Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.kleinen Teller voll. Das Getränk bestand aus Eibischabkochung, Ein armer Irländer fand einmal an der Landstraße Wai- 10*
kleinen Teller voll. Das Getraͤnk beſtand aus Eibiſchabkochung, Ein armer Irlaͤnder fand einmal an der Landſtraße Wai- 10*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0161" n="147"/> kleinen Teller voll. Das Getraͤnk beſtand aus Eibiſchabkochung,<lb/> Limonade, Zuckerwaſſer und lauterem Waſſer. Meine Nerven<lb/> wurden dadurch zu einer krankhaften Reizbarkeit geſteigert, wo-<lb/> durch ich Gegenſtaͤnde auf meiſtens hoͤchſt unangenehme, ja<lb/> ſchmerzhafte Weiſe perzipirte, welche mir vorher voͤllig gleich-<lb/> giltig geweſen waren. Hatte ich Meſſing oder Kupfer, z. B.<lb/> Zirkel, Kupferpfennige ꝛc. beruͤhrt, ſo war mir der an meiner<lb/> Hand davon haftende Geruch ſo unertraͤglich widrig und pei-<lb/> nigend, daß ich mir jedesmal nachher die Haͤnde waſchen mußte.<lb/> Ich war gezwungen, meine meſſingne Reißfeder abzuſchaffen<lb/> und mir eine ſilberne zu kaufen. Ein Mann, der mit Juch-<lb/> tenſtiefeln an den Fuͤßen, an mein Bett trat, erregte mir be-<lb/> deutenden Ekel. Ein Blumenſtrauß, welchen mir eine Freun-<lb/> din ſchickte, namentlich die Narziſſen deſſelben, brachte mir das<lb/> bisher voͤllig unbekannte Gefuͤhl des Schwindels. Radirte<lb/> Blaͤtter von <hi rendition="#g">Salvator Roſa</hi>, an deren Beſchauen ich fruͤher<lb/> oͤfter mich hoͤchſt behaglich erfreut hatte, kamen mir nun ge-<lb/> zwungen, ſteif, lang, liederlich, ja zum Theil garſtig vor. Eine<lb/> zugeſchlagene Stubenthuͤre, Anklopfen ꝛc. erſchreckte mich.<lb/> Kritzeln auf Glas und dergleichen affizirte mich auf das Schmerz-<lb/> hafteſte. Die Geſichtszuͤge beſuchender Freunde, welche mir<lb/> bisher als ſchoͤn gebildet und angenehm erſchienen waren, zeig-<lb/> ten ſich mir nun veraltet, unregelmaͤßig, unſchoͤn, fratzenhaft,<lb/> widerlich und ſo noch eine Menge Dinge mehr. Es waren<lb/> peinigende Zuſtaͤnde. Mit einer dauernden ſolchen Nervenreiz-<lb/> barkeit waͤr’s auf der Welt kaum auszuhalten. Ich hatte Muͤhe,<lb/> durch Fleiſchgenuß die fuͤr’s praktiſche Leben unentbehrliche ſtick-<lb/> ſtoffhaltige Grobheit wieder zu gewinnen, in deren Vollbeſitz<lb/> ich erſt wieder meines Daſeins froh wurde. Man ſoll alſo<lb/> Fleiſch eſſen, aber natuͤrlich Brod dazu.</p><lb/> <p>Ein armer Irlaͤnder fand einmal an der Landſtraße Wai-<lb/> zenbrod, welches ein reiſender Pariſer hatte liegen laſſen. Es<lb/> war das erſte Mal in ſeinem Leben, daß er dergleichen ſah. Er<lb/> <fw place="bottom" type="sig">10*</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [147/0161]
kleinen Teller voll. Das Getraͤnk beſtand aus Eibiſchabkochung,
Limonade, Zuckerwaſſer und lauterem Waſſer. Meine Nerven
wurden dadurch zu einer krankhaften Reizbarkeit geſteigert, wo-
durch ich Gegenſtaͤnde auf meiſtens hoͤchſt unangenehme, ja
ſchmerzhafte Weiſe perzipirte, welche mir vorher voͤllig gleich-
giltig geweſen waren. Hatte ich Meſſing oder Kupfer, z. B.
Zirkel, Kupferpfennige ꝛc. beruͤhrt, ſo war mir der an meiner
Hand davon haftende Geruch ſo unertraͤglich widrig und pei-
nigend, daß ich mir jedesmal nachher die Haͤnde waſchen mußte.
Ich war gezwungen, meine meſſingne Reißfeder abzuſchaffen
und mir eine ſilberne zu kaufen. Ein Mann, der mit Juch-
tenſtiefeln an den Fuͤßen, an mein Bett trat, erregte mir be-
deutenden Ekel. Ein Blumenſtrauß, welchen mir eine Freun-
din ſchickte, namentlich die Narziſſen deſſelben, brachte mir das
bisher voͤllig unbekannte Gefuͤhl des Schwindels. Radirte
Blaͤtter von Salvator Roſa, an deren Beſchauen ich fruͤher
oͤfter mich hoͤchſt behaglich erfreut hatte, kamen mir nun ge-
zwungen, ſteif, lang, liederlich, ja zum Theil garſtig vor. Eine
zugeſchlagene Stubenthuͤre, Anklopfen ꝛc. erſchreckte mich.
Kritzeln auf Glas und dergleichen affizirte mich auf das Schmerz-
hafteſte. Die Geſichtszuͤge beſuchender Freunde, welche mir
bisher als ſchoͤn gebildet und angenehm erſchienen waren, zeig-
ten ſich mir nun veraltet, unregelmaͤßig, unſchoͤn, fratzenhaft,
widerlich und ſo noch eine Menge Dinge mehr. Es waren
peinigende Zuſtaͤnde. Mit einer dauernden ſolchen Nervenreiz-
barkeit waͤr’s auf der Welt kaum auszuhalten. Ich hatte Muͤhe,
durch Fleiſchgenuß die fuͤr’s praktiſche Leben unentbehrliche ſtick-
ſtoffhaltige Grobheit wieder zu gewinnen, in deren Vollbeſitz
ich erſt wieder meines Daſeins froh wurde. Man ſoll alſo
Fleiſch eſſen, aber natuͤrlich Brod dazu.
Ein armer Irlaͤnder fand einmal an der Landſtraße Wai-
zenbrod, welches ein reiſender Pariſer hatte liegen laſſen. Es
war das erſte Mal in ſeinem Leben, daß er dergleichen ſah. Er
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