Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Die entsprechenden vegetabilischen Gegensätze verstehen sich,
nach dem aufgestellten Prinzip, hier und für das Folgende, von
selbst, natürlich je in vervielfältiger Mannigfaltigkeit.

Als aller Empfehlung würdig muß hier des in Italien
üblichen Imbisses von Schinken, gesalzenen Zungen, Sardellen,
geräucherten Würstchen und Würsten, Neunaugen etc. gedacht
werden. Diese Speisen, als Vorläufer des eigentlichen Essens,
haben die Aufgabe, die Eßlust nur mehr anzuregen, zu deter-
miniren, durchaus aber nicht zu befriedigen; wollen also cum
grano salis
genossen werden. Wie sie ihren Zweck nicht er-
füllen, beweist der Schottländer, von dem Byron erzählt,
welcher gehört hatte, daß Vögel, die man dort Kittiewiaks heißt,
besonders die Eßlust reizten, und sechs Stück davon verzehrte,
darauf aber klagte: er wäre nicht hungriger, als vorher.

Goethe deutet eben so kurz als treffend die Hauptbe-
standtheile eines Mahles mit den Worten
"Vögel, Wild und Fische"
an, und allerdings sollte, meiner bescheidenen Meinung nach,
keines der drei bei einem eigentlichen Gastmahle fehlen. Diese
sollten die Grundzüge, gleichsam die Disposition der Predigt,
bilden, wie viel auch dazwischen und nebenbei angebracht wer-
den möge. Am passendsten folgten sich diese Gerichte wohl in
der Weise, daß, nach dem Rindfleisch oder dessen Stellvertreter
und ein paar kurzen Uebergangsaccorden, Fische aufgetragen
würden. Nach einem weiteren Uebergang käme dann der oder
die Braten, wild oder zahm, -- und diesem folgte eben so
Geflügel, zahm oder wild.

Pastetchen, Torten, Krebse und dergleichen würden ein
mildes Verklingen, ein süßes dahinsterbendes Decrescendo ver-
mitteln, bis endlich das Ganze in den wohlgesetzten Schluß-
accorden eines wohlbesetzten Desserts von Obst, Confituren etc.
(Butter und Käse, als herkömmliche Fermate) im schmelzenden

Die entſprechenden vegetabiliſchen Gegenſaͤtze verſtehen ſich,
nach dem aufgeſtellten Prinzip, hier und fuͤr das Folgende, von
ſelbſt, natuͤrlich je in vervielfaͤltiger Mannigfaltigkeit.

Als aller Empfehlung wuͤrdig muß hier des in Italien
uͤblichen Imbiſſes von Schinken, geſalzenen Zungen, Sardellen,
geraͤucherten Wuͤrſtchen und Wuͤrſten, Neunaugen ꝛc. gedacht
werden. Dieſe Speiſen, als Vorlaͤufer des eigentlichen Eſſens,
haben die Aufgabe, die Eßluſt nur mehr anzuregen, zu deter-
miniren, durchaus aber nicht zu befriedigen; wollen alſo cum
grano salis
genoſſen werden. Wie ſie ihren Zweck nicht er-
fuͤllen, beweiſt der Schottlaͤnder, von dem Byron erzaͤhlt,
welcher gehoͤrt hatte, daß Voͤgel, die man dort Kittiewiaks heißt,
beſonders die Eßluſt reizten, und ſechs Stuͤck davon verzehrte,
darauf aber klagte: er waͤre nicht hungriger, als vorher.

