Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Endlich stand er auf, um fortzugehn. Aber jetzt
konnte er sich doch nicht enthalten, zu bemerken:

"Wissen Sie übrigens, daß ich kürzlich Ihre Doppel¬
gängerin ebenfalls zu sehen geglaubt habe?"

"Ach!" machte Fenia frappiert, und fragte nach
kurzem Schweigen:

"Wann denn?"

"Gestern abend. Nicht sehr weit vom Kloster, wo
wir uns neulich trafen. Sie stieg mit einem Herrn in
einen Schlitten und sauste mit klingelnden Schellen davon.
-- -- -- Ich habe sie übrigens nur von hinten ge¬
sehen," fügte er schnell hinzu, denn plötzlich zweifelte er
durchaus nicht länger, und schämte sich seiner unritter¬
lichen Aufwallung. "Also vielleicht sieht sie Ihnen auch
nur von hinten ähnlich, Fenitschka."

Sie erhob sich von ihrem Stuhl und las mit ge¬
senkten Augen von ihrem Rock die Fäserchen und Fädchen
ab, die beim Nähen daran hängen geblieben waren.

Sie sah blaß und in sich gekehrt aus. Sehr lieb
sah sie aus.

Ihm that es weh, er verwünschte sich und blickte
mit Anstrengung fort.

Da reichte Fenia ihm zum Abschied die Hand.

"Nun, -- und wenn sie mir auch von vorn geglichen
hätte, -- Ihnen das Gesicht zugekehrt hätte, -- mein
Gesicht, -- was hätten Sie sich dann gedacht?" fragte
sie und sah ihn dabei an.

Er hielt ihre etwas kalte, etwas nervös zuckende
Hand in der seinen, beugte sich darüber und drückte zwei
Küsse darauf.

Endlich ſtand er auf, um fortzugehn. Aber jetzt
konnte er ſich doch nicht enthalten, zu bemerken:

„Wiſſen Sie übrigens, daß ich kürzlich Ihre Doppel¬
gängerin ebenfalls zu ſehen geglaubt habe?“

„Ach!“ machte Fenia frappiert, und fragte nach
kurzem Schweigen:

„Wann denn?“

„Geſtern abend. Nicht ſehr weit vom Kloſter, wo
wir uns neulich trafen. Sie ſtieg mit einem Herrn in
einen Schlitten und ſauſte mit klingelnden Schellen davon.
— — — Ich habe ſie übrigens nur von hinten ge¬
ſehen,“ fügte er ſchnell hinzu, denn plötzlich zweifelte er
durchaus nicht länger, und ſchämte ſich ſeiner unritter¬
lichen Aufwallung. „Alſo vielleicht ſieht ſie Ihnen auch
nur von hinten ähnlich, Fenitſchka.“

Sie erhob ſich von ihrem Stuhl und las mit ge¬
ſenkten Augen von ihrem Rock die Fäſerchen und Fädchen
ab, die beim Nähen daran hängen geblieben waren.

Sie ſah blaß und in ſich gekehrt aus. Sehr lieb
ſah ſie aus.

Ihm that es weh, er verwünſchte ſich und blickte
mit Anſtrengung fort.

Da reichte Fenia ihm zum Abſchied die Hand.

„Nun, — und wenn ſie mir auch von vorn geglichen
hätte, — Ihnen das Geſicht zugekehrt hätte, — mein
Geſicht, — was hätten Sie ſich dann gedacht?“ fragte
ſie und ſah ihn dabei an.

