Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Hermann Conradi. In wilden Wollustschauern Liegen wir staubbesä't Und stammeln an schwellender Dirnenbrust An die Venus ein Gebet: "O große Mutter, nähre Dein liebelechzend Kind! Schling' auch um mich dein Diadem, Deine Rosen, dein Traubengewind! Sieh'! meine verschmachteten Lippen Dürsten nach heißem Genuß -- O große Mutter, vergiß mich nicht -- Lass' trinken mich deinen Kuß! Lass', bis ich selig versunken In Träume, mährchenumkost, Hinfluthen über das dürre Gefild Meiner Seele deinen Trost! Nicht mag ich kargen und dulden, Wie ein Schächer nach Brocken geh'n -- Es soll für meine verzehrende Brunst Ein Paradies ersteh'n! Wir haben vom Kreuze gerissen Des Heilands zermartert Gebein! Wir warfen von uns das Pilgerkleid, Wir ließen den Wüstenstein! Was frommt uns bleiches Entsagen? Was frommt uns Dornengerank? Wir schlürfen den Kelch hintaumelnder Lust In seligem Ueberschwang!" O sagt, ihr müden Lippen, Kennt ihr kein and'res Wort? Ist in der Seele tiefstem Grund Der Bronnen all' verdorrt, Daraus in lichten Strömen Das Leben sich verjüngt? Schreit ihr zur Aphrodite nur -- Zur Dirne, frech geschminkt? Hermann Conradi. In wilden Wolluſtſchauern Liegen wir ſtaubbeſä’t Und ſtammeln an ſchwellender Dirnenbruſt An die Venus ein Gebet: „O große Mutter, nähre Dein liebelechzend Kind! Schling’ auch um mich dein Diadem, Deine Roſen, dein Traubengewind! Sieh’! meine verſchmachteten Lippen Dürſten nach heißem Genuß — O große Mutter, vergiß mich nicht — Laſſ’ trinken mich deinen Kuß! Laſſ’, bis ich ſelig verſunken In Träume, mährchenumkoſt, Hinfluthen über das dürre Gefild Meiner Seele deinen Troſt! Nicht mag ich kargen und dulden, Wie ein Schächer nach Brocken geh’n — Es ſoll für meine verzehrende Brunſt Ein Paradies erſteh’n! Wir haben vom Kreuze geriſſen Des Heilands zermartert Gebein! Wir warfen von uns das Pilgerkleid, Wir ließen den Wüſtenſtein! Was frommt uns bleiches Entſagen? Was frommt uns Dornengerank? Wir ſchlürfen den Kelch hintaumelnder Luſt In ſeligem Ueberſchwang!“ O ſagt, ihr müden Lippen, Kennt ihr kein and’res Wort? Iſt in der Seele tiefſtem Grund Der Bronnen all’ verdorrt, Daraus in lichten Strömen Das Leben ſich verjüngt? Schreit ihr zur Aphrodite nur — Zur Dirne, frech geſchminkt? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="2"> <pb facs="#f0125" n="107"/> <fw place="top" type="header">Hermann Conradi.</fw><lb/> <l>In wilden Wolluſtſchauern</l><lb/> <l>Liegen wir ſtaubbeſä’t</l><lb/> <l>Und ſtammeln an ſchwellender Dirnenbruſt</l><lb/> <l>An die Venus ein Gebet:</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>„O große Mutter, nähre</l><lb/> <l>Dein liebelechzend Kind!</l><lb/> <l>Schling’ auch um mich dein Diadem,</l><lb/> <l>Deine Roſen, dein Traubengewind!</l><lb/> <l>Sieh’! meine verſchmachteten Lippen</l><lb/> <l>Dürſten nach heißem Genuß —</l><lb/> <l>O große Mutter, vergiß mich nicht —</l><lb/> <l>Laſſ’ trinken mich deinen Kuß!</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Laſſ’, bis ich ſelig verſunken</l><lb/> <l>In Träume, mährchenumkoſt,</l><lb/> <l>Hinfluthen über das dürre Gefild</l><lb/> <l>Meiner Seele deinen Troſt!</l><lb/> <l>Nicht mag ich kargen und dulden,</l><lb/> <l>Wie ein Schächer nach Brocken geh’n —</l><lb/> <l>Es ſoll für meine verzehrende Brunſt</l><lb/> <l>Ein Paradies erſteh’n!</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Wir haben vom Kreuze geriſſen</l><lb/> <l>Des Heilands zermartert Gebein!</l><lb/> <l>Wir warfen von uns das Pilgerkleid,</l><lb/> <l>Wir ließen den Wüſtenſtein!</l><lb/> <l>Was frommt uns bleiches Entſagen?</l><lb/> <l>Was frommt uns Dornengerank?</l><lb/> <l>Wir ſchlürfen den Kelch hintaumelnder Luſt</l><lb/> <l>In ſeligem Ueberſchwang!“</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>O ſagt, ihr müden Lippen,</l><lb/> <l>Kennt ihr kein and’res Wort?</l><lb/> <l>Iſt in der Seele tiefſtem Grund</l><lb/> <l>Der Bronnen all’ verdorrt,</l><lb/> <l>Daraus in lichten Strömen</l><lb/> <l>Das Leben ſich verjüngt?</l><lb/> <l>Schreit ihr zur Aphrodite nur —</l><lb/> <l>Zur Dirne, frech geſchminkt?</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [107/0125]
Hermann Conradi.
In wilden Wolluſtſchauern
Liegen wir ſtaubbeſä’t
Und ſtammeln an ſchwellender Dirnenbruſt
An die Venus ein Gebet:
„O große Mutter, nähre
Dein liebelechzend Kind!
Schling’ auch um mich dein Diadem,
Deine Roſen, dein Traubengewind!
Sieh’! meine verſchmachteten Lippen
Dürſten nach heißem Genuß —
O große Mutter, vergiß mich nicht —
Laſſ’ trinken mich deinen Kuß!
Laſſ’, bis ich ſelig verſunken
In Träume, mährchenumkoſt,
Hinfluthen über das dürre Gefild
Meiner Seele deinen Troſt!
Nicht mag ich kargen und dulden,
Wie ein Schächer nach Brocken geh’n —
Es ſoll für meine verzehrende Brunſt
Ein Paradies erſteh’n!
Wir haben vom Kreuze geriſſen
Des Heilands zermartert Gebein!
Wir warfen von uns das Pilgerkleid,
Wir ließen den Wüſtenſtein!
Was frommt uns bleiches Entſagen?
Was frommt uns Dornengerank?
Wir ſchlürfen den Kelch hintaumelnder Luſt
In ſeligem Ueberſchwang!“
O ſagt, ihr müden Lippen,
Kennt ihr kein and’res Wort?
Iſt in der Seele tiefſtem Grund
Der Bronnen all’ verdorrt,
Daraus in lichten Strömen
Das Leben ſich verjüngt?
Schreit ihr zur Aphrodite nur —
Zur Dirne, frech geſchminkt?
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