linge, oder herzinnigen blauäugigen Gänslein, oder die Fran- zösischen zerrissenen Hosen, Herzen und Köpfe durch!
Der Eßkünstler giebt seine Subjektivität auf, und lebt blos im Gegenstande und in dem Bestreben, darzustellen, wie dieser Gegenstand eigentlich genießbar gemacht und genossen werden soll. Er weiß sich selber seiner Aufgabe gänzlich unter- zuordnen; er hält die Zeit der Ausübung seiner Kunst für die genußreichste seines Lebens; er kostet nicht an diesem oder jenem herum, um am Ende doch nirgends etwas zu leisten, -- sichern Schrittes wandelt er wohlbedacht und ruhig seinem Ziele zu. Wie ungeduldig und hastig stürmen oft andere Künstler dar- auf los, um etwas zu Stande zu bringen und wie froh sind sie, wenn sie damit fertig sind. Er nicht also; im Gegentheil er eilt niemals, er übersudelt nichts, er prüft, überblickt, holt nach, ergänzt, vervollständigt überall mit Ueberlegung und Weile, und wenn er fertig ist, ist's ihm gar nicht recht.
Die Künstler überhaupt mögen sagen, was sie wollen, das letzte Ziel ihrer Bestrebungen ist doch das, sich sehen oder hören zu lassen. Es ist noch niemals vorgekommen, daß ein Künst- ler für sich allein etwas gebildet, und es gar niemand gezeigt hätte. Es ist immer Ehrliebe dahinter, die ich zwar weit ent- fernt bin, zu tadeln, im Gegentheil vollkommen schätze, doch aber nicht umhin kann, rühmend auf den anspruchslosen Eß- künstler hinzudeuten. Und wenn niemand ihn sieht, als Gott, er ist zufrieden und sein Genuß ist derselbe. Er wird mit der- selben Delikatesse und Zartheit verfahren, man wird dieselbe fleißige Ausführung, dieselbe umsichtige erschöpfende Behand- lung, dieselbe eifrige Sorgfalt finden. Wie der geniale Künst- ler überhaupt, vergißt er sich selbst über seinem Werke.
Es gehört etwas dazu, in jetziger Zeit bei so viel Concur- renten und Competenten sich in irgend einer Richtung auszu- zeichnen. Daher das heutige Rennen, Jagen, Wetten, Wagen und Ueberpurzeln. Der Eßkünstler will sich aber gar nicht
linge, oder herzinnigen blauaͤugigen Gaͤnslein, oder die Fran- zoͤſiſchen zerriſſenen Hoſen, Herzen und Koͤpfe durch!
Der Eßkuͤnſtler giebt ſeine Subjektivitaͤt auf, und lebt blos im Gegenſtande und in dem Beſtreben, darzuſtellen, wie dieſer Gegenſtand eigentlich genießbar gemacht und genoſſen werden ſoll. Er weiß ſich ſelber ſeiner Aufgabe gaͤnzlich unter- zuordnen; er haͤlt die Zeit der Ausuͤbung ſeiner Kunſt fuͤr die genußreichſte ſeines Lebens; er koſtet nicht an dieſem oder jenem herum, um am Ende doch nirgends etwas zu leiſten, — ſichern Schrittes wandelt er wohlbedacht und ruhig ſeinem Ziele zu. Wie ungeduldig und haſtig ſtuͤrmen oft andere Kuͤnſtler dar- auf los, um etwas zu Stande zu bringen und wie froh ſind ſie, wenn ſie damit fertig ſind. Er nicht alſo; im Gegentheil er eilt niemals, er uͤberſudelt nichts, er pruͤft, uͤberblickt, holt nach, ergaͤnzt, vervollſtaͤndigt uͤberall mit Ueberlegung und Weile, und wenn er fertig iſt, iſt’s ihm gar nicht recht.
