Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

er sich gestehen, daß er sie eigentlich noch nicht kannte,
denn die Frauen seiner intimeren Bekanntschaft gehörten
ganz und gar nicht zu dieser Rasse.

Er führte Fenia in das Hotel garni, wo er
wohnte, ließ sie einige Stufen hinaufsteigen und öff¬
nete im breiten Korridor die Thür zu einem Zimmer
neben dem Speisesaal.

Es war nicht sein Zimmer, sondern eine momentan
unbesetzte große, helle Hinterstube mit Saloneinrichtung,
die er zu benutzen pflegte, wenn bei ihm aufgeräumt
wurde. Als sie eintraten, kratzte jedoch nebenan sein
kleiner weißer Spitz, den er einer alten Straßenver¬
käuferin abgehandelt hatte, aufgeregt über die lang er¬
wartete Rückkunft seines Herrn, unter leisem Gewinsel
an der Thür. Max Werner ließ ihn herein, und er
schoß unter freudigstem Wedeln und Bellen auf Fenia
und ihn zu, als gehörten sie zusammen.

Fenia war zaudernd stehn geblieben, nicht recht be¬
greifend, wo sie sich hier befand. Sie bückte sich un¬
willkürlich zu dem Hund nieder, der sich indessen zwischen
ihnen hingesetzt hatte und sie befriedigt ansah, richtete
sich aber ebenso rasch wieder auf und wollte etwas sagen,
als ihr Blick Max Werners Gesicht traf.

Er hatte sie ohne irgend eine klare Absicht hier
hereingeführt. Wie sie jedoch nun wirklich dastand, in
diesem Zimmer, in dieser völligen Abgeschlossenheit mit
ihm allein, in diesem schlafenden Hotel, auf dessen Gängen
es noch so totenstill war, daß man hinter den halb¬
geschlossenen Fensterjalousien das vergnügte Zwitschern
eines Spatzen im Hofe hörte, -- da, -- ja, als Fenia

er ſich geſtehen, daß er ſie eigentlich noch nicht kannte,
denn die Frauen ſeiner intimeren Bekanntſchaft gehörten
ganz und gar nicht zu dieſer Raſſe.

Er führte Fenia in das Hotel garni, wo er
wohnte, ließ ſie einige Stufen hinaufſteigen und öff¬
nete im breiten Korridor die Thür zu einem Zimmer
neben dem Speiſeſaal.

Es war nicht ſein Zimmer, ſondern eine momentan
unbeſetzte große, helle Hinterſtube mit Saloneinrichtung,
die er zu benutzen pflegte, wenn bei ihm aufgeräumt
wurde. Als ſie eintraten, kratzte jedoch nebenan ſein
kleiner weißer Spitz, den er einer alten Straßenver¬
käuferin abgehandelt hatte, aufgeregt über die lang er¬
wartete Rückkunft ſeines Herrn, unter leiſem Gewinſel
an der Thür. Max Werner ließ ihn herein, und er
ſchoß unter freudigſtem Wedeln und Bellen auf Fenia
und ihn zu, als gehörten ſie zuſammen.

Fenia war zaudernd ſtehn geblieben, nicht recht be¬
greifend, wo ſie ſich hier befand. Sie bückte ſich un¬
willkürlich zu dem Hund nieder, der ſich indeſſen zwiſchen
ihnen hingeſetzt hatte und ſie befriedigt anſah, richtete
ſich aber ebenſo raſch wieder auf und wollte etwas ſagen,
als ihr Blick Max Werners Geſicht traf.

Er hatte ſie ohne irgend eine klare Abſicht hier
hereingeführt. Wie ſie jedoch nun wirklich daſtand, in
dieſem Zimmer, in dieſer völligen Abgeſchloſſenheit mit
ihm allein, in dieſem ſchlafenden Hotel, auf deſſen Gängen
es noch ſo totenſtill war, daß man hinter den halb¬
geſchloſſenen Fenſterjalouſien das vergnügte Zwitſchern
eines Spatzen im Hofe hörte, — da, — ja, als Fenia