Goethe deutet eben ſo kurz als treffend die Hauptbe-
ſtandtheile eines Mahles mit den Worten
„Voͤgel, Wild und Fiſche“
an, und allerdings ſollte, meiner beſcheidenen Meinung nach,
keines der drei bei einem eigentlichen Gaſtmahle fehlen. Dieſe
ſollten die Grundzuͤge, gleichſam die Dispoſition der Predigt,
bilden, wie viel auch dazwiſchen und nebenbei angebracht wer-
den moͤge. Am paſſendſten folgten ſich dieſe Gerichte wohl in
der Weiſe, daß, nach dem Rindfleiſch oder deſſen Stellvertreter
und ein paar kurzen Uebergangsaccorden, Fiſche aufgetragen
wuͤrden. Nach einem weiteren Uebergang kaͤme dann der oder
die Braten, wild oder zahm, — und dieſem folgte eben ſo
Gefluͤgel, zahm oder wild.

Paſtetchen, Torten, Krebſe und dergleichen wuͤrden ein
mildes Verklingen, ein ſuͤßes dahinſterbendes Decrescendo ver-
mitteln, bis endlich das Ganze in den wohlgeſetzten Schluß-
accorden eines wohlbeſetzten Deſſerts von Obſt, Confituren ꝛc.
(Butter und Kaͤſe, als herkoͤmmliche Fermate) im ſchmelzenden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0226" n="212"/>
        <p>Die ent&#x017F;prechenden vegetabili&#x017F;chen Gegen&#x017F;a&#x0364;tze ver&#x017F;tehen &#x017F;ich,<lb/>
nach dem aufge&#x017F;tellten Prinzip, hier und fu&#x0364;r das Folgende, von<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, natu&#x0364;rlich je in vervielfa&#x0364;ltiger Mannigfaltigkeit.</p><lb/>
        <p>Als aller Empfehlung wu&#x0364;rdig muß hier des in Italien<lb/>
u&#x0364;blichen Imbi&#x017F;&#x017F;es von Schinken, ge&#x017F;alzenen Zungen, Sardellen,<lb/>
gera&#x0364;ucherten Wu&#x0364;r&#x017F;tchen und Wu&#x0364;r&#x017F;ten, Neunaugen &#xA75B;c. gedacht<lb/>
werden. Die&#x017F;e Spei&#x017F;en, als Vorla&#x0364;ufer des eigentlichen E&#x017F;&#x017F;ens,<lb/>
haben die Aufgabe, die Eßlu&#x017F;t nur mehr anzuregen, zu deter-<lb/>
miniren, durchaus aber nicht zu befriedigen; wollen al&#x017F;o <hi rendition="#aq">cum<lb/>
grano salis</hi> geno&#x017F;&#x017F;en werden. Wie &#x017F;ie ihren Zweck nicht er-<lb/>
fu&#x0364;llen, bewei&#x017F;t der Schottla&#x0364;nder, von dem <hi rendition="#g">Byron</hi> erza&#x0364;hlt,<lb/>
welcher geho&#x0364;rt hatte, daß Vo&#x0364;gel, die man dort Kittiewiaks heißt,<lb/>
be&#x017F;onders die Eßlu&#x017F;t reizten, und &#x017F;echs Stu&#x0364;ck davon verzehrte,<lb/>
darauf aber klagte: er wa&#x0364;re nicht hungriger, als vorher.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Goethe</hi> deutet eben &#x017F;o kurz als treffend die Hauptbe-<lb/>
&#x017F;tandtheile eines Mahles mit den Worten<lb/><hi rendition="#c">&#x201E;Vo&#x0364;gel, Wild und Fi&#x017F;che&#x201C;</hi><lb/>
an, und allerdings &#x017F;ollte, meiner be&#x017F;cheidenen Meinung nach,<lb/>
keines der drei bei einem eigentlichen Ga&#x017F;tmahle fehlen. Die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ollten die Grundzu&#x0364;ge, gleich&#x017F;am die Dispo&#x017F;ition der Predigt,<lb/>
bilden, wie viel auch dazwi&#x017F;chen und nebenbei angebracht wer-<lb/>
