Hypochondristen Zimmermann, welcher selbst Teufelsdreck mit wahrer Wollust kaute, wie er versichert, war nicht im Stande, mich zu trösten und zu ermuntern. Da ich weder an Zahnschmerzen, noch am Stein, noch an Würmern litt, fruch- teten auch des Borellus, Felix Plater, Riverius, Hoff- mann's, Zückert's und anderer berühmten Aerzte Empfeh- lungen dieses dagegen bewährten Mittels nicht das Mindeste. Ich wußte zwar, daß zur Beseitigung des sonderbaren Geruches Menander eine in glühender Asche gebratene Betarübe, Hie- ronymus Trogus Raute, und Aemilius Macer die Ze- doaria dazu zu essen rathen; das Traurigste war aber, daß der berühmte Gratarolus ausdrücklich verlangt, der Knoblauch müsse gekocht verspeiset werden. Das war gerade mein Un- glück; denn kalt unter der Cervelatwurst hatte er viel weniger Ueberwindung gekostet. Am meisten encouragirte die Reminis- cenz an die zarten Damen des Boccaccio, welche auch Lu- pinen und Knoblauch zu speisen pflegten, und so gelang es endlich, da ich mir nun einmal fest vorgenommen hatte, alle Schwierigkeiten zu überwinden. Das folgende Rindfleisch war so gut, als gekochtes Rindfleisch überhaupt zu sein vermag; von ausgezeichneter Zartheit aber zeigte sich gedämpftes Lamm- fleisch, welches mit Broccoli gegeben wurde. Zwar kündigte eine Kalbscotelette nur zu deutlich ihre innige Vermählung und Sättigung mit Knoblauch an, der beigemischte Sardellen- geschmack überwog jedoch so bedeutend, daß sie ohne sonderliche Schwierigkeit zu genießen war.
Nun folgte ein sonderbar und abenteuerlich gestalteter brei- ter Fisch mit gehackten Sardellen gefüllt und in Oel gebraten, der mir zwar wohlschmeckte, wobei jedoch die Unwissenschaftlich- keit, mit der ich ihn aß, da mir dessen systematischer Name gänzlich unbekannt war, einigermaßen störend einwirkte. Freude machte es dagegen, in einem demnächst und zwar in seiner Schale servirten Mollusken die Pilgermuschel (Pecten Jaco-
Hypochondriſten Zimmermann, welcher ſelbſt Teufelsdreck mit wahrer Wolluſt kaute, wie er verſichert, war nicht im Stande, mich zu troͤſten und zu ermuntern. Da ich weder an Zahnſchmerzen, noch am Stein, noch an Wuͤrmern litt, fruch- teten auch des Borellus, Felix Plater, Riverius, Hoff- mann’s, Zuͤckert’s und anderer beruͤhmten Aerzte Empfeh- lungen dieſes dagegen bewaͤhrten Mittels nicht das Mindeſte. Ich wußte zwar, daß zur Beſeitigung des ſonderbaren Geruches Menander eine in gluͤhender Aſche gebratene Betaruͤbe, Hie- ronymus Trogus Raute, und Aemilius Macer die Ze- doaria dazu zu eſſen rathen; das Traurigſte war aber, daß der beruͤhmte Gratarolus ausdruͤcklich verlangt, der Knoblauch muͤſſe gekocht verſpeiſet werden. Das war gerade mein Un- gluͤck; denn kalt unter der Cervelatwurſt hatte er viel weniger Ueberwindung gekoſtet. Am meiſten encouragirte die Reminis- cenz an die zarten Damen des Boccaccio, welche auch Lu- pinen und Knoblauch zu ſpeiſen pflegten, und ſo gelang es endlich, da ich mir nun einmal feſt vorgenommen hatte, alle Schwierigkeiten zu uͤberwinden. Das folgende Rindfleiſch war ſo gut, als gekochtes Rindfleiſch uͤberhaupt zu ſein vermag; von ausgezeichneter Zartheit aber zeigte ſich gedaͤmpftes Lamm- fleiſch, welches mit Broccoli gegeben wurde. Zwar kuͤndigte eine Kalbscotelette nur zu deutlich ihre innige Vermaͤhlung und Saͤttigung mit Knoblauch an, der beigemiſchte Sardellen- geſchmack uͤberwog jedoch ſo bedeutend, daß ſie ohne ſonderliche Schwierigkeit zu genießen war.
