Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Gerücht, als ob ich krank sei, ist dermaßen falsch, daß ich mich
niemals besser befunden habe, und da mich mein Schneider nach
meiner Rückkehr von Neapel ausmaß, fand sich ein Unterschied
von zwei Finger breit im Umkreise. Auch Goethe gedenkt mit
freudigem Lobe des Neapolitanischen Blumenkohls, Kohls,
Salats, der Broccoli und Artischocken. Ich führe nur folgen-
de Stelle aus dessen Italienischer Reise hier an:

"Es ist keine Jahreszeit, wo man sich nicht überall von
Eßwaaren umgeben sähe, und der Neapolitaner freut sich nicht
allein des Essens, sondern er will auch, daß die Waare zum
Verkauf schön aufgeputzt sei. -- Bei Santa Lucia sind die
Fische nach ihren Gattungen meist in reinlichen und artigen
Körben. Krebse, Austern, Scheiden, kleine Muscheln, jedes be-
sonders aufgetischt und mit grünen Blättern unterlegt. Die
Läden von getrocknetem Obst und Hülsenfrüchten sind auf das
Mannigfaltigste herausgeputzt. Die ausgebreiteten Pomeran-
zen und Citronen von allen Sorten, mit dazwischen hervorste-
hendem grünen Laub, dem Auge sehr erfreulich. Aber nirgends
putzen sie mehr als bei den Fleischwaaren, nach welchen das
Auge des Volkes besonders lüstern gerichtet ist, weil der Appe-
tit durch periodisches Entbehren nur mehr gereizt wird.

In den Fleischbänken hängen die Theile der Ochsen, Käl-
ber, Schöpse niemals aus, ohne daß neben dem Fett zugleich
die Seite oder die Keule stark vergoldet sei. Es sind verschiedene
Tage im Jahr, besonders die Weihnachtsfeiertage, als Schmaus-
feste berühmt; alsdann feiert man eine allgemeine Cocagna,
wozu sich 500,000 Menschen das Wort gegeben haben. Dann
ist aber auch die Straße Toledo und neben ihr mehrere Stra-
ßen und Plätze auf das Appetitlichste verziert. Die Boutiquen,
wo grüne Sachen verkauft werden, wo Rosinen, Melonen und
Feigen aufgesetzt sind, erfreuen das Auge auf das Allerange-
nehmste. Die Eßwaaren hängen in Guirlanden über die Stra-
ßen hinüber; große Paternoster von vergoldeten, mit rothen

Geruͤcht, als ob ich krank ſei, iſt dermaßen falſch, daß ich mich
niemals beſſer befunden habe, und da mich mein Schneider nach
meiner Ruͤckkehr von Neapel ausmaß, fand ſich ein Unterſchied
von zwei Finger breit im Umkreiſe. Auch Goethe gedenkt mit
freudigem Lobe des Neapolitaniſchen Blumenkohls, Kohls,
Salats, der Broccoli und Artiſchocken. Ich fuͤhre nur folgen-
de Stelle aus deſſen Italieniſcher Reiſe hier an:

„Es iſt keine Jahreszeit, wo man ſich nicht uͤberall von
Eßwaaren umgeben ſaͤhe, und der Neapolitaner freut ſich nicht
allein des Eſſens, ſondern er will auch, daß die Waare zum
Verkauf ſchoͤn aufgeputzt ſei. — Bei Santa Lucia ſind die
Fiſche nach ihren Gattungen meiſt in reinlichen und artigen
Koͤrben. Krebſe, Auſtern, Scheiden, kleine Muſcheln, jedes be-
ſonders aufgetiſcht und mit gruͤnen Blaͤttern unterlegt. Die
Laͤden von getrocknetem Obſt und Huͤlſenfruͤchten ſind auf das
Mannigfaltigſte herausgeputzt. Die ausgebreiteten Pomeran-
zen und Citronen von allen Sorten, mit dazwiſchen hervorſte-
hendem gruͤnen Laub, dem Auge ſehr erfreulich. Aber nirgends
putzen ſie mehr als bei den Fleiſchwaaren, nach welchen das
Auge des Volkes beſonders luͤſtern gerichtet iſt, weil der Appe-
tit durch periodiſches Entbehren nur mehr gereizt wird.

