Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.Vierte Vorlesung. Verhältniß der Eßkunst zu den anderen schönen Künsten. Man hat die Noth die Mutter der Künste genannt. Es Die Indianer haben die zarte Gewohnheit, ihre gefangenen Vierte Vorleſung. Verhältniß der Eßkunſt zu den anderen ſchönen Künſten. Man hat die Noth die Mutter der Kuͤnſte genannt. Es Die Indianer haben die zarte Gewohnheit, ihre gefangenen <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0083" n="[69]"/> <div n="1"> <head><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Vierte Vorleſung</hi>.</hi><lb/> Verhältniß der Eßkunſt zu den anderen ſchönen Künſten.</head><lb/> <p><hi rendition="#in">M</hi>an hat die Noth die Mutter der Kuͤnſte genannt. Es<lb/> iſt dieß wahr und falſch, je nachdem man’s verſteht, wie der-<lb/> gleichen in der gelehrten Welt oͤfter vorkommt. Meint man<lb/> die ſchoͤnen Kuͤnſte fuͤr ſich als ſolche in ihrer Reinheit und<lb/> Vollendung, ſo iſt der Satz nicht wahr. Verſteht man den<lb/> Satz aber ſo, daß der Menſch durch ſeine Beduͤrfniſſe,<lb/> durch ſeinen Kampf gegen die Außenwelt zu manchen Er-<lb/> findungen, Conſtructionen, Fertigkeiten, Bildungen gedraͤngt<lb/> wurde, aus denen, gleichſam als aus Vorarbeiten erſt ſe-<lb/> cundaͤr, nachdem das Beduͤrfniß befriedigt, die Subſiſtenz<lb/> geſichert war, die ſchoͤnen Kuͤnſte ſich entwickeln konnten,<lb/> ſo mag weniger dagegen einzuwenden ſein. Mit demſelben<lb/> Rechte koͤnnte man dann freilich ſagen, das ABC iſt die Quelle<lb/> der Wiſſenſchaften.</p><lb/> <p>Die Indianer haben die zarte Gewohnheit, ihre gefangenen<lb/> Feinde baarfuß auf eiſerne Platten zu ſtellen, unter denen ein<lb/> angemeſſenes Feuer brennt. Aus Gruͤnden, welche Phyſik und<lb/> Phyſiologie nachzuweiſen haben, theilt ſich zunaͤchſt den Fuß-<lb/> ſohlen des auf dieſer heißen Platte Stehenden die Hitze derſel-<lb/> ben mit, welche dann der uͤbrige Menſch ebenfalls ſpuͤrt. We-<lb/> niger aus der Berechnung, daß, wenn er nur auf Einem Fuß<lb/> ſteht, es ihm auch nur an Einen Fuß brennen kann, oder aus<lb/> dem Plan, daß er durch die Abwechſelung: bald auf dieſem bald<lb/> auf jenem Fuß zu ſtehen, hoͤheren wachſenden Hitzegraden tem-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [[69]/0083]
Vierte Vorleſung.
Verhältniß der Eßkunſt zu den anderen ſchönen Künſten.
Man hat die Noth die Mutter der Kuͤnſte genannt. Es
iſt dieß wahr und falſch, je nachdem man’s verſteht, wie der-
gleichen in der gelehrten Welt oͤfter vorkommt. Meint man
die ſchoͤnen Kuͤnſte fuͤr ſich als ſolche in ihrer Reinheit und
Vollendung, ſo iſt der Satz nicht wahr. Verſteht man den
Satz aber ſo, daß der Menſch durch ſeine Beduͤrfniſſe,
durch ſeinen Kampf gegen die Außenwelt zu manchen Er-
findungen, Conſtructionen, Fertigkeiten, Bildungen gedraͤngt
wurde, aus denen, gleichſam als aus Vorarbeiten erſt ſe-
cundaͤr, nachdem das Beduͤrfniß befriedigt, die Subſiſtenz
geſichert war, die ſchoͤnen Kuͤnſte ſich entwickeln konnten,
ſo mag weniger dagegen einzuwenden ſein. Mit demſelben
Rechte koͤnnte man dann freilich ſagen, das ABC iſt die Quelle
der Wiſſenſchaften.
Die Indianer haben die zarte Gewohnheit, ihre gefangenen
Feinde baarfuß auf eiſerne Platten zu ſtellen, unter denen ein
angemeſſenes Feuer brennt. Aus Gruͤnden, welche Phyſik und
Phyſiologie nachzuweiſen haben, theilt ſich zunaͤchſt den Fuß-
ſohlen des auf dieſer heißen Platte Stehenden die Hitze derſel-
ben mit, welche dann der uͤbrige Menſch ebenfalls ſpuͤrt. We-
niger aus der Berechnung, daß, wenn er nur auf Einem Fuß
ſteht, es ihm auch nur an Einen Fuß brennen kann, oder aus
dem Plan, daß er durch die Abwechſelung: bald auf dieſem bald
auf jenem Fuß zu ſtehen, hoͤheren wachſenden Hitzegraden tem-
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