Caffee mit der Tasse, den Wein mit dem Glase. Noch mehr, er nahm sogar ein bleiernes Schreibzeug mit Dinte, Streusand, Federn und Federmesser zu sich. Ein wahrer Eßpolyhistor! Ein Morhof in seinem Fach!
Dieser große Mann entwickelte dabei manchmal den lie- benswürdigsten Humor. So fraß er z. B. einmal in einem Wirthshaus, dem liebsten Schauplatz seiner Darstellungen, einen ganzen Dudelsack. Der Virtuose, dem er gehörte, ein reisender Pohle, hatte eben, vom prophetischen Geiste ergriffen, das schöne Lied geblasen: "Pohlen ist noch nicht verloren" und glaubte nun, nachdem der Dudelsack gefressen war, jetzt käme die Reihe des Gefressenswerdens an ihn, lief daher, so schnell er konnte, davon und Kahle, zur großen Belustigung der Gäste des Wirthshauses zum schwarzen Adler, ihm nach.
Unter Anderm folgt hieraus: Esse nichts Ungenießbares, esse nichts, was Du nicht verdauen kannst!
Ueber das entgegengesetzte Gebot: Esse nicht zu wenig! -- sage ich deßhalb wenig, weil Fälle, welche sich dafür eigneten, sehr selten vorkommen, und wo sich dieses Gebot geltend machen könnte, die Schuld weniger am moralischen Willen, als an dem kleinen, organisch verengerten Magen liegt, der eben nicht viel faßt und verträgt, wogegen aber Mittel und Gebote gleich über- flüssig sind. Das möchte etwa hier zu erinnern sein, daß solche kleine Mägen, welche wenig fassen und vertragen, nicht affek- tiren und groß damit thun sollten, als wollten und möchten sie nicht mehr zu sich nehmen, während sie doch nicht können. Solche suchen gerne Collegen von umfassenderer Capazität und daher umfassenderem Bedarf, als unsittliche Mägen zu ver- schreien, und dieß ist eine Hauptquelle der Medisance auf Erden. Der als Schwelger verrufene Lucull, von dem Byron sagt, er habe sich durch seine Kochkunst größere Verdienste erworben, als durch seine Eroberungen, war ein eben so tapferer Kriegs- held, als decitirter Platoniker.
Caffée mit der Taſſe, den Wein mit dem Glaſe. Noch mehr, er nahm ſogar ein bleiernes Schreibzeug mit Dinte, Streuſand, Federn und Federmeſſer zu ſich. Ein wahrer Eßpolyhiſtor! Ein Morhof in ſeinem Fach!
Dieſer große Mann entwickelte dabei manchmal den lie- benswuͤrdigſten Humor. So fraß er z. B. einmal in einem Wirthshaus, dem liebſten Schauplatz ſeiner Darſtellungen, einen ganzen Dudelſack. Der Virtuoſe, dem er gehoͤrte, ein reiſender Pohle, hatte eben, vom prophetiſchen Geiſte ergriffen, das ſchoͤne Lied geblaſen: „Pohlen iſt noch nicht verloren“ und glaubte nun, nachdem der Dudelſack gefreſſen war, jetzt kaͤme die Reihe des Gefreſſenswerdens an ihn, lief daher, ſo ſchnell er konnte, davon und Kahle, zur großen Beluſtigung der Gaͤſte des Wirthshauſes zum ſchwarzen Adler, ihm nach.
Unter Anderm folgt hieraus: Eſſe nichts Ungenießbares, eſſe nichts, was Du nicht verdauen kannſt!
Ueber das entgegengeſetzte Gebot: Eſſe nicht zu wenig! — ſage ich deßhalb wenig, weil Faͤlle, welche ſich dafuͤr eigneten, ſehr ſelten vorkommen, und wo ſich dieſes Gebot geltend machen koͤnnte, die Schuld weniger am moraliſchen Willen, als an dem kleinen, organiſch verengerten Magen liegt, der eben nicht viel faßt und vertraͤgt, wogegen aber Mittel und Gebote gleich uͤber- fluͤſſig ſind. Das moͤchte etwa hier zu erinnern ſein, daß ſolche kleine Maͤgen, welche wenig faſſen und vertragen, nicht affek- tiren und groß damit thun ſollten, als wollten und moͤchten ſie nicht mehr zu ſich nehmen, waͤhrend ſie doch nicht koͤnnen. Solche ſuchen gerne Collegen von umfaſſenderer Capazitaͤt und daher umfaſſenderem Bedarf, als unſittliche Maͤgen zu ver- ſchreien, und dieß iſt eine Hauptquelle der Mediſance auf Erden. Der als Schwelger verrufene Lucull, von dem Byron ſagt, er habe ſich durch ſeine Kochkunſt groͤßere Verdienſte erworben, als durch ſeine Eroberungen, war ein eben ſo tapferer Kriegs- held, als decitirter Platoniker.
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Caffée mit der Taſſe, den Wein mit dem Glaſe. Noch mehr,
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Federn und Federmeſſer zu ſich. Ein wahrer Eßpolyhiſtor! Ein
Morhof in ſeinem Fach!
Dieſer große Mann entwickelte dabei manchmal den lie-
benswuͤrdigſten Humor. So fraß er z. B. einmal in einem
Wirthshaus, dem liebſten Schauplatz ſeiner Darſtellungen, einen
ganzen Dudelſack. Der Virtuoſe, dem er gehoͤrte, ein reiſender
Pohle, hatte eben, vom prophetiſchen Geiſte ergriffen, das ſchoͤne
Lied geblaſen: „Pohlen iſt noch nicht verloren“ und glaubte
nun, nachdem der Dudelſack gefreſſen war, jetzt kaͤme die Reihe
des Gefreſſenswerdens an ihn, lief daher, ſo ſchnell er konnte,
davon und Kahle, zur großen Beluſtigung der Gaͤſte des
Wirthshauſes zum ſchwarzen Adler, ihm nach.
Unter Anderm folgt hieraus: Eſſe nichts Ungenießbares,
eſſe nichts, was Du nicht verdauen kannſt!
Ueber das entgegengeſetzte Gebot: Eſſe nicht zu wenig! —
ſage ich deßhalb wenig, weil Faͤlle, welche ſich dafuͤr eigneten,
ſehr ſelten vorkommen, und wo ſich dieſes Gebot geltend machen
koͤnnte, die Schuld weniger am moraliſchen Willen, als an dem
kleinen, organiſch verengerten Magen liegt, der eben nicht viel
faßt und vertraͤgt, wogegen aber Mittel und Gebote gleich uͤber-
fluͤſſig ſind. Das moͤchte etwa hier zu erinnern ſein, daß ſolche
kleine Maͤgen, welche wenig faſſen und vertragen, nicht affek-
tiren und groß damit thun ſollten, als wollten und moͤchten ſie
nicht mehr zu ſich nehmen, waͤhrend ſie doch nicht koͤnnen.
Solche ſuchen gerne Collegen von umfaſſenderer Capazitaͤt und
daher umfaſſenderem Bedarf, als unſittliche Maͤgen zu ver-
ſchreien, und dieß iſt eine Hauptquelle der Mediſance auf Erden.
Der als Schwelger verrufene Lucull, von dem Byron ſagt,
er habe ſich durch ſeine Kochkunſt groͤßere Verdienſte erworben,
als durch ſeine Eroberungen, war ein eben ſo tapferer Kriegs-
held, als decitirter Platoniker.
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/120>, abgerufen am 16.02.2025.
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