Alles ganz weichgekocht und schon zerschnitten aufgetragen wird. Möchten diese Vorlesungen nicht zu hart und nicht zu weich gekocht sein!
Zum rechten Verständniß und Genuß eines Kunstwerkes ist ferner erforderlich, dasselbe im rechten Licht und in gehöriger Nähe zu sehen. Letzteres ist besonders für den Eßkünstler wich- tig, für welchen eine zu große Ferne des Gegenstandes immer etwas sehr Unangenehmes hat. Der Eßkünstler fasse also sei- nen Gegenstand scharf in's Auge. Einer meiner Bekannten heirathete ein Mädchen, welches er vor lauter Liebe gar nicht recht angesehen hatte. Nach und nach, und zwar bald nach der Hochzeit, konnte er sie ruhig genau ansehen, und fand zu sonderbarer Ueberraschung, daß sie, nun seine feste Frau, drei und zwanzig Zähne zu wenig und funfzehn Warzen zu viel hatte.
Doch ist ein zu nahes und zu genaues Besehen eben so unpassend. Wer ein Oelgemälde in spannenlanger Nähe be- trachtet, sieht so viel wie gar nichts. Wer mit der Nase un- mittelbar auf's Essen stößt, wird nichts Angenehmes riechen, und also auch schmecken. Der von ferne lieblich duftende Mo- schus stinkt zu nahe berochen.
Im Dunkeln kann man nicht essen. Kerzenbeleuchtung bei Nacht giebt den Speisen und Getränken -- wie Fackelbe- leuchtung Marmorstatuen -- ein viel höheres Licht, hebendere Schatten, einen viel lebendigeren Ton, als die trockne Prosa des Tageslichtes. Die Nacht, sagt Byron, zeigt Stern' und Weiber in erhöhter Pracht.
Den Kunstakademieen will man in neuerer Zeit, wie ich glaube, nicht ohne Grund, ihr Förderliches für Kunstbildung absprechen, oder doch in sehr bescheidenem Maaße zugestehen. Die Nothwendigkeit und Nützlichkeit der Kunstreisen stellt aber meines Wissens niemand in Abrede, als ein unmenschlich, oder doch unmännlich frommer Rezensent der Halleschen allgemeinen Literaturzeitung, welcher bitter und schmerzlich klagt, daß Reisen
Alles ganz weichgekocht und ſchon zerſchnitten aufgetragen wird. Moͤchten dieſe Vorleſungen nicht zu hart und nicht zu weich gekocht ſein!
Zum rechten Verſtaͤndniß und Genuß eines Kunſtwerkes iſt ferner erforderlich, daſſelbe im rechten Licht und in gehoͤriger Naͤhe zu ſehen. Letzteres iſt beſonders fuͤr den Eßkuͤnſtler wich- tig, fuͤr welchen eine zu große Ferne des Gegenſtandes immer etwas ſehr Unangenehmes hat. Der Eßkuͤnſtler faſſe alſo ſei- nen Gegenſtand ſcharf in’s Auge. Einer meiner Bekannten heirathete ein Maͤdchen, welches er vor lauter Liebe gar nicht recht angeſehen hatte. Nach und nach, und zwar bald nach der Hochzeit, konnte er ſie ruhig genau anſehen, und fand zu ſonderbarer Ueberraſchung, daß ſie, nun ſeine feſte Frau, drei und zwanzig Zaͤhne zu wenig und funfzehn Warzen zu viel hatte.
Doch iſt ein zu nahes und zu genaues Beſehen eben ſo unpaſſend. Wer ein Oelgemaͤlde in ſpannenlanger Naͤhe be- trachtet, ſieht ſo viel wie gar nichts. Wer mit der Naſe un- mittelbar auf’s Eſſen ſtoͤßt, wird nichts Angenehmes riechen, und alſo auch ſchmecken. Der von ferne lieblich duftende Mo- ſchus ſtinkt zu nahe berochen.
Im Dunkeln kann man nicht eſſen. Kerzenbeleuchtung bei Nacht giebt den Speiſen und Getraͤnken — wie Fackelbe- leuchtung Marmorſtatuen — ein viel hoͤheres Licht, hebendere Schatten, einen viel lebendigeren Ton, als die trockne Proſa des Tageslichtes. Die Nacht, ſagt Byron, zeigt Stern’ und Weiber in erhoͤhter Pracht.
Den Kunſtakademieen will man in neuerer Zeit, wie ich glaube, nicht ohne Grund, ihr Foͤrderliches fuͤr Kunſtbildung abſprechen, oder doch in ſehr beſcheidenem Maaße zugeſtehen. Die Nothwendigkeit und Nuͤtzlichkeit der Kunſtreiſen ſtellt aber meines Wiſſens niemand in Abrede, als ein unmenſchlich, oder doch unmaͤnnlich frommer Rezenſent der Halleſchen allgemeinen Literaturzeitung, welcher bitter und ſchmerzlich klagt, daß Reiſen
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Alles ganz weichgekocht und ſchon zerſchnitten aufgetragen wird.
Moͤchten dieſe Vorleſungen nicht zu hart und nicht zu weich
gekocht ſein!
Zum rechten Verſtaͤndniß und Genuß eines Kunſtwerkes
iſt ferner erforderlich, daſſelbe im rechten Licht und in gehoͤriger
Naͤhe zu ſehen. Letzteres iſt beſonders fuͤr den Eßkuͤnſtler wich-
tig, fuͤr welchen eine zu große Ferne des Gegenſtandes immer
etwas ſehr Unangenehmes hat. Der Eßkuͤnſtler faſſe alſo ſei-
nen Gegenſtand ſcharf in’s Auge. Einer meiner Bekannten
heirathete ein Maͤdchen, welches er vor lauter Liebe gar nicht
recht angeſehen hatte. Nach und nach, und zwar bald nach der
Hochzeit, konnte er ſie ruhig genau anſehen, und fand zu
ſonderbarer Ueberraſchung, daß ſie, nun ſeine feſte Frau, drei
und zwanzig Zaͤhne zu wenig und funfzehn Warzen zu viel hatte.
Doch iſt ein zu nahes und zu genaues Beſehen eben ſo
unpaſſend. Wer ein Oelgemaͤlde in ſpannenlanger Naͤhe be-
trachtet, ſieht ſo viel wie gar nichts. Wer mit der Naſe un-
mittelbar auf’s Eſſen ſtoͤßt, wird nichts Angenehmes riechen,
und alſo auch ſchmecken. Der von ferne lieblich duftende Mo-
ſchus ſtinkt zu nahe berochen.
Im Dunkeln kann man nicht eſſen. Kerzenbeleuchtung
bei Nacht giebt den Speiſen und Getraͤnken — wie Fackelbe-
leuchtung Marmorſtatuen — ein viel hoͤheres Licht, hebendere
Schatten, einen viel lebendigeren Ton, als die trockne Proſa
des Tageslichtes. Die Nacht, ſagt Byron, zeigt Stern’ und
Weiber in erhoͤhter Pracht.
Den Kunſtakademieen will man in neuerer Zeit, wie ich
glaube, nicht ohne Grund, ihr Foͤrderliches fuͤr Kunſtbildung
abſprechen, oder doch in ſehr beſcheidenem Maaße zugeſtehen.
Die Nothwendigkeit und Nuͤtzlichkeit der Kunſtreiſen ſtellt aber
meines Wiſſens niemand in Abrede, als ein unmenſchlich, oder
doch unmaͤnnlich frommer Rezenſent der Halleſchen allgemeinen
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/104>, abgerufen am 23.07.2024.
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