In den Fleiſchbaͤnken haͤngen die Theile der Ochſen, Kaͤl-
ber, Schoͤpſe niemals aus, ohne daß neben dem Fett zugleich
die Seite oder die Keule ſtark vergoldet ſei. Es ſind verſchiedene
Tage im Jahr, beſonders die Weihnachtsfeiertage, als Schmaus-
feſte beruͤhmt; alsdann feiert man eine allgemeine Cocagna,
wozu ſich 500,000 Menſchen das Wort gegeben haben. Dann
iſt aber auch die Straße Toledo und neben ihr mehrere Stra-
ßen und Plaͤtze auf das Appetitlichſte verziert. Die Boutiquen,
wo gruͤne Sachen verkauft werden, wo Roſinen, Melonen und
Feigen aufgeſetzt ſind, erfreuen das Auge auf das Allerange-
nehmſte. Die Eßwaaren haͤngen in Guirlanden uͤber die Stra-
ßen hinuͤber; große Paternoſter von vergoldeten, mit rothen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0070" n="56"/>
Geru&#x0364;cht, als ob ich krank &#x017F;ei, i&#x017F;t dermaßen fal&#x017F;ch, daß ich mich<lb/>
niemals be&#x017F;&#x017F;er befunden habe, und da mich mein Schneider nach<lb/>
meiner Ru&#x0364;ckkehr von Neapel ausmaß, fand &#x017F;ich ein Unter&#x017F;chied<lb/>
von zwei Finger breit im Umkrei&#x017F;e. Auch <hi rendition="#g">Goethe</hi> gedenkt mit<lb/>
freudigem Lobe des Neapolitani&#x017F;chen Blumenkohls, Kohls,<lb/>
Salats, der Broccoli und Arti&#x017F;chocken. Ich fu&#x0364;hre nur folgen-<lb/>
de Stelle aus de&#x017F;&#x017F;en Italieni&#x017F;cher Rei&#x017F;e hier an:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es i&#x017F;t keine Jahreszeit, wo man &#x017F;ich nicht u&#x0364;berall von<lb/>
Eßwaaren umgeben &#x017F;a&#x0364;he, und der Neapolitaner freut &#x017F;ich nicht<lb/>
allein des E&#x017F;&#x017F;ens, &#x017F;ondern er will auch, daß die Waare zum<lb/>
Verkauf &#x017F;cho&#x0364;n aufgeputzt &#x017F;ei. &#x2014; Bei <hi rendition="#g">Santa Lucia</hi> &#x017F;ind die<lb/>
Fi&#x017F;che nach ihren Gattungen mei&#x017F;t in reinlichen und artigen<lb/>
Ko&#x0364;rben. Kreb&#x017F;e, Au&#x017F;tern, Scheiden, kleine Mu&#x017F;cheln, jedes be-<lb/>
&#x017F;onders aufgeti&#x017F;cht und mit gru&#x0364;nen Bla&#x0364;ttern unterlegt. Die<lb/>
La&#x0364;den von getrocknetem Ob&#x017F;t und Hu&#x0364;l&#x017F;enfru&#x0364;chten &#x017F;ind auf das<lb/>
Mannigfaltig&#x017F;te herausgeputzt. Die ausgebreiteten Pomeran-<lb/>
zen und Citronen von allen Sorten, mit dazwi&#x017F;chen hervor&#x017F;te-<lb/>
hendem gru&#x0364;nen Laub, dem Auge &#x017F;ehr erfreulich. Aber nirgends<lb/>
putzen &#x017F;ie mehr als bei den Flei&#x017F;chwaaren, nach welchen das<lb/>
Auge des Volkes be&#x017F;onders lu&#x0364;&#x017F;tern gerichtet i&#x017F;t, weil der Appe-<lb/>
tit durch periodi&#x017F;ches Entbehren nur mehr gereizt wird.</p><lb/>
        <p>In den Flei&#x017F;chba&#x0364;nken ha&#x0364;ngen die Theile der Och&#x017F;en, Ka&#x0364;l-<lb/>
ber, Scho&#x0364;p&#x017F;e niemals aus, ohne daß neben dem Fett zugleich<lb/>
die Seite oder die Keule &#x017F;tark vergoldet &#x017F;ei. Es &#x017F;ind ver&#x017F;chiedene<lb/>
