Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Arno Holz. Dreht ihr auch noch so ernsthaft eure Phrase, Der Teufel setzt sie lustig in Musik, Denn eine ungeheuer lange Nase Hat seine Großmama, die Frau Kritik. 4. Nicht wahr, Du bist ein großes Thier? So sprich, was ist zum Dichten nütze? Eine Perryfeder, ein Stück Papier, Ein Tintenfaß und -- ein Schädel voll Grütze! 5. Ihr schwatzt befrackt hoch vom Katheder Von alter und von neuer Kunst, Von Fleischgenuß und Sinnenbrunst, Und gerbt nur Leder, altes Leder. Ihr laßt um jede Attitüde Ein weißgewaschnes Hemdchen wehn; Denn um die Schönheit nackt zu sehn, Sind eure Seelen viel zu prüde. 6. Ja, unsre Zeit ist eine Dirne, Die sich als "Mistreß" producirt, Mit Simpelfranzen vor der Stirne Und schauderhaft decolletirt. Sie raubt uns alle Illusionen, Sie turnt Trapez und paukt Klavier -- Und macht aus Fensterglas Kanonen Und Kronjuwelen aus Papier! 7. Urewig ist des großen Welterhalters Güte, Urewig wechselt Herbstblattfall und Frühlingsblüthe, Urewig rollt der Klangstrom lyrischer Gedichte: Ein jedes Herz hat seine eigne Weltgeschichte. Arno Holz. Dreht ihr auch noch ſo ernſthaft eure Phraſe, Der Teufel ſetzt ſie luſtig in Muſik, Denn eine ungeheuer lange Naſe Hat ſeine Großmama, die Frau Kritik. 4. Nicht wahr, Du biſt ein großes Thier? So ſprich, was iſt zum Dichten nütze? Eine Perryfeder, ein Stück Papier, Ein Tintenfaß und — ein Schädel voll Grütze! 5. Ihr ſchwatzt befrackt hoch vom Katheder Von alter und von neuer Kunſt, Von Fleiſchgenuß und Sinnenbrunſt, Und gerbt nur Leder, altes Leder. Ihr laßt um jede Attitüde Ein weißgewaſchnes Hemdchen wehn; Denn um die Schönheit nackt zu ſehn, Sind eure Seelen viel zu prüde. 6. Ja, unſre Zeit iſt eine Dirne, Die ſich als „Miſtreß“ producirt, Mit Simpelfranzen vor der Stirne Und ſchauderhaft decolletirt. Sie raubt uns alle Illuſionen, Sie turnt Trapez und paukt Klavier — Und macht aus Fenſterglas Kanonen Und Kronjuwelen aus Papier! 7. Urewig iſt des großen Welterhalters Güte, Urewig wechſelt Herbſtblattfall und Frühlingsblüthe, Urewig rollt der Klangſtrom lyriſcher Gedichte: Ein jedes Herz hat ſeine eigne Weltgeſchichte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0167" n="149"/> <fw place="top" type="header">Arno Holz.</fw><lb/> <lg n="2"> <l>Dreht ihr auch noch ſo ernſthaft eure Phraſe,</l><lb/> <l>Der Teufel ſetzt ſie luſtig in Muſik,</l><lb/> <l>Denn eine ungeheuer lange Naſe</l><lb/> <l>Hat ſeine Großmama, die Frau Kritik.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <div n="3"> <head>4.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Nicht wahr, Du biſt ein großes Thier?</l><lb/> <l>So ſprich, was iſt zum Dichten nütze?</l><lb/> <l>Eine Perryfeder, ein Stück Papier,</l><lb/> <l>Ein Tintenfaß und — ein Schädel voll Grütze!</l> </lg> </lg> </div><lb/> <div n="3"> <head>5.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Ihr ſchwatzt befrackt hoch vom Katheder</l><lb/> <l>Von alter und von neuer Kunſt,</l><lb/> <l>Von Fleiſchgenuß und Sinnenbrunſt,</l><lb/> <l>Und gerbt nur Leder, altes Leder.</l><lb/> <l>Ihr laßt um jede Attitüde</l><lb/> <l>Ein weißgewaſchnes Hemdchen wehn;</l><lb/> <l>Denn um die Schönheit nackt zu ſehn,</l><lb/> <l>Sind eure Seelen viel zu prüde.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <div n="3"> <head>6.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Ja, unſre Zeit iſt eine Dirne,</l><lb/> <l>Die ſich als „Miſtreß“ producirt,</l><lb/> <l>Mit Simpelfranzen vor der Stirne</l><lb/> <l>Und ſchauderhaft decolletirt.</l><lb/> <l>Sie raubt uns alle Illuſionen,</l><lb/> <l>Sie turnt Trapez und paukt Klavier —</l><lb/> <l>Und macht aus Fenſterglas Kanonen</l><lb/> <l>Und Kronjuwelen aus Papier!</l> </lg> </lg> </div><lb/> <div n="3"> <head>7.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Urewig iſt des großen Welterhalters Güte,</l><lb/> <l>Urewig wechſelt Herbſtblattfall und Frühlingsblüthe,</l><lb/> <l>Urewig rollt der Klangſtrom lyriſcher Gedichte:</l><lb/> <l>Ein jedes Herz hat ſeine eigne Weltgeſchichte.</l> </lg> </lg> </div><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [149/0167]
Arno Holz.
Dreht ihr auch noch ſo ernſthaft eure Phraſe,
Der Teufel ſetzt ſie luſtig in Muſik,
Denn eine ungeheuer lange Naſe
Hat ſeine Großmama, die Frau Kritik.
4.
Nicht wahr, Du biſt ein großes Thier?
So ſprich, was iſt zum Dichten nütze?
Eine Perryfeder, ein Stück Papier,
Ein Tintenfaß und — ein Schädel voll Grütze!
5.
Ihr ſchwatzt befrackt hoch vom Katheder
Von alter und von neuer Kunſt,
Von Fleiſchgenuß und Sinnenbrunſt,
Und gerbt nur Leder, altes Leder.
Ihr laßt um jede Attitüde
Ein weißgewaſchnes Hemdchen wehn;
Denn um die Schönheit nackt zu ſehn,
Sind eure Seelen viel zu prüde.
6.
Ja, unſre Zeit iſt eine Dirne,
Die ſich als „Miſtreß“ producirt,
Mit Simpelfranzen vor der Stirne
Und ſchauderhaft decolletirt.
Sie raubt uns alle Illuſionen,
Sie turnt Trapez und paukt Klavier —
Und macht aus Fenſterglas Kanonen
Und Kronjuwelen aus Papier!
7.
Urewig iſt des großen Welterhalters Güte,
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