Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

ganze von Glückszuversicht verklärte Gesicht klagte mich
laut an.

Ich selbst klagte mich an, und erschrak über das
Geschehene. Und doch hätt ich nicht anders zu handeln
vermocht, auch wenn es gegolten hätte, noch einmal zu
handeln in den tollen vorübergestürmten Minuten seines
Rausches. Besser, tadelloser wär es zweifellos gewesen,
ihm zu sagen: "Küsse mich nicht! täusche dich nicht! ich
liebe dich nicht!" Aber wie konnte ich ihn im Dursten
und Darben zurückstoßen und sorgsam abwägen, was
das Richtigere, das Tadellosere war --

"Vielleicht fehlt mir jeder Stolz! vielleicht jede
Scham!" dachte ich, "und jetzt? und hinterher? was soll
ich thun? wie ihn aufklären und kränken? Ach, ich kann
ihn nicht kränken! Kann ihn nicht durch Mitleid belei¬
digen. Ich bin ein feiges -- ein ganz feiges Geschöpf!"

Jetzt fiel Benno doch meine Stummheit und innre
Ratlosigkeit auf. Etwas wie eine dunkle Unruhe ging
durch seine Augen und machte sie rührend, wie erstaunte
Kinderaugen.

"Adine, -- ich -- -- sprich zu mir!" rief er fast
laut, "ich halt's nicht aus! Warum sprichst du nicht?"

"Lieber Gott!" dachte ich, "hilf mir doch! gieb mir
ein, was ich thun soll. Niemals, niemals kann ich ihm
die ganze Wahrheit sagen! niemals, niemals ihn vor
mir demütigen, -- ihn, den ich einst, ach einst -- !
Lieber laß mich klein und verächtlich werden in seinen
Augen, daß er selber mich nicht mehr will, nicht mehr
liebt. Laß mich lieber ganz zunichte werden, -- Staub
zu seinen Füßen --."

ganze von Glückszuverſicht verklärte Geſicht klagte mich
laut an.

Ich ſelbſt klagte mich an, und erſchrak über das
Geſchehene. Und doch hätt ich nicht anders zu handeln
vermocht, auch wenn es gegolten hätte, noch einmal zu
handeln in den tollen vorübergeſtürmten Minuten ſeines
Rauſches. Beſſer, tadelloſer wär es zweifellos geweſen,
ihm zu ſagen: „Küſſe mich nicht! täuſche dich nicht! ich
liebe dich nicht!“ Aber wie konnte ich ihn im Durſten
und Darben zurückſtoßen und ſorgſam abwägen, was
das Richtigere, das Tadelloſere war —

„Vielleicht fehlt mir jeder Stolz! vielleicht jede
Scham!“ dachte ich, „und jetzt? und hinterher? was ſoll
ich thun? wie ihn aufklären und kränken? Ach, ich kann
ihn nicht kränken! Kann ihn nicht durch Mitleid belei¬
digen. Ich bin ein feiges — ein ganz feiges Geſchöpf!“

Jetzt fiel Benno doch meine Stummheit und innre
Ratloſigkeit auf. Etwas wie eine dunkle Unruhe ging
durch ſeine Augen und machte ſie rührend, wie erſtaunte
Kinderaugen.

„Adine, — ich — — ſprich zu mir!“ rief er faſt
laut, „ich halt's nicht aus! Warum ſprichſt du nicht?“

