Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

linge, oder herzinnigen blauäugigen Gänslein, oder die Fran-
zösischen zerrissenen Hosen, Herzen und Köpfe durch!

Der Eßkünstler giebt seine Subjektivität auf, und lebt
blos im Gegenstande und in dem Bestreben, darzustellen, wie
dieser Gegenstand eigentlich genießbar gemacht und genossen
werden soll. Er weiß sich selber seiner Aufgabe gänzlich unter-
zuordnen; er hält die Zeit der Ausübung seiner Kunst für die
genußreichste seines Lebens; er kostet nicht an diesem oder jenem
herum, um am Ende doch nirgends etwas zu leisten, -- sichern
Schrittes wandelt er wohlbedacht und ruhig seinem Ziele zu.
Wie ungeduldig und hastig stürmen oft andere Künstler dar-
auf los, um etwas zu Stande zu bringen und wie froh sind
sie, wenn sie damit fertig sind. Er nicht also; im Gegentheil
er eilt niemals, er übersudelt nichts, er prüft, überblickt, holt
nach, ergänzt, vervollständigt überall mit Ueberlegung und
Weile, und wenn er fertig ist, ist's ihm gar nicht recht.

Die Künstler überhaupt mögen sagen, was sie wollen, das
letzte Ziel ihrer Bestrebungen ist doch das, sich sehen oder hören
zu lassen. Es ist noch niemals vorgekommen, daß ein Künst-
ler für sich allein etwas gebildet, und es gar niemand gezeigt
hätte. Es ist immer Ehrliebe dahinter, die ich zwar weit ent-
fernt bin, zu tadeln, im Gegentheil vollkommen schätze, doch
aber nicht umhin kann, rühmend auf den anspruchslosen Eß-
künstler hinzudeuten. Und wenn niemand ihn sieht, als Gott,
er ist zufrieden und sein Genuß ist derselbe. Er wird mit der-
selben Delikatesse und Zartheit verfahren, man wird dieselbe
fleißige Ausführung, dieselbe umsichtige erschöpfende Behand-
lung, dieselbe eifrige Sorgfalt finden. Wie der geniale Künst-
ler überhaupt, vergißt er sich selbst über seinem Werke.

Es gehört etwas dazu, in jetziger Zeit bei so viel Concur-
renten und Competenten sich in irgend einer Richtung auszu-
zeichnen. Daher das heutige Rennen, Jagen, Wetten, Wagen
und Ueberpurzeln. Der Eßkünstler will sich aber gar nicht

linge, oder herzinnigen blauaͤugigen Gaͤnslein, oder die Fran-
zoͤſiſchen zerriſſenen Hoſen, Herzen und Koͤpfe durch!

Der Eßkuͤnſtler giebt ſeine Subjektivitaͤt auf, und lebt
blos im Gegenſtande und in dem Beſtreben, darzuſtellen, wie
dieſer Gegenſtand eigentlich genießbar gemacht und genoſſen
werden ſoll. Er weiß ſich ſelber ſeiner Aufgabe gaͤnzlich unter-
zuordnen; er haͤlt die Zeit der Ausuͤbung ſeiner Kunſt fuͤr die
genußreichſte ſeines Lebens; er koſtet nicht an dieſem oder jenem
herum, um am Ende doch nirgends etwas zu leiſten, — ſichern
Schrittes wandelt er wohlbedacht und ruhig ſeinem Ziele zu.
Wie ungeduldig und haſtig ſtuͤrmen oft andere Kuͤnſtler dar-
auf los, um etwas zu Stande zu bringen und wie froh ſind
ſie, wenn ſie damit fertig ſind. Er nicht alſo; im Gegentheil
er eilt niemals, er uͤberſudelt nichts, er pruͤft, uͤberblickt, holt
nach, ergaͤnzt, vervollſtaͤndigt uͤberall mit Ueberlegung und
Weile, und wenn er fertig iſt, iſt’s ihm gar nicht recht.

