wohl schmecken läßt, denkt nicht weiter daran, aus welchen Gründen diese Speise so weite Verbreitung gefunden, oder sucht höchstens die Ursache in deren Wohlgeschmack, Wohlfeilheit, leichtem Anbau, sättigenden Massenhaftigkeit, LudwigXV., und dergleichen. Er lese aber eine neuere Eubiotik, und staune über die tiefe Bedeutung des Kartoffelessens. Nichts Gerin- geres nämlich, als "die riesenhaft und ungestüm vorwärts schrei- tende Entwicklung der höheren Beziehungen des Menschenlebens im Laufe der letzten Jahrhunderte machte die Kartoffeln instink- tisch als gelind gegenhaltendes und retardirendes Mittel zu einem so sehr verbreiteten Commestibel. Denn der Kartoffel ist stets eine narkotische Kraft in geringem Grade eigen, und durch diese eben werden jene höheren Beziehungen des Menschenlebens ge- dämpft und herabgezogen."
Der Kartoffelesser braucht darüber nicht zu erschrecken und um seine höheren Beziehungen bange zu werden, sondern mag getrost fortessen; es hat damit nicht so viel zu sagen. Derselbe Verfasser bietet die beste Hilfe. Der Caffee-Aufguß ist näm- lich, -- was auch Manche nicht wissen, eines der wichtigsten und wirksamsten Hilfsmittel zur raschen, energischen und viel- seitigen Entwicklung des sensitiven und dadurch mittelbar selbst des höhern geistigen Lebens in Europa durch die letzten Jahr- hunderte.
Man hat also durch dieses Correktiv die Sache in seiner Hand. Wer Vormittags einer Sitzung beizuwohnen hat, in welcher er dumm sein soll, wird sich die Sache durch ein Kar- toffelfrühstück sehr erleichtern. Ist's vorbei, so trinkt er ein paar Tassen Caffee, und ist so gescheidt, wie zuvor.
Es liegt ein furchtbar fruchtbarer Wink für diejenigen, die wollen, daß es wieder rückwärts gehen soll, in diesen Worten. Sie brauchen blos den Caffee zu verbieten und zu bewirken, daß Jeder Kartoffeln ißt. LudwigXV. begünstigte bekanntlich den Kartoffelbau mit merkwürdigem Eifer. Napoleon verbot
wohl ſchmecken laͤßt, denkt nicht weiter daran, aus welchen Gruͤnden dieſe Speiſe ſo weite Verbreitung gefunden, oder ſucht hoͤchſtens die Urſache in deren Wohlgeſchmack, Wohlfeilheit, leichtem Anbau, ſaͤttigenden Maſſenhaftigkeit, LudwigXV., und dergleichen. Er leſe aber eine neuere Eubiotik, und ſtaune uͤber die tiefe Bedeutung des Kartoffeleſſens. Nichts Gerin- geres naͤmlich, als „die rieſenhaft und ungeſtuͤm vorwaͤrts ſchrei- tende Entwicklung der hoͤheren Beziehungen des Menſchenlebens im Laufe der letzten Jahrhunderte machte die Kartoffeln inſtink- tiſch als gelind gegenhaltendes und retardirendes Mittel zu einem ſo ſehr verbreiteten Commestibel. Denn der Kartoffel iſt ſtets eine narkotiſche Kraft in geringem Grade eigen, und durch dieſe eben werden jene hoͤheren Beziehungen des Menſchenlebens ge- daͤmpft und herabgezogen.“
Der Kartoffeleſſer braucht daruͤber nicht zu erſchrecken und um ſeine hoͤheren Beziehungen bange zu werden, ſondern mag getroſt forteſſen; es hat damit nicht ſo viel zu ſagen. Derſelbe Verfaſſer bietet die beſte Hilfe. Der Caffée-Aufguß iſt naͤm- lich, — was auch Manche nicht wiſſen, eines der wichtigſten und wirkſamſten Hilfsmittel zur raſchen, energiſchen und viel- ſeitigen Entwicklung des ſenſitiven und dadurch mittelbar ſelbſt des hoͤhern geiſtigen Lebens in Europa durch die letzten Jahr- hunderte.
Man hat alſo durch dieſes Correktiv die Sache in ſeiner Hand. Wer Vormittags einer Sitzung beizuwohnen hat, in welcher er dumm ſein ſoll, wird ſich die Sache durch ein Kar- toffelfruͤhſtuͤck ſehr erleichtern. Iſt’s vorbei, ſo trinkt er ein paar Taſſen Caffée, und iſt ſo geſcheidt, wie zuvor.
Es liegt ein furchtbar fruchtbarer Wink fuͤr diejenigen, die wollen, daß es wieder ruͤckwaͤrts gehen ſoll, in dieſen Worten. Sie brauchen blos den Caffée zu verbieten und zu bewirken, daß Jeder Kartoffeln ißt. LudwigXV. beguͤnſtigte bekanntlich den Kartoffelbau mit merkwuͤrdigem Eifer. Napoleon verbot
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und dergleichen. Er leſe aber eine neuere Eubiotik, und ſtaune
uͤber die tiefe Bedeutung des Kartoffeleſſens. Nichts Gerin-
geres naͤmlich, als „die rieſenhaft und ungeſtuͤm vorwaͤrts ſchrei-
tende Entwicklung der hoͤheren Beziehungen des Menſchenlebens
im Laufe der letzten Jahrhunderte machte die Kartoffeln inſtink-
tiſch als gelind gegenhaltendes und retardirendes Mittel zu einem
ſo ſehr verbreiteten Commestibel. Denn der Kartoffel iſt ſtets
eine narkotiſche Kraft in geringem Grade eigen, und durch dieſe
eben werden jene hoͤheren Beziehungen des Menſchenlebens ge-
daͤmpft und herabgezogen.“
Der Kartoffeleſſer braucht daruͤber nicht zu erſchrecken und
um ſeine hoͤheren Beziehungen bange zu werden, ſondern mag
getroſt forteſſen; es hat damit nicht ſo viel zu ſagen. Derſelbe
Verfaſſer bietet die beſte Hilfe. Der Caffée-Aufguß iſt naͤm-
lich, — was auch Manche nicht wiſſen, eines der wichtigſten
und wirkſamſten Hilfsmittel zur raſchen, energiſchen und viel-
ſeitigen Entwicklung des ſenſitiven und dadurch mittelbar ſelbſt
des hoͤhern geiſtigen Lebens in Europa durch die letzten Jahr-
hunderte.
Man hat alſo durch dieſes Correktiv die Sache in ſeiner
Hand. Wer Vormittags einer Sitzung beizuwohnen hat, in
welcher er dumm ſein ſoll, wird ſich die Sache durch ein Kar-
toffelfruͤhſtuͤck ſehr erleichtern. Iſt’s vorbei, ſo trinkt er ein paar
Taſſen Caffée, und iſt ſo geſcheidt, wie zuvor.
Es liegt ein furchtbar fruchtbarer Wink fuͤr diejenigen, die
wollen, daß es wieder ruͤckwaͤrts gehen ſoll, in dieſen Worten.
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/232>, abgerufen am 23.07.2024.
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