den mo&#x0364;ge. Am pa&#x017F;&#x017F;end&#x017F;ten folgten &#x017F;ich die&#x017F;e Gerichte wohl in<lb/>
der Wei&#x017F;e, daß, nach dem Rindflei&#x017F;ch oder de&#x017F;&#x017F;en Stellvertreter<lb/>
und ein paar kurzen Uebergangsaccorden, Fi&#x017F;che aufgetragen<lb/>
wu&#x0364;rden. Nach einem weiteren Uebergang ka&#x0364;me dann der oder<lb/>
die Braten, wild oder zahm, &#x2014; und die&#x017F;em folgte eben &#x017F;o<lb/>
Geflu&#x0364;gel, zahm oder wild.</p><lb/>
        <p>Pa&#x017F;tetchen, Torten, Kreb&#x017F;e und dergleichen wu&#x0364;rden ein<lb/>
mildes Verklingen, ein &#x017F;u&#x0364;ßes dahin&#x017F;terbendes Decrescendo ver-<lb/>
mitteln, bis endlich das Ganze in den wohlge&#x017F;etzten Schluß-<lb/>
accorden eines wohlbe&#x017F;etzten De&#x017F;&#x017F;erts von Ob&#x017F;t, Confituren &#xA75B;c.<lb/>
(Butter und Ka&#x0364;&#x017F;e, als herko&#x0364;mmliche Fermate) im &#x017F;chmelzenden<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0226] Die entſprechenden vegetabiliſchen Gegenſaͤtze verſtehen ſich, nach dem aufgeſtellten Prinzip, hier und fuͤr das Folgende, von ſelbſt, natuͤrlich je in vervielfaͤltiger Mannigfaltigkeit. Als aller Empfehlung wuͤrdig muß hier des in Italien uͤblichen Imbiſſes von Schinken, geſalzenen Zungen, Sardellen, geraͤucherten Wuͤrſtchen und Wuͤrſten, Neunaugen ꝛc. gedacht werden. Dieſe Speiſen, als Vorlaͤufer des eigentlichen Eſſens, haben die Aufgabe, die Eßluſt nur mehr anzuregen, zu deter- miniren, durchaus aber nicht zu befriedigen; wollen alſo cum grano salis genoſſen werden. Wie ſie ihren Zweck nicht er- fuͤllen, beweiſt der Schottlaͤnder, von dem Byron erzaͤhlt, welcher gehoͤrt hatte, daß Voͤgel, die man dort Kittiewiaks heißt, beſonders die Eßluſt reizten, und ſechs Stuͤck davon verzehrte, darauf aber klagte: er waͤre nicht hungriger, als vorher. Goethe deutet eben ſo kurz als treffend die Hauptbe- ſtandtheile eines Mahles mit den Worten „Voͤgel, Wild und Fiſche“ an, und allerdings ſollte, meiner beſcheidenen Meinung nach, keines der drei bei einem eigentlichen Gaſtmahle fehlen. Dieſe ſollten die Grundzuͤge, gleichſam die Dispoſition der Predigt, bilden, wie viel auch dazwiſchen und nebenbei angebracht wer- den moͤge. Am paſſendſten folgten ſich dieſe Gerichte wohl in der Weiſe, daß, nach dem Rindfleiſch oder deſſen Stellvertreter und ein paar kurzen Uebergangsaccorden, Fiſche aufgetragen wuͤrden. Nach einem weiteren Uebergang kaͤme dann der oder die Braten, wild oder zahm, — und dieſem folgte eben ſo Gefluͤgel, zahm oder wild. Paſtetchen, Torten, Krebſe und dergleichen wuͤrden ein mildes Verklingen, ein ſuͤßes dahinſterbendes Decrescendo ver- mitteln, bis endlich das Ganze in den wohlgeſetzten Schluß- accorden eines wohlbeſetzten Deſſerts von Obſt, Confituren ꝛc. (Butter und Kaͤſe, als herkoͤmmliche Fermate) im ſchmelzenden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/226
Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/226>, abgerufen am 18.05.2024.