Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Johannes Bohne. Auch meine Lippen hatten einst Das heil'ge Lied erhoben Wie eure, die ihr euch Mir in die Seele stehlt Mit jenen unschuldsvollen Hinsterbenden Gesängen -- Auch meine Seele hatt' ich einst Als reines Opfer hin auf den Altar gelegt, So unberührt und unbefleckt. Und höher stieg der Weihrauchduft empor Zum Schiff die Sinne bannend. Und von dem süßen Bangen Der Kindheit, die zum ersten Mal Sich schüchtern Gottes Altar naht, Flog mir ein Hauch Noch einmal durch die Seele, Ich kostete noch einmal Den heil'gen Taumel, Gab mich noch einmal Dem stillen Rausch der Hoffnung Mit innig jauchzendem Herzen Ergeben hin. Ich blickte auf -- Durch spitze Fenster fielen Die schrägen, gelben Sonnenstrahlen Und woben um das Haupt dir Dort an dem Kreuze mit der Dornenkrone Hell flimmernd einen gold'nen Ring -- Und deine Züge lebten noch, Ich sah noch einmal dir den Kampf Hin durch den Leib, den müden, zieh'n, Und deine Wunden flossen noch einmal Wie blut'ge Zähren, die ein Gott Um sein versunken Eden weint. Der Kranz grub sich in deine Stirn, Die alabasterweiße, Mit purpurrothen Spuren. Da griff es mich mit Geistermacht Und öffnete mir das blöde Auge, Das staunend nur an diesen Reigen hing, Johannes Bohne. Auch meine Lippen hatten einſt Das heil’ge Lied erhoben Wie eure, die ihr euch Mir in die Seele ſtehlt Mit jenen unſchuldsvollen Hinſterbenden Geſängen — Auch meine Seele hatt’ ich einſt Als reines Opfer hin auf den Altar gelegt, So unberührt und unbefleckt. Und höher ſtieg der Weihrauchduft empor Zum Schiff die Sinne bannend. Und von dem ſüßen Bangen Der Kindheit, die zum erſten Mal Sich ſchüchtern Gottes Altar naht, Flog mir ein Hauch Noch einmal durch die Seele, Ich koſtete noch einmal Den heil’gen Taumel, Gab mich noch einmal Dem ſtillen Rauſch der Hoffnung Mit innig jauchzendem Herzen Ergeben hin. Ich blickte auf — Durch ſpitze Fenſter fielen Die ſchrägen, gelben Sonnenſtrahlen Und woben um das Haupt dir Dort an dem Kreuze mit der Dornenkrone Hell flimmernd einen gold’nen Ring — Und deine Züge lebten noch, Ich ſah noch einmal dir den Kampf Hin durch den Leib, den müden, zieh’n, Und deine Wunden floſſen noch einmal Wie blut’ge Zähren, die ein Gott Um ſein verſunken Eden weint. Der Kranz grub ſich in deine Stirn, Die alabaſterweiße, Mit purpurrothen Spuren. Da griff es mich mit Geiſtermacht Und öffnete mir das blöde Auge, Das ſtaunend nur an dieſen Reigen hing, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <lg n="1"> <pb facs="#f0136" n="118"/> <fw place="top" type="header">Johannes Bohne.</fw><lb/> <l>Auch meine Lippen hatten einſt</l><lb/> <l>Das heil’ge Lied erhoben</l><lb/> <l>Wie eure, die ihr euch</l><lb/> <l>Mir in die Seele ſtehlt</l><lb/> <l>Mit jenen unſchuldsvollen</l><lb/> <l>Hinſterbenden Geſängen —</l><lb/> <l>Auch meine Seele hatt’ ich einſt</l><lb/> <l>Als reines Opfer hin auf den Altar gelegt,</l><lb/> <l>So unberührt und unbefleckt.</l><lb/> <l>Und höher ſtieg der Weihrauchduft empor</l><lb/> <l>Zum Schiff die Sinne bannend.</l><lb/> <l>Und von dem ſüßen Bangen</l><lb/> <l>Der Kindheit, die zum erſten Mal</l><lb/> <l>Sich ſchüchtern Gottes Altar naht,</l><lb/> <l>Flog mir ein Hauch</l><lb/> <l>Noch einmal durch die Seele,</l><lb/> <l>Ich koſtete noch einmal</l><lb/> <l>Den heil’gen Taumel,</l><lb/> <l>Gab mich noch einmal</l><lb/> <l>Dem ſtillen Rauſch der Hoffnung</l><lb/> <l>Mit innig jauchzendem Herzen</l><lb/> <l>Ergeben hin.</l><lb/> <l>Ich blickte auf —</l><lb/> <l>Durch ſpitze Fenſter fielen</l><lb/> <l>Die ſchrägen, gelben Sonnenſtrahlen</l><lb/> <l>Und woben um das Haupt dir</l><lb/> <l>Dort an dem Kreuze mit der Dornenkrone</l><lb/> <l>Hell flimmernd einen gold’nen Ring —</l><lb/> <l>Und deine Züge lebten noch,</l><lb/> <l>Ich ſah noch einmal dir den Kampf</l><lb/> <l>Hin durch den Leib, den müden, zieh’n,</l><lb/> <l>Und deine Wunden floſſen noch einmal</l><lb/> <l>Wie blut’ge Zähren, die ein Gott</l><lb/> <l>Um ſein verſunken Eden weint.</l><lb/> <l>Der Kranz grub ſich in deine Stirn,</l><lb/> <l>Die alabaſterweiße,</l><lb/> <l>Mit purpurrothen Spuren.</l><lb/> <l>Da griff es mich mit Geiſtermacht</l><lb/> <l>Und öffnete mir das blöde Auge,</l><lb/> <l>Das ſtaunend nur an dieſen Reigen hing,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [118/0136]
Johannes Bohne.
Auch meine Lippen hatten einſt
Das heil’ge Lied erhoben
Wie eure, die ihr euch
Mir in die Seele ſtehlt
Mit jenen unſchuldsvollen
Hinſterbenden Geſängen —
Auch meine Seele hatt’ ich einſt
Als reines Opfer hin auf den Altar gelegt,
So unberührt und unbefleckt.
Und höher ſtieg der Weihrauchduft empor
Zum Schiff die Sinne bannend.
Und von dem ſüßen Bangen
Der Kindheit, die zum erſten Mal
Sich ſchüchtern Gottes Altar naht,
Flog mir ein Hauch
Noch einmal durch die Seele,
Ich koſtete noch einmal
Den heil’gen Taumel,
Gab mich noch einmal
Dem ſtillen Rauſch der Hoffnung
Mit innig jauchzendem Herzen
Ergeben hin.
Ich blickte auf —
Durch ſpitze Fenſter fielen
Die ſchrägen, gelben Sonnenſtrahlen
Und woben um das Haupt dir
Dort an dem Kreuze mit der Dornenkrone
Hell flimmernd einen gold’nen Ring —
Und deine Züge lebten noch,
Ich ſah noch einmal dir den Kampf
Hin durch den Leib, den müden, zieh’n,
Und deine Wunden floſſen noch einmal
Wie blut’ge Zähren, die ein Gott
Um ſein verſunken Eden weint.
Der Kranz grub ſich in deine Stirn,
Die alabaſterweiße,
Mit purpurrothen Spuren.
Da griff es mich mit Geiſtermacht
Und öffnete mir das blöde Auge,
Das ſtaunend nur an dieſen Reigen hing,
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