Er hielt ihre etwas kalte, etwas nervös zuckende
Hand in der ſeinen, beugte ſich darüber und drückte zwei
Küſſe darauf.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0062" n="58"/>
        <fw type="pageNum" place="top">&#x2014; 58 &#x2014;<lb/></fw>
        <p>Endlich &#x017F;tand er auf, um fortzugehn. Aber jetzt<lb/>
konnte er &#x017F;ich doch nicht enthalten, zu bemerken:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wi&#x017F;&#x017F;en Sie übrigens, daß ich kürzlich Ihre Doppel¬<lb/>
gängerin ebenfalls zu &#x017F;ehen geglaubt habe?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ach!&#x201C; machte Fenia frappiert, und fragte nach<lb/>
kurzem Schweigen:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wann denn?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ge&#x017F;tern abend. Nicht &#x017F;ehr weit vom Klo&#x017F;ter, wo<lb/>
wir uns neulich trafen. Sie &#x017F;tieg mit einem Herrn in<lb/>
einen Schlitten und &#x017F;au&#x017F;te mit klingelnden Schellen davon.<lb/>
&#x2014; &#x2014; &#x2014; Ich habe &#x017F;ie übrigens nur von hinten ge¬<lb/>
&#x017F;ehen,&#x201C; fügte er &#x017F;chnell hinzu, denn plötzlich zweifelte er<lb/>
durchaus nicht länger, und &#x017F;chämte &#x017F;ich &#x017F;einer unritter¬<lb/>
lichen Aufwallung. &#x201E;Al&#x017F;o vielleicht &#x017F;ieht &#x017F;ie Ihnen auch<lb/>
nur von hinten ähnlich, Fenit&#x017F;chka.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie erhob &#x017F;ich von ihrem Stuhl und las mit ge¬<lb/>
&#x017F;enkten Augen von ihrem Rock die Fä&#x017F;erchen und Fädchen<lb/>
ab, die beim Nähen daran hängen geblieben waren.</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;ah blaß und in &#x017F;ich gekehrt aus. Sehr lieb<lb/>
&#x017F;ah &#x017F;ie aus.</p><lb/>
        <p>Ihm that es weh, er verwün&#x017F;chte &#x017F;ich und blickte<lb/>
mit An&#x017F;trengung fort.</p><lb/>
        <p>Da reichte Fenia ihm zum Ab&#x017F;chied die Hand.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun, &#x2014; und wenn &#x017F;ie mir auch von vorn geglichen<lb/>
hätte, &#x2014; Ihnen das Ge&#x017F;icht zugekehrt hätte, &#x2014; <hi rendition="#g">mein</hi><lb/>
Ge&#x017F;icht, &#x2014; was hätten Sie &#x017F;ich dann gedacht?&#x201C; fragte<lb/>
&#x017F;ie und &#x017F;ah ihn dabei an.</p><lb/>
        <p>Er hielt ihre etwas kalte, etwas nervös zuckende<lb/>
Hand in der &#x017F;einen, beugte &#x017F;ich darüber und drückte zwei<lb/>&#x017F;&#x017F;e darauf.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0062] — 58 — Endlich ſtand er auf, um fortzugehn. Aber jetzt konnte er ſich doch nicht enthalten, zu bemerken: „Wiſſen Sie übrigens, daß ich kürzlich Ihre Doppel¬ gängerin ebenfalls zu ſehen geglaubt habe?“ „Ach!“ machte Fenia frappiert, und fragte nach kurzem Schweigen: „Wann denn?“ „Geſtern abend. Nicht ſehr weit vom Kloſter, wo wir uns neulich trafen. Sie ſtieg mit einem Herrn in einen Schlitten und ſauſte mit klingelnden Schellen davon. — — — Ich habe ſie übrigens nur von hinten ge¬ ſehen,“ fügte er ſchnell hinzu, denn plötzlich zweifelte er durchaus nicht länger, und ſchämte ſich ſeiner unritter¬ lichen Aufwallung. „Alſo vielleicht ſieht ſie Ihnen auch nur von hinten ähnlich, Fenitſchka.“ Sie erhob ſich von ihrem Stuhl und las mit ge¬ ſenkten Augen von ihrem Rock die Fäſerchen und Fädchen ab, die beim Nähen daran hängen geblieben waren. Sie ſah blaß und in ſich gekehrt aus. Sehr lieb ſah ſie aus. Ihm that es weh, er verwünſchte ſich und blickte mit Anſtrengung fort. Da reichte Fenia ihm zum Abſchied die Hand. „Nun, — und wenn ſie mir auch von vorn geglichen hätte, — Ihnen das Geſicht zugekehrt hätte, — mein Geſicht, — was hätten Sie ſich dann gedacht?“ fragte ſie und ſah ihn dabei an. Er hielt ihre etwas kalte, etwas nervös zuckende Hand in der ſeinen, beugte ſich darüber und drückte zwei Küſſe darauf.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/62
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/62>, abgerufen am 26.11.2024.