schritt zum
sonntäglichen Hochamt den Hügel hinauf stieg, da sagte so
Mancher: "Der Adler, der ist um zwanzig Jahre älter gewor-
den. Ein Glück ist's, daß er seine brave Resl noch hat, er
wäre sonst meiner Treu' bei all seinem vielen Geld der Aller-
ärmste unter uns." Als er dann nach dem Gottesdienst wieder
in sein Haus kam, holte er seines lieben Hans Brustkreuz und
den Brief hervor und hängte Beides unter dem Kruzifix an
einem Nagel auf, indem seine Thränen wieder auf's Neue
niederflossen und die silbernen Knöpfe an der rothen Feiertags-
weste trübten. O, wie viele Vaterunser hat der Adler seit-
dem vor dem Kruzifix mehr als in früheren Jahren gebetet!

Um den Blick aber jetzt auf etwas Freudigeres zu
lenken, -- wer ist denn jene brave Resl, welche den armen,
vernichteten Mann für so viel Leid entschädigen soll? Es ist
leicht zu errathen, daß die Resl des Adlerbauers noch einziges
Kind ist, und was für ein Schatz! sein Kleinod, das allein ver-
schont blieb unter den vielen Schicksalsschlägen, die sein Haus
trafen, und nun so lieblich zur Jungfrau erblüht ist, wie eine
Rose im frischen Morgenthau. Daß die Resl das schönste

Witwer ertragen mußte. Sein Johann, bekannt als der tapfere
Hans, mußte als Soldat in den Krieg ziehen, und kam, wie
ſo viele andere, nicht mehr heim. Ein Kamerad aus dem Dorf war
dabei, wie ihn eine feindliche Kugel augenblicklich todt niederſtreckte.

Dieſer Kamerad brachte ſpäter dem Vater zum Andenken
des Hans ſilbernes Kreuzchen, das er auf der Bruſt trug, und
einen angefangenen Brief in die Heimath, den man in ſeiner
Taſche fand, ach, und dieſer Augenblick hätte den Adler faſt
ſelber das Leben gekoſtet. Beſinnungslos fiel er zu Boden,
man trug ihn ins Bett, wochenlang kehrte nur auf Minuten
die Beſinnung wieder, immer redete er im Fieber von Krieg,
Blut und Leichen, und wie er mitten unter dieſen grauſigen
Dingen ſeinen Hans ſuchen müſſe. Endlich ſiegte doch das
Leben über den Tod, und der Adler fing an zu geneſen. Aber
ach! ein Anderer ſtand auf als ſich niederlegte. Sein Haar
war grau, ſeine kräftige, ſchöne Geſtalt abgemagert und gebeugt,
und als er wieder zum erſten Mal mit müdem Schritt zum
ſonntäglichen Hochamt den Hügel hinauf ſtieg, da ſagte ſo
Mancher: „Der Adler, der iſt um zwanzig Jahre älter gewor-
den. Ein Glück iſt’s, daß er ſeine brave Resl noch hat, er
wäre ſonſt meiner Treu’ bei all ſeinem vielen Geld der Aller-
ärmſte unter uns.“ Als er dann nach dem Gottesdienſt wieder
in ſein Haus kam, holte er ſeines lieben Hans Bruſtkreuz und
den Brief hervor und hängte Beides unter dem Kruzifix an
einem Nagel auf, indem ſeine Thränen wieder auf’s Neue
niederfloſſen und die ſilbernen Knöpfe an der rothen Feiertags-
weſte trübten. O, wie viele Vaterunſer hat der Adler ſeit-
dem vor dem Kruzifix mehr als in früheren Jahren gebetet!

Um den Blick aber jetzt auf etwas Freudigeres zu
lenken, — wer iſt denn jene brave Resl, welche den armen,
vernichteten Mann für ſo viel Leid entſchädigen ſoll? Es iſt
leicht zu errathen, daß die Resl des Adlerbauers noch einziges
Kind iſt, und was für ein Schatz! ſein Kleinod, das allein ver-
ſchont blieb unter den vielen Schickſalsſchlägen, die ſein Haus
trafen, und nun ſo lieblich zur Jungfrau erblüht iſt, wie eine
Roſe im friſchen Morgenthau. Daß die Resl das ſchönſte

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Zitationshilfe: Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875/11>, abgerufen am 28.03.2024.