Die Kuͤnſtler uͤberhaupt moͤgen ſagen, was ſie wollen, das
letzte Ziel ihrer Beſtrebungen iſt doch das, ſich ſehen oder hoͤren
zu laſſen. Es iſt noch niemals vorgekommen, daß ein Kuͤnſt-
ler fuͤr ſich allein etwas gebildet, und es gar niemand gezeigt
haͤtte. Es iſt immer Ehrliebe dahinter, die ich zwar weit ent-
fernt bin, zu tadeln, im Gegentheil vollkommen ſchaͤtze, doch
aber nicht umhin kann, ruͤhmend auf den anſpruchsloſen Eß-
kuͤnſtler hinzudeuten. Und wenn niemand ihn ſieht, als Gott,
er iſt zufrieden und ſein Genuß iſt derſelbe. Er wird mit der-
ſelben Delikateſſe und Zartheit verfahren, man wird dieſelbe
fleißige Ausfuͤhrung, dieſelbe umſichtige erſchoͤpfende Behand-
lung, dieſelbe eifrige Sorgfalt finden. Wie der geniale Kuͤnſt-
ler uͤberhaupt, vergißt er ſich ſelbſt uͤber ſeinem Werke.

Es gehoͤrt etwas dazu, in jetziger Zeit bei ſo viel Concur-
renten und Competenten ſich in irgend einer Richtung auszu-
zeichnen. Daher das heutige Rennen, Jagen, Wetten, Wagen
und Ueberpurzeln. Der Eßkuͤnſtler will ſich aber gar nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0086" n="72"/>
linge, oder herzinnigen blaua&#x0364;ugigen Ga&#x0364;nslein, oder die Fran-<lb/>
zo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen zerri&#x017F;&#x017F;enen Ho&#x017F;en, Herzen und Ko&#x0364;pfe durch!</p><lb/>
        <p>Der Eßku&#x0364;n&#x017F;tler giebt &#x017F;eine Subjektivita&#x0364;t auf, und lebt<lb/>
blos im Gegen&#x017F;tande und in dem Be&#x017F;treben, darzu&#x017F;tellen, wie<lb/>
die&#x017F;er Gegen&#x017F;tand eigentlich genießbar gemacht und geno&#x017F;&#x017F;en<lb/>
werden &#x017F;oll. Er weiß &#x017F;ich &#x017F;elber &#x017F;einer Aufgabe ga&#x0364;nzlich unter-<lb/>
zuordnen; er ha&#x0364;lt die Zeit der Ausu&#x0364;bung &#x017F;einer Kun&#x017F;t fu&#x0364;r die<lb/>
genußreich&#x017F;te &#x017F;eines Lebens; er ko&#x017F;tet nicht an die&#x017F;em oder jenem<lb/>
herum, um am Ende doch nirgends etwas zu lei&#x017F;ten, &#x2014; &#x017F;ichern<lb/>
Schrittes wandelt er wohlbedacht und ruhig &#x017F;einem Ziele zu.<lb/>
Wie ungeduldig und ha&#x017F;tig &#x017F;tu&#x0364;rmen oft andere Ku&#x0364;n&#x017F;tler dar-<lb/>
auf los, um etwas zu Stande zu bringen und wie froh &#x017F;ind<lb/>
&#x017F;ie, wenn &#x017F;ie damit fertig &#x017F;ind. Er nicht al&#x017F;o; im Gegentheil<lb/>
er eilt niemals, er u&#x0364;ber&#x017F;udelt nichts, er pru&#x0364;ft, u&#x0364;berblickt, holt<lb/>
nach, erga&#x0364;nzt, vervoll&#x017F;ta&#x0364;ndigt u&#x0364;berall mit Ueberlegung und<lb/>
Weile, und wenn er fertig i&#x017F;t, i&#x017F;t&#x2019;s ihm gar nicht recht.</p><lb/>
        <p>Die Ku&#x0364;n&#x017F;tler u&#x0364;berhaupt mo&#x0364;gen &#x017F;agen, was &#x017F;ie wollen, das<lb/>
letzte Ziel ihrer Be&#x017F;trebungen i&#x017F;t doch das, &#x017F;ich &#x017F;ehen oder ho&#x0364;ren<lb/>
zu la&#x017F;&#x017F;en. Es i&#x017F;t noch niemals vorgekommen, daß ein Ku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/>
ler fu&#x0364;r &#x017F;ich allein etwas gebildet, und es gar niemand gezeigt<lb/>
ha&#x0364;tte. Es i&#x017F;t immer Ehrliebe dahinter, die ich zwar weit ent-<lb/>
fernt bin, zu tadeln, im Gegentheil vollkommen &#x017F;cha&#x0364;tze, doch<lb/>