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0026" n="22"/><fw type="pageNum" place="top">&#x2014; 22 &#x2014;<lb/></fw>er &#x017F;ich ge&#x017F;tehen, daß er &#x017F;ie eigentlich noch nicht kannte,<lb/>
denn die Frauen &#x017F;einer intimeren Bekannt&#x017F;chaft gehörten<lb/>
ganz und gar nicht zu die&#x017F;er Ra&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
        <p>Er führte Fenia in das Hotel garni, wo er<lb/>
wohnte, ließ &#x017F;ie einige Stufen hinauf&#x017F;teigen und öff¬<lb/>
nete im breiten Korridor die Thür zu einem Zimmer<lb/>
neben dem Spei&#x017F;e&#x017F;aal.</p><lb/>
        <p>Es war nicht &#x017F;ein Zimmer, &#x017F;ondern eine momentan<lb/>
unbe&#x017F;etzte große, helle Hinter&#x017F;tube mit Saloneinrichtung,<lb/>
die er zu benutzen pflegte, wenn bei ihm aufgeräumt<lb/>
wurde. Als &#x017F;ie eintraten, kratzte jedoch nebenan &#x017F;ein<lb/>
kleiner weißer Spitz, den er einer alten Straßenver¬<lb/>
käuferin abgehandelt hatte, aufgeregt über die lang er¬<lb/>
wartete Rückkunft &#x017F;eines Herrn, unter lei&#x017F;em Gewin&#x017F;el<lb/>
an der Thür. Max Werner ließ ihn herein, und er<lb/>
&#x017F;choß unter freudig&#x017F;tem Wedeln und Bellen auf Fenia<lb/>
und ihn zu, als gehörten &#x017F;ie zu&#x017F;ammen.</p><lb/>
        <p>Fenia war zaudernd &#x017F;tehn geblieben, nicht recht be¬<lb/>
greifend, wo &#x017F;ie &#x017F;ich hier befand. Sie bückte &#x017F;ich un¬<lb/>
willkürlich zu dem Hund nieder, der &#x017F;ich inde&#x017F;&#x017F;en zwi&#x017F;chen<lb/>
ihnen hinge&#x017F;etzt hatte und &#x017F;ie befriedigt an&#x017F;ah, richtete<lb/>
&#x017F;ich aber eben&#x017F;o ra&#x017F;ch wieder auf und wollte etwas &#x017F;agen,<lb/>
als ihr Blick Max Werners Ge&#x017F;icht traf.</p><lb/>
        <p>Er hatte &#x017F;ie ohne irgend eine klare Ab&#x017F;icht hier<lb/>
hereingeführt. Wie &#x017F;ie jedoch nun wirklich da&#x017F;tand, in<lb/>
die&#x017F;em Zimmer, in die&#x017F;er völligen Abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit mit<lb/>
ihm allein, in die&#x017F;em &#x017F;chlafenden Hotel, auf de&#x017F;&#x017F;en Gängen<lb/>
es noch &#x017F;o toten&#x017F;till war, daß man hinter den halb¬<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Fen&#x017F;terjalou&#x017F;ien das vergnügte Zwit&#x017F;chern<lb/>
eines Spatzen im Hofe hörte, &#x2014; da, &#x2014; ja, als Fenia<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0026] — 22 — er ſich geſtehen, daß er ſie eigentlich noch nicht kannte, denn die Frauen ſeiner intimeren Bekanntſchaft gehörten ganz und gar nicht zu dieſer Raſſe. Er führte Fenia in das Hotel garni, wo er wohnte, ließ ſie einige Stufen hinaufſteigen und öff¬ nete im breiten Korridor die Thür zu einem Zimmer neben dem Speiſeſaal. Es war nicht ſein Zimmer, ſondern eine momentan unbeſetzte große, helle Hinterſtube mit Saloneinrichtung, die er zu benutzen pflegte, wenn bei ihm aufgeräumt wurde. Als ſie eintraten, kratzte jedoch nebenan ſein kleiner weißer Spitz, den er einer alten Straßenver¬ käuferin abgehandelt hatte, aufgeregt über die lang er¬ wartete Rückkunft ſeines Herrn, unter leiſem Gewinſel an der Thür. Max Werner ließ ihn herein, und er ſchoß unter freudigſtem Wedeln und Bellen auf Fenia und ihn zu, als gehörten ſie zuſammen. Fenia war zaudernd ſtehn geblieben, nicht recht be¬ greifend, wo ſie ſich hier befand. Sie bückte ſich un¬ willkürlich zu dem Hund nieder, der ſich indeſſen zwiſchen ihnen hingeſetzt hatte und ſie befriedigt anſah, richtete ſich aber ebenſo raſch wieder auf und wollte etwas ſagen, als ihr Blick Max Werners Geſicht traf. Er hatte ſie ohne irgend eine klare Abſicht hier hereingeführt. Wie ſie jedoch nun wirklich daſtand, in dieſem Zimmer, in dieſer völligen Abgeſchloſſenheit mit ihm allein, in dieſem ſchlafenden Hotel, auf deſſen Gängen es noch ſo totenſtill war, daß man hinter den halb¬ geſchloſſenen Fenſterjalouſien das vergnügte Zwitſchern eines Spatzen im Hofe hörte, — da, — ja, als Fenia

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/26
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/26>, abgerufen am 25.11.2024.