Die Kuͤnſtler uͤberhaupt moͤgen ſagen, was ſie wollen, das letzte Ziel ihrer Beſtrebungen iſt doch das, ſich ſehen oder hoͤren zu laſſen. Es iſt noch niemals vorgekommen, daß ein Kuͤnſt- ler fuͤr ſich allein etwas gebildet, und es gar niemand gezeigt haͤtte. Es iſt immer Ehrliebe dahinter, die ich zwar weit ent- fernt bin, zu tadeln, im Gegentheil vollkommen ſchaͤtze, doch aber nicht umhin kann, ruͤhmend auf den anſpruchsloſen Eß- kuͤnſtler hinzudeuten. Und wenn niemand ihn ſieht, als Gott, er iſt zufrieden und ſein Genuß iſt derſelbe. Er wird mit der- ſelben Delikateſſe und Zartheit verfahren, man wird dieſelbe fleißige Ausfuͤhrung, dieſelbe umſichtige erſchoͤpfende Behand- lung, dieſelbe eifrige Sorgfalt finden. Wie der geniale Kuͤnſt- ler uͤberhaupt, vergißt er ſich ſelbſt uͤber ſeinem Werke.
Es gehoͤrt etwas dazu, in jetziger Zeit bei ſo viel Concur- renten und Competenten ſich in irgend einer Richtung auszu- zeichnen. Daher das heutige Rennen, Jagen, Wetten, Wagen und Ueberpurzeln. Der Eßkuͤnſtler will ſich aber gar nicht
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linge, oder herzinnigen blauaͤugigen Gaͤnslein, oder die Fran-
zoͤſiſchen zerriſſenen Hoſen, Herzen und Koͤpfe durch!
Der Eßkuͤnſtler giebt ſeine Subjektivitaͤt auf, und lebt
blos im Gegenſtande und in dem Beſtreben, darzuſtellen, wie
dieſer Gegenſtand eigentlich genießbar gemacht und genoſſen
werden ſoll. Er weiß ſich ſelber ſeiner Aufgabe gaͤnzlich unter-
zuordnen; er haͤlt die Zeit der Ausuͤbung ſeiner Kunſt fuͤr die
genußreichſte ſeines Lebens; er koſtet nicht an dieſem oder jenem
herum, um am Ende doch nirgends etwas zu leiſten, — ſichern
Schrittes wandelt er wohlbedacht und ruhig ſeinem Ziele zu.
Wie ungeduldig und haſtig ſtuͤrmen oft andere Kuͤnſtler dar-
auf los, um etwas zu Stande zu bringen und wie froh ſind
ſie, wenn ſie damit fertig ſind. Er nicht alſo; im Gegentheil
er eilt niemals, er uͤberſudelt nichts, er pruͤft, uͤberblickt, holt
nach, ergaͤnzt, vervollſtaͤndigt uͤberall mit Ueberlegung und
Weile, und wenn er fertig iſt, iſt’s ihm gar nicht recht.
Die Kuͤnſtler uͤberhaupt moͤgen ſagen, was ſie wollen, das
letzte Ziel ihrer Beſtrebungen iſt doch das, ſich ſehen oder hoͤren
zu laſſen. Es iſt noch niemals vorgekommen, daß ein Kuͤnſt-
ler fuͤr ſich allein etwas gebildet, und es gar niemand gezeigt
haͤtte. Es iſt immer Ehrliebe dahinter, die ich zwar weit ent-
fernt bin, zu tadeln, im Gegentheil vollkommen ſchaͤtze, doch
aber nicht umhin kann, ruͤhmend auf den anſpruchsloſen Eß-
kuͤnſtler hinzudeuten. Und wenn niemand ihn ſieht, als Gott,
er iſt zufrieden und ſein Genuß iſt derſelbe. Er wird mit der-
ſelben Delikateſſe und Zartheit verfahren, man wird dieſelbe
fleißige Ausfuͤhrung, dieſelbe umſichtige erſchoͤpfende Behand-
lung, dieſelbe eifrige Sorgfalt finden. Wie der geniale Kuͤnſt-
ler uͤberhaupt, vergißt er ſich ſelbſt uͤber ſeinem Werke.
Es gehoͤrt etwas dazu, in jetziger Zeit bei ſo viel Concur-
renten und Competenten ſich in irgend einer Richtung auszu-
zeichnen. Daher das heutige Rennen, Jagen, Wetten, Wagen
und Ueberpurzeln. Der Eßkuͤnſtler will ſich aber gar nicht
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/86>, abgerufen am 23.07.2024.
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