Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

Bild:
<< vorherige Seite

Heinrich Hart.

Und eurer Seele lausch' ich, wie sie reift,
Wie hoch und höher ihre Sehnsucht schweift.
Ein Seher ist euch Noth, ein Sonnenaar,
Der Botschaft bringt, daß eure Sehusucht wahr,
Daß ihr ein Ganzes seid, Samen eines Weibes,
Körper eines Blutes, Glieder eines Leibes,
Daß wie aus Welten Gott erwächst, so ihr
Der Menschheit Nahrung seid, und lebt in ihr.
Doch ach bin ich's, bin ich's, der zu den Sternen
Das Auge heben darf, den Sonnenfernen!
Zu Dir Altvater, dessen Wort so klar
Wie Meeresfluth, wenn sie den Tag gebar,
Zu Dir, Du strahlend Licht von Tus, Du Künder
Des Erdenschicksals und Du Herzergründer,
Zu Dir, Du frommer Schwan von Mantua,
Zu Dir, Du Adler, der ins Antlitz sah
Der Ewigkeit, gerichtet und doch Richter,
Zu Dir, der blind noch Held, Du Stolzvernichter,
Zu Dir Walddrossel, deren Stimme voll
Und tief und süß wie Volkers Lied einst scholl,
Zu Euch, ihr heiligen Sänger, Du des Gral,
Du des Erlösers und der Kreuzesqual!
Weh mir, wenn ich nicht würdig bin, wenn nicht
Stahlhart mein Hirn, mein Herz wie Sonnenlicht,
Wenn lauter nicht wie Morgenthau mein Blut,
Mein Geist nicht wie auf Adlersschwingen ruht.



Wer hält mich aufrecht und wer gibt mir Muth,
Wer legt auf meine Zunge Flammengluth?
Mit tausend Blüthen und mit tausend Stimmen
Lockt mich Natur und tausend Sterne glimmen,
Aus allen Tiefen klingt es dumpf und wirr --
Wer führt mich aufwärts, wenn mein Fuß geht irr?
Dich Gotteskraft, die Niemand nennen kann,
Endlos erzeugende, Dich ruf' ich an.
Du bist der Schooß, der rings die Welt geboren,
Du bist des Baumes Saft, das Blut der Poren,
Aus Dir entquillt der Tag, aus Dir die Nacht,
Du bist der Donner, Du des Frühlings Pracht,
12

Heinrich Hart.

Und eurer Seele lauſch’ ich, wie ſie reift,
Wie hoch und höher ihre Sehnſucht ſchweift.
Ein Seher iſt euch Noth, ein Sonnenaar,
Der Botſchaft bringt, daß eure Sehuſucht wahr,
Daß ihr ein Ganzes ſeid, Samen eines Weibes,
Körper eines Blutes, Glieder eines Leibes,
Daß wie aus Welten Gott erwächſt, ſo ihr
Der Menſchheit Nahrung ſeid, und lebt in ihr.
Doch ach bin ich’s, bin ich’s, der zu den Sternen
Das Auge heben darf, den Sonnenfernen!
Zu Dir Altvater, deſſen Wort ſo klar
Wie Meeresfluth, wenn ſie den Tag gebar,
Zu Dir, Du ſtrahlend Licht von Tus, Du Künder
Des Erdenſchickſals und Du Herzergründer,
Zu Dir, Du frommer Schwan von Mantua,
Zu Dir, Du Adler, der ins Antlitz ſah
Der Ewigkeit, gerichtet und doch Richter,
Zu Dir, der blind noch Held, Du Stolzvernichter,
Zu Dir Walddroſſel, deren Stimme voll
Und tief und ſüß wie Volkers Lied einſt ſcholl,
Zu Euch, ihr heiligen Sänger, Du des Gral,
Du des Erlöſers und der Kreuzesqual!
Weh mir, wenn ich nicht würdig bin, wenn nicht
Stahlhart mein Hirn, mein Herz wie Sonnenlicht,
Wenn lauter nicht wie Morgenthau mein Blut,
Mein Geiſt nicht wie auf Adlersſchwingen ruht.