„Lieber Gott!“ dachte ich, „hilf mir doch! gieb mir
ein, was ich thun ſoll. Niemals, niemals kann ich ihm
die ganze Wahrheit ſagen! niemals, niemals ihn vor
mir demütigen, — ihn, den ich einſt, ach einſt — !
Lieber laß mich klein und verächtlich werden in ſeinen
Augen, daß er ſelber mich nicht mehr will, nicht mehr
liebt. Laß mich lieber ganz zunichte werden, — Staub
zu ſeinen Füßen —.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0175" n="171"/><fw type="pageNum" place="top">&#x2014; 171 &#x2014;<lb/></fw>ganze von Glückszuver&#x017F;icht verklärte Ge&#x017F;icht klagte mich<lb/>
laut an.</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;elb&#x017F;t klagte mich an, und er&#x017F;chrak über das<lb/>
Ge&#x017F;chehene. Und doch hätt ich nicht anders zu handeln<lb/>
vermocht, auch wenn es gegolten hätte, noch einmal zu<lb/>
handeln in den tollen vorüberge&#x017F;türmten Minuten &#x017F;eines<lb/>
Rau&#x017F;ches. Be&#x017F;&#x017F;er, tadello&#x017F;er wär es zweifellos gewe&#x017F;en,<lb/>
ihm zu &#x017F;agen: &#x201E;&#x017F;&#x017F;e mich nicht! täu&#x017F;che dich nicht! ich<lb/>
liebe dich nicht!&#x201C; Aber wie konnte ich ihn im Dur&#x017F;ten<lb/>
und Darben zurück&#x017F;toßen und &#x017F;org&#x017F;am abwägen, was<lb/>
das Richtigere, das Tadello&#x017F;ere war &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Vielleicht fehlt mir jeder Stolz! vielleicht jede<lb/>
Scham!&#x201C; dachte ich, &#x201E;und jetzt? und hinterher? was &#x017F;oll<lb/>
ich thun? wie ihn aufklären und kränken? Ach, ich kann<lb/>
ihn nicht kränken! Kann ihn nicht durch Mitleid belei¬<lb/>
digen. Ich bin ein feiges &#x2014; ein ganz feiges Ge&#x017F;chöpf!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Jetzt fiel Benno doch meine Stummheit und innre<lb/>
Ratlo&#x017F;igkeit auf. Etwas wie eine dunkle Unruhe ging<lb/>
durch &#x017F;eine Augen und machte &#x017F;ie rührend, wie er&#x017F;taunte<lb/>
Kinderaugen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Adine, &#x2014; ich &#x2014; &#x2014; &#x017F;prich zu mir!&#x201C; rief er fa&#x017F;t<lb/>
laut, &#x201E;ich halt's nicht aus! Warum &#x017F;prich&#x017F;t du nicht?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Lieber Gott!&#x201C; dachte ich, &#x201E;hilf mir doch! gieb mir<lb/>
ein, was ich thun &#x017F;oll. Niemals, niemals kann ich ihm<lb/>
die ganze Wahrheit &#x017F;agen! niemals, niemals ihn vor<lb/>
mir demütigen, &#x2014; ihn, den ich ein&#x017F;t, ach ein&#x017F;t &#x2014; !<lb/>
Lieber laß mich klein und verächtlich werden in &#x017F;einen<lb/>
Augen, daß er &#x017F;elber mich nicht mehr will, nicht mehr<lb/>
liebt. Laß mich lieber ganz zunichte werden, &#x2014; Staub<lb/>
zu &#x017F;einen Füßen &#x2014;.&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0175] — 171 — ganze von Glückszuverſicht verklärte Geſicht klagte mich laut an. Ich ſelbſt klagte mich an, und erſchrak über das Geſchehene. Und doch hätt ich nicht anders zu handeln vermocht, auch wenn es gegolten hätte, noch einmal zu handeln in den tollen vorübergeſtürmten Minuten ſeines Rauſches. Beſſer, tadelloſer wär es zweifellos geweſen, ihm zu ſagen: „Küſſe mich nicht! täuſche dich nicht! ich liebe dich nicht!“ Aber wie konnte ich ihn im Durſten und Darben zurückſtoßen und ſorgſam abwägen, was das Richtigere, das Tadelloſere war — „Vielleicht fehlt mir jeder Stolz! vielleicht jede Scham!“ dachte ich, „und jetzt? und hinterher? was ſoll ich thun? wie ihn aufklären und kränken? Ach, ich kann ihn nicht kränken! Kann ihn nicht durch Mitleid belei¬ digen. Ich bin ein feiges — ein ganz feiges Geſchöpf!“ Jetzt fiel Benno doch meine Stummheit und innre Ratloſigkeit auf. Etwas wie eine dunkle Unruhe ging durch ſeine Augen und machte ſie rührend, wie erſtaunte Kinderaugen. „Adine, — ich — — ſprich zu mir!“ rief er faſt laut, „ich halt's nicht aus! Warum ſprichſt du nicht?“ „Lieber Gott!“ dachte ich, „hilf mir doch! gieb mir ein, was ich thun ſoll. Niemals, niemals kann ich ihm die ganze Wahrheit ſagen! niemals, niemals ihn vor mir demütigen, — ihn, den ich einſt, ach einſt — ! Lieber laß mich klein und verächtlich werden in ſeinen Augen, daß er ſelber mich nicht mehr will, nicht mehr liebt. Laß mich lieber ganz zunichte werden, — Staub zu ſeinen Füßen —.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/175
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/175>, abgerufen am 05.05.2024.