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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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verwendet wurde, befindlich ist, welche, wenn sie übersehen und
nicht entfernt wird, einen sehr störenden, unangenehm knirr-
schenden Eindruck auf die Zähne, und somit auf den ganzen
Menschen hervorbringt.

Es versteht sich von selbst, daß man im fraglichen Falle
bemerkte Allotria auf kluge Weise unbemerkt zu entfernen habe.
Ich kann auf dergleichen minutiose Regeln nicht eingehen, weil
das viel Wichtigere, welches mir zu sagen obliegt, viel zu kurz
dadurch käme. So giebt auch Zobel den ausdrücklichen Rath,
sich nicht an die Serviette zu schnäutzen. Obschon nun, nach
einer bereits angeführten Stelle Winckelmann's, zu vermuthen
steht, daß dieß bei Griechen und Römern jezuweilen vorgekom-
men, kann doch davon nicht weiter die Rede sein. Derselbe
Zobel empfiehlt, fette Finger nicht mit der Serviette, sondern
mit Brod abzuwischen. Wie widerlich! -- Hier liegt die
spiesbürgerliche Idee zu Grunde, die Servietten möglichst zu
schonen. Die Bestimmung der Serviette auf der Welt ist
aber gerade die, nicht geschont zu werden. Es ergiebt sich aber
hieraus noch die zu beherzigende Regel: Zweck des Eßbaren ist
das Gegessenwerden; -- jeder andere Gebrauch, der bei Tisch
davon gemacht wird, ist zweckwidrig, herabwürdigend, appetit-
störend. So streicht auch mancher gute Hausvater am Messer
haftende Fleisch- und Fetttheilchen sorgfältig auf's Brod, wel-
ches er dann noch einmal so gerne ißt, weil er auf diese Art
"nichts hat umkommen lassen." Löffel, Messer und Gabel
sind durchaus an der Serviette zu reinigen, da, wenn sie nicht
gewechselt werden, -- in welchem Fall ein Abwischen derselben
nicht nöthig ist -- sonst gar nichts zu thun übrig bleibt.

Uebrigens schneidet man manche feuchte Mehlspeisen, wie
Pudding, Klöße etc. nicht, weil sie durch den Druck des Messers
patzig werden und an Wohlgeschmack verlieren, sondern man
trennt sie durch zierliches Zerreißen, natürlich jedoch nicht mit den
Fingern. Brod aber kann man, wenn man anders nicht sym-

verwendet wurde, befindlich iſt, welche, wenn ſie uͤberſehen und
nicht entfernt wird, einen ſehr ſtoͤrenden, unangenehm knirr-
ſchenden Eindruck auf die Zaͤhne, und ſomit auf den ganzen
Menſchen hervorbringt.

Es verſteht ſich von ſelbſt, daß man im fraglichen Falle
bemerkte Allotria auf kluge Weiſe unbemerkt zu entfernen habe.
Ich kann auf dergleichen minutioſe Regeln nicht eingehen, weil
das viel Wichtigere, welches mir zu ſagen obliegt, viel zu kurz
dadurch kaͤme. So giebt auch Zobel den ausdruͤcklichen Rath,
ſich nicht an die Serviette zu ſchnaͤutzen. Obſchon nun, nach
einer bereits angefuͤhrten Stelle Winckelmann’s, zu vermuthen
ſteht, daß dieß bei Griechen und Roͤmern jezuweilen vorgekom-
men, kann doch davon nicht weiter die Rede ſein. Derſelbe
Zobel empfiehlt, fette Finger nicht mit der Serviette, ſondern
mit Brod abzuwiſchen. Wie widerlich! — Hier liegt die
ſpiesbuͤrgerliche Idee zu Grunde, die Servietten moͤglichſt zu
ſchonen. Die Beſtimmung der Serviette auf der Welt iſt
aber gerade die, nicht geſchont zu werden. Es ergiebt ſich aber
hieraus noch die zu beherzigende Regel: Zweck des Eßbaren iſt
das Gegeſſenwerden; — jeder andere Gebrauch, der bei Tiſch
davon gemacht wird, iſt zweckwidrig, herabwuͤrdigend, appetit-
ſtoͤrend. So ſtreicht auch mancher gute Hausvater am Meſſer
haftende Fleiſch- und Fetttheilchen ſorgfaͤltig auf’s Brod, wel-
ches er dann noch einmal ſo gerne ißt, weil er auf dieſe Art
„nichts hat umkommen laſſen.“ Loͤffel, Meſſer und Gabel
ſind durchaus an der Serviette zu reinigen, da, wenn ſie nicht
gewechſelt werden, — in welchem Fall ein Abwiſchen derſelben
nicht noͤthig iſt — ſonſt gar nichts zu thun uͤbrig bleibt.