Nun folgte ein ſonderbar und abenteuerlich geſtalteter brei- ter Fiſch mit gehackten Sardellen gefuͤllt und in Oel gebraten, der mir zwar wohlſchmeckte, wobei jedoch die Unwiſſenſchaftlich- keit, mit der ich ihn aß, da mir deſſen ſyſtematiſcher Name gaͤnzlich unbekannt war, einigermaßen ſtoͤrend einwirkte. Freude machte es dagegen, in einem demnaͤchſt und zwar in ſeiner Schale ſervirten Mollusken die Pilgermuſchel (Pecten Jaco-
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[60/0074]
Hypochondriſten Zimmermann, welcher ſelbſt Teufelsdreck
mit wahrer Wolluſt kaute, wie er verſichert, war nicht im
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Zahnſchmerzen, noch am Stein, noch an Wuͤrmern litt, fruch-
teten auch des Borellus, Felix Plater, Riverius, Hoff-
mann’s, Zuͤckert’s und anderer beruͤhmten Aerzte Empfeh-
lungen dieſes dagegen bewaͤhrten Mittels nicht das Mindeſte.
Ich wußte zwar, daß zur Beſeitigung des ſonderbaren Geruches
Menander eine in gluͤhender Aſche gebratene Betaruͤbe, Hie-
ronymus Trogus Raute, und Aemilius Macer die Ze-
doaria dazu zu eſſen rathen; das Traurigſte war aber, daß der
beruͤhmte Gratarolus ausdruͤcklich verlangt, der Knoblauch
muͤſſe gekocht verſpeiſet werden. Das war gerade mein Un-
gluͤck; denn kalt unter der Cervelatwurſt hatte er viel weniger
Ueberwindung gekoſtet. Am meiſten encouragirte die Reminis-
cenz an die zarten Damen des Boccaccio, welche auch Lu-
pinen und Knoblauch zu ſpeiſen pflegten, und ſo gelang es
endlich, da ich mir nun einmal feſt vorgenommen hatte, alle
Schwierigkeiten zu uͤberwinden. Das folgende Rindfleiſch war
ſo gut, als gekochtes Rindfleiſch uͤberhaupt zu ſein vermag;
von ausgezeichneter Zartheit aber zeigte ſich gedaͤmpftes Lamm-
fleiſch, welches mit Broccoli gegeben wurde. Zwar kuͤndigte
eine Kalbscotelette nur zu deutlich ihre innige Vermaͤhlung
und Saͤttigung mit Knoblauch an, der beigemiſchte Sardellen-
geſchmack uͤberwog jedoch ſo bedeutend, daß ſie ohne ſonderliche
Schwierigkeit zu genießen war.
Nun folgte ein ſonderbar und abenteuerlich geſtalteter brei-
ter Fiſch mit gehackten Sardellen gefuͤllt und in Oel gebraten,
der mir zwar wohlſchmeckte, wobei jedoch die Unwiſſenſchaftlich-
keit, mit der ich ihn aß, da mir deſſen ſyſtematiſcher Name
gaͤnzlich unbekannt war, einigermaßen ſtoͤrend einwirkte. Freude
machte es dagegen, in einem demnaͤchſt und zwar in ſeiner
Schale ſervirten Mollusken die Pilgermuſchel (Pecten Jaco-
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/74>, abgerufen am 16.02.2025.
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