Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Arno Holz. Noch gährt's von Blinden und von Tauben Und mehr als ein Herz ward zum Stein, Ich aber lehre sie wieder glauben, Ich will der neue Johannes sein! In Deine Wunder will ich wiegen Die Sehnsucht ihres kranken Seins, In Deine Arme will ich sie schmiegen, Denn ich, Du, sie ... o wir alle sind Eins!" So lag ich träumend einst im Walde, Wenn tiefblau rings der Himmel hing, Bis draußen hinter grüner Halde Die Sonne blutroth unterging. Dann schritt ich heimwärts, und mit Singen Begrüß' ich meines Vaters Haus Und schaute, wenn die Sterne gingen, Noch lange in die Nacht hinaus. Und jetzt? -- Die heimathlichen Thäler, Die seine Jugend grün umrauscht, Hat längst der lyrische Pennäler Für eine Weltstadt eingetauscht. Er sieht mit Schauder, wie das Laster Sich dort juwelenfunkelnd bläht, Das Elend aber tritt das Pflaster Von morgens früh bis abends spät! Er hört, wie nachts in den Fabriken Der Proletar nach Freiheit schreit, Indeß ein Volk von Domestiken Dem nackten Recht ins Antlitz speit! Er fühlt wie wilde, wilde Flammen Ihm heiß und roth das Hirn durchlohn, Und beißt die Zähne fest zusammen Und murmelt Hohn, Hohn, dreimal Hohn! Arno Holz. Noch gährt’s von Blinden und von Tauben Und mehr als ein Herz ward zum Stein, Ich aber lehre ſie wieder glauben, Ich will der neue Johannes ſein! In Deine Wunder will ich wiegen Die Sehnſucht ihres kranken Seins, In Deine Arme will ich ſie ſchmiegen, Denn ich, Du, ſie … o wir alle ſind Eins!“ So lag ich träumend einſt im Walde, Wenn tiefblau rings der Himmel hing, Bis draußen hinter grüner Halde Die Sonne blutroth unterging. Dann ſchritt ich heimwärts, und mit Singen Begrüß’ ich meines Vaters Haus Und ſchaute, wenn die Sterne gingen, Noch lange in die Nacht hinaus. Und jetzt? — Die heimathlichen Thäler, Die ſeine Jugend grün umrauſcht, Hat längſt der lyriſche Pennäler Für eine Weltſtadt eingetauſcht. Er ſieht mit Schauder, wie das Laſter Sich dort juwelenfunkelnd bläht, Das Elend aber tritt das Pflaſter Von morgens früh bis abends ſpät! Er hört, wie nachts in den Fabriken Der Proletar nach Freiheit ſchreit, Indeß ein Volk von Domeſtiken Dem nackten Recht ins Antlitz ſpeit! Er fühlt wie wilde, wilde Flammen Ihm heiß und roth das Hirn durchlohn, Und beißt die Zähne feſt zuſammen Und murmelt Hohn, Hohn, dreimal Hohn! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0170" n="152"/> <fw place="top" type="header">Arno Holz.</fw><lb/> <lg n="11"> <l>Noch gährt’s von Blinden und von Tauben</l><lb/> <l>Und mehr als <hi rendition="#g">ein</hi> Herz ward zum Stein,</l><lb/> <l>Ich aber lehre ſie wieder glauben,</l><lb/> <l>Ich will der neue Johannes ſein!</l> </lg><lb/> <lg n="12"> <l>In Deine Wunder will ich wiegen</l><lb/> <l>Die Sehnſucht ihres kranken Seins,</l><lb/> <l>In Deine Arme will ich ſie ſchmiegen,</l><lb/> <l>Denn ich, Du, ſie … o wir alle ſind Eins!“</l> </lg><lb/> <lg n="13"> <l>So lag ich träumend einſt im Walde,</l><lb/> <l>Wenn tiefblau rings der Himmel hing,</l><lb/> <l>Bis draußen hinter grüner Halde</l><lb/> <l>Die Sonne blutroth unterging.</l> </lg><lb/> <lg n="14"> <l>Dann ſchritt ich heimwärts, und mit Singen</l><lb/> <l>Begrüß’ ich meines Vaters Haus</l><lb/> <l>Und ſchaute, wenn die Sterne gingen,</l><lb/> <l>Noch lange in die Nacht hinaus.</l> </lg><lb/> <lg n="15"> <l>Und jetzt? — Die heimathlichen Thäler,</l><lb/> <l>Die ſeine Jugend grün umrauſcht,</l><lb/> <l>Hat längſt der lyriſche Pennäler</l><lb/> <l>Für eine Weltſtadt eingetauſcht.</l> </lg><lb/> <lg n="16"> <l>Er ſieht mit Schauder, wie das Laſter</l><lb/> <l>Sich dort juwelenfunkelnd bläht,</l><lb/> <l>Das Elend aber tritt das Pflaſter</l><lb/> <l>Von morgens früh bis abends ſpät!</l> </lg><lb/> <lg n="17"> <l>Er hört, wie nachts in den Fabriken</l><lb/> <l>Der Proletar nach Freiheit ſchreit,</l><lb/> <l>Indeß ein Volk von Domeſtiken</l><lb/> <l>Dem nackten Recht ins Antlitz ſpeit!</l> </lg><lb/> <lg n="18"> <l>Er fühlt wie wilde, wilde Flammen</l><lb/> <l>Ihm heiß und roth das Hirn durchlohn,</l><lb/> <l>Und beißt die Zähne feſt zuſammen</l><lb/> <l>Und murmelt Hohn, Hohn, dreimal Hohn!</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [152/0170]
Arno Holz.
Noch gährt’s von Blinden und von Tauben
Und mehr als ein Herz ward zum Stein,
Ich aber lehre ſie wieder glauben,
Ich will der neue Johannes ſein!
In Deine Wunder will ich wiegen
Die Sehnſucht ihres kranken Seins,
In Deine Arme will ich ſie ſchmiegen,
Denn ich, Du, ſie … o wir alle ſind Eins!“
So lag ich träumend einſt im Walde,
Wenn tiefblau rings der Himmel hing,
Bis draußen hinter grüner Halde
Die Sonne blutroth unterging.
Dann ſchritt ich heimwärts, und mit Singen
Begrüß’ ich meines Vaters Haus
Und ſchaute, wenn die Sterne gingen,
Noch lange in die Nacht hinaus.
Und jetzt? — Die heimathlichen Thäler,
Die ſeine Jugend grün umrauſcht,
Hat längſt der lyriſche Pennäler
Für eine Weltſtadt eingetauſcht.
Er ſieht mit Schauder, wie das Laſter
Sich dort juwelenfunkelnd bläht,
Das Elend aber tritt das Pflaſter
Von morgens früh bis abends ſpät!
Er hört, wie nachts in den Fabriken
Der Proletar nach Freiheit ſchreit,
Indeß ein Volk von Domeſtiken
Dem nackten Recht ins Antlitz ſpeit!
Er fühlt wie wilde, wilde Flammen
Ihm heiß und roth das Hirn durchlohn,
Und beißt die Zähne feſt zuſammen
Und murmelt Hohn, Hohn, dreimal Hohn!
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