aber nicht umhin kann, ru&#x0364;hmend auf den an&#x017F;pruchslo&#x017F;en Eß-<lb/>
ku&#x0364;n&#x017F;tler hinzudeuten. Und wenn niemand ihn &#x017F;ieht, als Gott,<lb/>
er i&#x017F;t zufrieden und &#x017F;ein Genuß i&#x017F;t der&#x017F;elbe. Er wird mit der-<lb/>
&#x017F;elben Delikate&#x017F;&#x017F;e und Zartheit verfahren, man wird die&#x017F;elbe<lb/>
fleißige Ausfu&#x0364;hrung, die&#x017F;elbe um&#x017F;ichtige er&#x017F;cho&#x0364;pfende Behand-<lb/>
lung, die&#x017F;elbe eifrige Sorgfalt finden. Wie der geniale Ku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/>
ler u&#x0364;berhaupt, vergißt er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t u&#x0364;ber &#x017F;einem Werke.</p><lb/>
        <p>Es geho&#x0364;rt etwas dazu, in jetziger Zeit bei &#x017F;o viel Concur-<lb/>
renten und Competenten &#x017F;ich in irgend einer Richtung auszu-<lb/>
zeichnen. Daher das heutige Rennen, Jagen, Wetten, Wagen<lb/>
und Ueberpurzeln. Der Eßku&#x0364;n&#x017F;tler will &#x017F;ich aber gar nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0086] linge, oder herzinnigen blauaͤugigen Gaͤnslein, oder die Fran- zoͤſiſchen zerriſſenen Hoſen, Herzen und Koͤpfe durch! Der Eßkuͤnſtler giebt ſeine Subjektivitaͤt auf, und lebt blos im Gegenſtande und in dem Beſtreben, darzuſtellen, wie dieſer Gegenſtand eigentlich genießbar gemacht und genoſſen werden ſoll. Er weiß ſich ſelber ſeiner Aufgabe gaͤnzlich unter- zuordnen; er haͤlt die Zeit der Ausuͤbung ſeiner Kunſt fuͤr die genußreichſte ſeines Lebens; er koſtet nicht an dieſem oder jenem herum, um am Ende doch nirgends etwas zu leiſten, — ſichern Schrittes wandelt er wohlbedacht und ruhig ſeinem Ziele zu. Wie ungeduldig und haſtig ſtuͤrmen oft andere Kuͤnſtler dar- auf los, um etwas zu Stande zu bringen und wie froh ſind ſie, wenn ſie damit fertig ſind. Er nicht alſo; im Gegentheil er eilt niemals, er uͤberſudelt nichts, er pruͤft, uͤberblickt, holt nach, ergaͤnzt, vervollſtaͤndigt uͤberall mit Ueberlegung und Weile, und wenn er fertig iſt, iſt’s ihm gar nicht recht. Die Kuͤnſtler uͤberhaupt moͤgen ſagen, was ſie wollen, das letzte Ziel ihrer Beſtrebungen iſt doch das, ſich ſehen oder hoͤren zu laſſen. Es iſt noch niemals vorgekommen, daß ein Kuͤnſt- ler fuͤr ſich allein etwas gebildet, und es gar niemand gezeigt haͤtte. Es iſt immer Ehrliebe dahinter, die ich zwar weit ent- fernt bin, zu tadeln, im Gegentheil vollkommen ſchaͤtze, doch aber nicht umhin kann, ruͤhmend auf den anſpruchsloſen Eß- kuͤnſtler hinzudeuten. Und wenn niemand ihn ſieht, als Gott, er iſt zufrieden und ſein Genuß iſt derſelbe. Er wird mit der- ſelben Delikateſſe und Zartheit verfahren, man wird dieſelbe fleißige Ausfuͤhrung, dieſelbe umſichtige erſchoͤpfende Behand- lung, dieſelbe eifrige Sorgfalt finden. Wie der geniale Kuͤnſt- ler uͤberhaupt, vergißt er ſich ſelbſt uͤber ſeinem Werke. Es gehoͤrt etwas dazu, in jetziger Zeit bei ſo viel Concur- renten und Competenten ſich in irgend einer Richtung auszu- zeichnen. Daher das heutige Rennen, Jagen, Wetten, Wagen und Ueberpurzeln. Der Eßkuͤnſtler will ſich aber gar nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/86
Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/86>, abgerufen am 24.11.2024.