Uebrigens ſchneidet man manche feuchte Mehlſpeiſen, wie
Pudding, Kloͤße ꝛc. nicht, weil ſie durch den Druck des Meſſers
patzig werden und an Wohlgeſchmack verlieren, ſondern man
trennt ſie durch zierliches Zerreißen, natuͤrlich jedoch nicht mit den
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[171/0185] verwendet wurde, befindlich iſt, welche, wenn ſie uͤberſehen und nicht entfernt wird, einen ſehr ſtoͤrenden, unangenehm knirr- ſchenden Eindruck auf die Zaͤhne, und ſomit auf den ganzen Menſchen hervorbringt. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß man im fraglichen Falle bemerkte Allotria auf kluge Weiſe unbemerkt zu entfernen habe. Ich kann auf dergleichen minutioſe Regeln nicht eingehen, weil das viel Wichtigere, welches mir zu ſagen obliegt, viel zu kurz dadurch kaͤme. So giebt auch Zobel den ausdruͤcklichen Rath, ſich nicht an die Serviette zu ſchnaͤutzen. Obſchon nun, nach einer bereits angefuͤhrten Stelle Winckelmann’s, zu vermuthen ſteht, daß dieß bei Griechen und Roͤmern jezuweilen vorgekom- men, kann doch davon nicht weiter die Rede ſein. Derſelbe Zobel empfiehlt, fette Finger nicht mit der Serviette, ſondern mit Brod abzuwiſchen. Wie widerlich! — Hier liegt die ſpiesbuͤrgerliche Idee zu Grunde, die Servietten moͤglichſt zu ſchonen. Die Beſtimmung der Serviette auf der Welt iſt aber gerade die, nicht geſchont zu werden. Es ergiebt ſich aber hieraus noch die zu beherzigende Regel: Zweck des Eßbaren iſt das Gegeſſenwerden; — jeder andere Gebrauch, der bei Tiſch davon gemacht wird, iſt zweckwidrig, herabwuͤrdigend, appetit- ſtoͤrend. So ſtreicht auch mancher gute Hausvater am Meſſer haftende Fleiſch- und Fetttheilchen ſorgfaͤltig auf’s Brod, wel- ches er dann noch einmal ſo gerne ißt, weil er auf dieſe Art „nichts hat umkommen laſſen.“ Loͤffel, Meſſer und Gabel ſind durchaus an der Serviette zu reinigen, da, wenn ſie nicht gewechſelt werden, — in welchem Fall ein Abwiſchen derſelben nicht noͤthig iſt — ſonſt gar nichts zu thun uͤbrig bleibt. Uebrigens ſchneidet man manche feuchte Mehlſpeiſen, wie Pudding, Kloͤße ꝛc. nicht, weil ſie durch den Druck des Meſſers patzig werden und an Wohlgeſchmack verlieren, ſondern man trennt ſie durch zierliches Zerreißen, natuͤrlich jedoch nicht mit den Fingern. Brod aber kann man, wenn man anders nicht ſym-

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/185>, abgerufen am 24.11.2024.