Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.Bornitur, lyrische Befangenheit und spießbürgerlich beschränkte Vergebens mochten Dritte zu bedenken geben, daß beide, Was die Einen als lebenslustige und kräftige schöne Hei- Die eine Partei stieß sich immer an den abstrakten Be- Vergebens würde man chemisch, physiologisch, histologisch, Einzelne, zwischen beiden schwankend, gaben nur einzelne 15
Bornitur, lyriſche Befangenheit und ſpießbuͤrgerlich beſchraͤnkte Vergebens mochten Dritte zu bedenken geben, daß beide, Was die Einen als lebensluſtige und kraͤftige ſchoͤne Hei- Die eine Partei ſtieß ſich immer an den abſtrakten Be- Vergebens wuͤrde man chemiſch, phyſiologiſch, hiſtologiſch, Einzelne, zwiſchen beiden ſchwankend, gaben nur einzelne 15
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0239" n="225"/> Bornitur, lyriſche Befangenheit und ſpießbuͤrgerlich beſchraͤnkte<lb/> Subjektivitaͤt zum Vorwurf machen.</p><lb/> <p>Vergebens mochten Dritte zu bedenken geben, daß beide,<lb/> Ochſe und Schwein, zwei gleich werthe animaliſche Mitglieder<lb/> der Geſellſchaft ſeien, jedes derſelben gleich befugt ſei, dazuſein,<lb/> jedes gaͤbe, was es eben haͤtte und waͤre, jedes von beiden<lb/> ſeine ſpezifiſchen trefflichen Eigenſchaften habe; dem Charakter<lb/> des Schweins zwar groͤßere Vielſeitigkeit, dagegen dem des<lb/> Ochſen groͤßere Simplicitaͤt nicht abgeſprochen werden duͤrfe,<lb/> da dieſer Gras, jenes aber alles Moͤgliche freſſe und verdaue,<lb/> daß uͤbrigens bei Geſchmacksurtheilen nicht vom moraliſchen,<lb/> ſondern vom aͤſthetiſchen Geſichtspunkte aus der Gegenſtand auf-<lb/> zufaſſen ſei, daß uͤbrigens gar nicht abzuſehen ſei, warum ein<lb/> Ochs ſittlicher ſein ſolle, als ein Schwein, — es brachte keine<lb/> Entſcheidung.</p><lb/> <p>Was die Einen als lebensluſtige und kraͤftige ſchoͤne Hei-<lb/> terkeit prieſen, tadelten die Anderen als faunenhafte Frivolitaͤt.<lb/> Dagegen ſchalten jene traurigen Bloͤdſinn und melancholiſches<lb/> Wiederkaͤuen, was dieſe maͤnnlich ernſte Stimmung und hoͤhere<lb/> Wuͤrde nannten.</p><lb/> <p>Die eine Partei ſtieß ſich immer an den abſtrakten Be-<lb/> griff: „Schweinerei,“ die andere an den: „Ochſenhaftigkeit,“<lb/> und beide warfen ſich beides vor und vergaßen, wie trefflich<lb/> concrete Schweins- und Rindsbraten wirklich ſchmecken.</p><lb/> <p>Vergebens wuͤrde man chemiſch, phyſiologiſch, hiſtologiſch,<lb/> zootomiſch ꝛc. nachgewieſen haben, daß der große Unterſchied,<lb/> den man finden wolle, zwiſchen beiden ſtreitigen Objekten we-<lb/> ſentlich gar nicht vorhanden ſei.</p><lb/> <p>Einzelne, zwiſchen beiden ſchwankend, gaben nur einzelne<lb/> zufaͤllige Urtheile, die natuͤrlich um ſo weniger entſcheiden konn-<lb/> ten. So ſagte z. B. der Junker <hi rendition="#g">Tobias</hi> in <hi rendition="#g">Shakeſpeare’s</hi><lb/> Was ihr wollt: „Mir iſt, als haͤtt’ ich manchmal nicht mehr<lb/> Witz, als ein Chriſtenſohn oder ein gewoͤhnlicher Menſch hat.<lb/> <fw place="bottom" type="sig">15</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [225/0239]
Bornitur, lyriſche Befangenheit und ſpießbuͤrgerlich beſchraͤnkte
Subjektivitaͤt zum Vorwurf machen.
Vergebens mochten Dritte zu bedenken geben, daß beide,
Ochſe und Schwein, zwei gleich werthe animaliſche Mitglieder
der Geſellſchaft ſeien, jedes derſelben gleich befugt ſei, dazuſein,
jedes gaͤbe, was es eben haͤtte und waͤre, jedes von beiden
ſeine ſpezifiſchen trefflichen Eigenſchaften habe; dem Charakter
des Schweins zwar groͤßere Vielſeitigkeit, dagegen dem des
Ochſen groͤßere Simplicitaͤt nicht abgeſprochen werden duͤrfe,
da dieſer Gras, jenes aber alles Moͤgliche freſſe und verdaue,
daß uͤbrigens bei Geſchmacksurtheilen nicht vom moraliſchen,
ſondern vom aͤſthetiſchen Geſichtspunkte aus der Gegenſtand auf-
zufaſſen ſei, daß uͤbrigens gar nicht abzuſehen ſei, warum ein
Ochs ſittlicher ſein ſolle, als ein Schwein, — es brachte keine
Entſcheidung.
Was die Einen als lebensluſtige und kraͤftige ſchoͤne Hei-
terkeit prieſen, tadelten die Anderen als faunenhafte Frivolitaͤt.
Dagegen ſchalten jene traurigen Bloͤdſinn und melancholiſches
Wiederkaͤuen, was dieſe maͤnnlich ernſte Stimmung und hoͤhere
Wuͤrde nannten.
Die eine Partei ſtieß ſich immer an den abſtrakten Be-
griff: „Schweinerei,“ die andere an den: „Ochſenhaftigkeit,“
und beide warfen ſich beides vor und vergaßen, wie trefflich
concrete Schweins- und Rindsbraten wirklich ſchmecken.
Vergebens wuͤrde man chemiſch, phyſiologiſch, hiſtologiſch,
zootomiſch ꝛc. nachgewieſen haben, daß der große Unterſchied,
den man finden wolle, zwiſchen beiden ſtreitigen Objekten we-
ſentlich gar nicht vorhanden ſei.
Einzelne, zwiſchen beiden ſchwankend, gaben nur einzelne
zufaͤllige Urtheile, die natuͤrlich um ſo weniger entſcheiden konn-
ten. So ſagte z. B. der Junker Tobias in Shakeſpeare’s
Was ihr wollt: „Mir iſt, als haͤtt’ ich manchmal nicht mehr
Witz, als ein Chriſtenſohn oder ein gewoͤhnlicher Menſch hat.
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