tags, wie billig, das eigentliche Mittagsmahl. Vier Stunden später machte sich ein ergiebiges Vesperbrod nöthig. Nach dem nun folgenden Abendmahl schloß noch unmittelbar vor Schla- fengehen ein siebentes Mahl die Mühen des Tages. Zu jeder dieser Restaurationen war etwa eine gute Stunde erforderlich. Dabei war der Mann munter, gesund und, so weit die Zeit zureichte, sehr geschäftsthätig, und studirte und verdaute gleich gut. Etwas genant war's jedoch, daß er, zur Vermeidung unnöthiger Appetitaufregungen, Bewegung in frischer Luft und Spazierengehen sorgfältig vermeiden mußte.
Viele Moralisten geben den Rath, man solle aufhören, wenn's einem am besten schmeckt. Aber wie weiß man dieß? Man könnte ja, auf dem Wege des Experiments zur Ermitt- lung dieses Moments -- Experimentum est periculosum -- schon viel zu viel gegessen haben, bis man dahinter gekommen wäre. Und gleich am Anfang, wo's einem am allerbesten schmeckt, soll man doch nicht schon wieder aufhören? -- Man kann hieraus sehen, welch' eben so unüberlegte als unausführ- bare Lebensregeln moralische Eiferer in die Welt hinausschreien und für nichts und wieder nichts die Gewissen der Menschen verwirren. Es erscheint zweckmäßiger zu sagen: esse, so lang es Dir schmeckt, und höre auf, wenn es Dir nicht mehr schmeckt, oder: esse nicht bis zur Uebersättigung.
Mit dem entweder rohen oder krankhaften zu viel Essen, welches man -- mit Erlaubniß der Zartsinnigen! -- kurzweg auch Fressen nennt, nahe verwandt ist das Essen von Ungenieß- barem. Leider wird dessen nur zu viel gekocht, womit sich Lieb- haber, physisch, moralisch und ästhetisch, Geschmack und Ver- dauung verderben. Könnte man Vorstellungsobjekte im Hirn, und Appetite im Herzen durch die Sektion ermitteln, man würde bei manchem Leser ein ähnliches Resultat finden, wie in dem Magen des Galeerensklaven Bazile, der im Marinespital zu Brest starb. Der Sektionsbericht glich einem Inventarium
tags, wie billig, das eigentliche Mittagsmahl. Vier Stunden ſpaͤter machte ſich ein ergiebiges Vesperbrod noͤthig. Nach dem nun folgenden Abendmahl ſchloß noch unmittelbar vor Schla- fengehen ein ſiebentes Mahl die Muͤhen des Tages. Zu jeder dieſer Reſtaurationen war etwa eine gute Stunde erforderlich. Dabei war der Mann munter, geſund und, ſo weit die Zeit zureichte, ſehr geſchaͤftsthaͤtig, und ſtudirte und verdaute gleich gut. Etwas gênant war’s jedoch, daß er, zur Vermeidung unnoͤthiger Appetitaufregungen, Bewegung in friſcher Luft und Spazierengehen ſorgfaͤltig vermeiden mußte.
Viele Moraliſten geben den Rath, man ſolle aufhoͤren, wenn’s einem am beſten ſchmeckt. Aber wie weiß man dieß? Man koͤnnte ja, auf dem Wege des Experiments zur Ermitt- lung dieſes Moments — Experimentum est periculosum — ſchon viel zu viel gegeſſen haben, bis man dahinter gekommen waͤre. Und gleich am Anfang, wo’s einem am allerbeſten ſchmeckt, ſoll man doch nicht ſchon wieder aufhoͤren? — Man kann hieraus ſehen, welch’ eben ſo unuͤberlegte als unausfuͤhr- bare Lebensregeln moraliſche Eiferer in die Welt hinausſchreien und fuͤr nichts und wieder nichts die Gewiſſen der Menſchen verwirren. Es erſcheint zweckmaͤßiger zu ſagen: eſſe, ſo lang es Dir ſchmeckt, und hoͤre auf, wenn es Dir nicht mehr ſchmeckt, oder: eſſe nicht bis zur Ueberſaͤttigung.
Mit dem entweder rohen oder krankhaften zu viel Eſſen, welches man — mit Erlaubniß der Zartſinnigen! — kurzweg auch Freſſen nennt, nahe verwandt iſt das Eſſen von Ungenieß- barem. Leider wird deſſen nur zu viel gekocht, womit ſich Lieb- haber, phyſiſch, moraliſch und aͤſthetiſch, Geſchmack und Ver- dauung verderben. Koͤnnte man Vorſtellungsobjekte im Hirn, und Appetite im Herzen durch die Sektion ermitteln, man wuͤrde bei manchem Leſer ein aͤhnliches Reſultat finden, wie in dem Magen des Galeerenſklaven Bazile, der im Marineſpital zu Breſt ſtarb. Der Sektionsbericht glich einem Inventarium
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dieſer Reſtaurationen war etwa eine gute Stunde erforderlich.
Dabei war der Mann munter, geſund und, ſo weit die Zeit
zureichte, ſehr geſchaͤftsthaͤtig, und ſtudirte und verdaute gleich
gut. Etwas gênant war’s jedoch, daß er, zur Vermeidung
unnoͤthiger Appetitaufregungen, Bewegung in friſcher Luft und
Spazierengehen ſorgfaͤltig vermeiden mußte.
Viele Moraliſten geben den Rath, man ſolle aufhoͤren,
wenn’s einem am beſten ſchmeckt. Aber wie weiß man dieß?
Man koͤnnte ja, auf dem Wege des Experiments zur Ermitt-
lung dieſes Moments — Experimentum est periculosum —
ſchon viel zu viel gegeſſen haben, bis man dahinter gekommen
waͤre. Und gleich am Anfang, wo’s einem am allerbeſten
ſchmeckt, ſoll man doch nicht ſchon wieder aufhoͤren? — Man
kann hieraus ſehen, welch’ eben ſo unuͤberlegte als unausfuͤhr-
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und fuͤr nichts und wieder nichts die Gewiſſen der Menſchen
verwirren. Es erſcheint zweckmaͤßiger zu ſagen: eſſe, ſo lang
es Dir ſchmeckt, und hoͤre auf, wenn es Dir nicht mehr ſchmeckt,
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Mit dem entweder rohen oder krankhaften zu viel Eſſen,
welches man — mit Erlaubniß der Zartſinnigen! — kurzweg
auch Freſſen nennt, nahe verwandt iſt das Eſſen von Ungenieß-
barem. Leider wird deſſen nur zu viel gekocht, womit ſich Lieb-
haber, phyſiſch, moraliſch und aͤſthetiſch, Geſchmack und Ver-
dauung verderben. Koͤnnte man Vorſtellungsobjekte im Hirn,
und Appetite im Herzen durch die Sektion ermitteln, man
wuͤrde bei manchem Leſer ein aͤhnliches Reſultat finden, wie in
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zu Breſt ſtarb. Der Sektionsbericht glich einem Inventarium
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/118>, abgerufen am 23.07.2024.
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