Wer hält mich aufrecht und wer gibt mir Muth,
Wer legt auf meine Zunge Flammengluth?
Mit tauſend Blüthen und mit tauſend Stimmen
Lockt mich Natur und tauſend Sterne glimmen,
Aus allen Tiefen klingt es dumpf und wirr —
Wer führt mich aufwärts, wenn mein Fuß geht irr?
Dich Gotteskraft, die Niemand nennen kann,
Endlos erzeugende, Dich ruf’ ich an.
Du biſt der Schooß, der rings die Welt geboren,
Du biſt des Baumes Saft, das Blut der Poren,
Aus Dir entquillt der Tag, aus Dir die Nacht,
Du biſt der Donner, Du des Frühlings Pracht,
12
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="5">
              <pb facs="#f0195" n="177"/>
              <fw place="top" type="header">Heinrich Hart.</fw><lb/>
              <l>Und eurer Seele lau&#x017F;ch&#x2019; ich, wie &#x017F;ie reift,</l><lb/>
              <l>Wie hoch und höher ihre Sehn&#x017F;ucht &#x017F;chweift.</l><lb/>
              <l>Ein Seher i&#x017F;t euch Noth, ein Sonnenaar,</l><lb/>
              <l>Der Bot&#x017F;chaft bringt, daß eure Sehu&#x017F;ucht wahr,</l><lb/>
              <l>Daß ihr ein Ganzes &#x017F;eid, Samen eines Weibes,</l><lb/>
              <l>Körper eines Blutes, Glieder eines Leibes,</l><lb/>
              <l>Daß wie aus Welten Gott erwäch&#x017F;t, &#x017F;o ihr</l><lb/>
              <l>Der Men&#x017F;chheit Nahrung &#x017F;eid, und lebt in ihr.</l><lb/>
              <l>Doch ach bin ich&#x2019;s, bin ich&#x2019;s, der zu den Sternen</l><lb/>
              <l>Das Auge heben darf, den Sonnenfernen!</l><lb/>
              <l>Zu Dir Altvater, de&#x017F;&#x017F;en Wort &#x017F;o klar</l><lb/>
              <l>Wie Meeresfluth, wenn &#x017F;ie den Tag gebar,</l><lb/>
              <l>Zu Dir, Du &#x017F;trahlend Licht von Tus, Du Künder</l><lb/>
              <l>Des Erden&#x017F;chick&#x017F;als und Du Herzergründer,</l><lb/>
              <l>Zu Dir, Du frommer Schwan von Mantua,</l><lb/>
              <l>Zu Dir, Du Adler, der ins Antlitz &#x017F;ah</l><lb/>
              <l>Der Ewigkeit, gerichtet und doch Richter,</l><lb/>
              <l>Zu Dir, der blind noch Held, Du Stolzvernichter,</l><lb/>
              <l>Zu Dir Walddro&#x017F;&#x017F;el, deren Stimme voll</l><lb/>
              <l>Und tief und &#x017F;üß wie Volkers Lied ein&#x017F;t &#x017F;choll,</l><lb/>
              <l>Zu Euch, ihr heiligen Sänger, Du des Gral,</l><lb/>
              <l>Du des Erlö&#x017F;ers und der Kreuzesqual!</l><lb/>
              <l>Weh mir, wenn ich nicht würdig bin, wenn nicht</l><lb/>
              <l>Stahlhart mein Hirn, mein Herz wie Sonnenlicht,</l><lb/>
              <l>Wenn lauter nicht wie Morgenthau mein Blut,</l><lb/>
              <l>Mein Gei&#x017F;t nicht wie auf Adlers&#x017F;chwingen ruht.</l>
            </lg><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <lg n="6">
              <l>Wer hält mich aufrecht und wer gibt mir Muth,</l><lb/>
              <l>Wer legt auf meine Zunge Flammengluth?</l><lb/>
              <l>Mit tau&#x017F;end Blüthen und mit tau&#x017F;end Stimmen</l><lb/>
              <l>Lockt mich Natur und tau&#x017F;end Sterne glimmen,</l><lb/>
              <l>Aus allen Tiefen klingt es dumpf und wirr &#x2014;</l><lb/>
              <l>Wer führt mich aufwärts, wenn mein Fuß geht irr?</l><lb/>
              <l>Dich Gotteskraft, die Niemand nennen kann,</l><lb/>
              <l>Endlos erzeugende, Dich ruf&#x2019; ich an.</l><lb/>
              <l>Du bi&#x017F;t der Schooß, der rings die Welt geboren,</l><lb/>
              <l>Du bi&#x017F;t des Baumes Saft, das Blut der Poren,</l><lb/>
              <l>Aus Dir entquillt der Tag, aus Dir die Nacht,</l><lb/>
              <l>Du bi&#x017F;t der Donner, Du des Frühlings Pracht,</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">12</fw><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[177/0195] Heinrich Hart. Und eurer Seele lauſch’ ich, wie ſie reift, Wie hoch und höher ihre Sehnſucht ſchweift. Ein Seher iſt euch Noth, ein Sonnenaar, Der Botſchaft bringt, daß eure Sehuſucht wahr, Daß ihr ein Ganzes ſeid, Samen eines Weibes, Körper eines Blutes, Glieder eines Leibes, Daß wie aus Welten Gott erwächſt, ſo ihr Der Menſchheit Nahrung ſeid, und lebt in ihr. Doch ach bin ich’s, bin ich’s, der zu den Sternen Das Auge heben darf, den Sonnenfernen! Zu Dir Altvater, deſſen Wort ſo klar Wie Meeresfluth, wenn ſie den Tag gebar, Zu Dir, Du ſtrahlend Licht von Tus, Du Künder Des Erdenſchickſals und Du Herzergründer, Zu Dir, Du frommer Schwan von Mantua, Zu Dir, Du Adler, der ins Antlitz ſah Der Ewigkeit, gerichtet und doch Richter, Zu Dir, der blind noch Held, Du Stolzvernichter, Zu Dir Walddroſſel, deren Stimme voll Und tief und ſüß wie Volkers Lied einſt ſcholl, Zu Euch, ihr heiligen Sänger, Du des Gral, Du des Erlöſers und der Kreuzesqual! Weh mir, wenn ich nicht würdig bin, wenn nicht Stahlhart mein Hirn, mein Herz wie Sonnenlicht, Wenn lauter nicht wie Morgenthau mein Blut, Mein Geiſt nicht wie auf Adlersſchwingen ruht. Wer hält mich aufrecht und wer gibt mir Muth, Wer legt auf meine Zunge Flammengluth? Mit tauſend Blüthen und mit tauſend Stimmen Lockt mich Natur und tauſend Sterne glimmen, Aus allen Tiefen klingt es dumpf und wirr — Wer führt mich aufwärts, wenn mein Fuß geht irr? Dich Gotteskraft, die Niemand nennen kann, Endlos erzeugende, Dich ruf’ ich an. Du biſt der Schooß, der rings die Welt geboren, Du biſt des Baumes Saft, das Blut der Poren, Aus Dir entquillt der Tag, aus Dir die Nacht, Du biſt der Donner, Du des Frühlings Pracht, 12

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/195
Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/195>, abgerufen am 22.11.2024.