Tage im Jahr, be&#x017F;onders die Weihnachtsfeiertage, als Schmaus-<lb/>
fe&#x017F;te beru&#x0364;hmt; alsdann feiert man eine allgemeine <hi rendition="#g">Cocagna</hi>,<lb/>
wozu &#x017F;ich 500,000 Men&#x017F;chen das Wort gegeben haben. Dann<lb/>
i&#x017F;t aber auch die Straße <hi rendition="#g">Toledo</hi> und neben ihr mehrere Stra-<lb/>
ßen und Pla&#x0364;tze auf das Appetitlich&#x017F;te verziert. Die Boutiquen,<lb/>
wo gru&#x0364;ne Sachen verkauft werden, wo Ro&#x017F;inen, Melonen und<lb/>
Feigen aufge&#x017F;etzt &#x017F;ind, erfreuen das Auge auf das Allerange-<lb/>
nehm&#x017F;te. Die Eßwaaren ha&#x0364;ngen in Guirlanden u&#x0364;ber die Stra-<lb/>
ßen hinu&#x0364;ber; große Paterno&#x017F;ter von vergoldeten, mit rothen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0070] Geruͤcht, als ob ich krank ſei, iſt dermaßen falſch, daß ich mich niemals beſſer befunden habe, und da mich mein Schneider nach meiner Ruͤckkehr von Neapel ausmaß, fand ſich ein Unterſchied von zwei Finger breit im Umkreiſe. Auch Goethe gedenkt mit freudigem Lobe des Neapolitaniſchen Blumenkohls, Kohls, Salats, der Broccoli und Artiſchocken. Ich fuͤhre nur folgen- de Stelle aus deſſen Italieniſcher Reiſe hier an: „Es iſt keine Jahreszeit, wo man ſich nicht uͤberall von Eßwaaren umgeben ſaͤhe, und der Neapolitaner freut ſich nicht allein des Eſſens, ſondern er will auch, daß die Waare zum Verkauf ſchoͤn aufgeputzt ſei. — Bei Santa Lucia ſind die Fiſche nach ihren Gattungen meiſt in reinlichen und artigen Koͤrben. Krebſe, Auſtern, Scheiden, kleine Muſcheln, jedes be- ſonders aufgetiſcht und mit gruͤnen Blaͤttern unterlegt. Die Laͤden von getrocknetem Obſt und Huͤlſenfruͤchten ſind auf das Mannigfaltigſte herausgeputzt. Die ausgebreiteten Pomeran- zen und Citronen von allen Sorten, mit dazwiſchen hervorſte- hendem gruͤnen Laub, dem Auge ſehr erfreulich. Aber nirgends putzen ſie mehr als bei den Fleiſchwaaren, nach welchen das Auge des Volkes beſonders luͤſtern gerichtet iſt, weil der Appe- tit durch periodiſches Entbehren nur mehr gereizt wird. In den Fleiſchbaͤnken haͤngen die Theile der Ochſen, Kaͤl- ber, Schoͤpſe niemals aus, ohne daß neben dem Fett zugleich die Seite oder die Keule ſtark vergoldet ſei. Es ſind verſchiedene Tage im Jahr, beſonders die Weihnachtsfeiertage, als Schmaus- feſte beruͤhmt; alsdann feiert man eine allgemeine Cocagna, wozu ſich 500,000 Menſchen das Wort gegeben haben. Dann iſt aber auch die Straße Toledo und neben ihr mehrere Stra- ßen und Plaͤtze auf das Appetitlichſte verziert. Die Boutiquen, wo gruͤne Sachen verkauft werden, wo Roſinen, Melonen und Feigen aufgeſetzt ſind, erfreuen das Auge auf das Allerange- nehmſte. Die Eßwaaren haͤngen in Guirlanden uͤber die Stra- ßen hinuͤber; große Paternoſter von vergoldeten, mit rothen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/70
Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/70>, abgerufen am 22.11.2024.