Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Ungern entschloß ich mich gegen Abend, zum Ren¬
danten in die kleine Gesellschaft zu gehn. Aber es wäre
mir ebenfalls schwer gefallen, diesen Abend neben meiner
Mutter im Wohnzimmer zu sitzen und mit ihr heiter und
eingehend zu plaudern. So kleidete ich mich denn auf
ihr Zureden um und schickte mich an hinaufzugehn, um
Gabriele nicht zu kränken.

Als ich aus unsern Stuben in den Hausflur trat,
fand ich seltsamerweise die Thür nach der Straße weit
offen. Eh ich sie zumachte, blieb ich einen Augen¬
blick lang auf der Schwelle stehn und schaute hinaus.
Draußen war es unwirtlich und häßlich. Der Frost
zeigte Neigung, in Tauwetter überzugehn; die Schnee¬
schicht lag nur noch dünn und klebrig auf der Straße,
und ein feiner Winternebel verschleierte das gelbe Licht
der Laternen.

Da, wie aus der Erde gewachsen, ging ein junger
Mann draußen vorüber und grüßte. Die Straße war
er nicht herabgekommen, ich hätte seinen Schritt durch
den getauten Schnee hören müssen.

Ich schloß die Thür, von der feuchten Kälte durch¬
schauert, als im selben Augenblick jemand von der Hof¬
seite durch das Hinterpförtchen in den Flur huschte.

Ungern entſchloß ich mich gegen Abend, zum Ren¬
danten in die kleine Geſellſchaft zu gehn. Aber es wäre
mir ebenfalls ſchwer gefallen, dieſen Abend neben meiner
Mutter im Wohnzimmer zu ſitzen und mit ihr heiter und
eingehend zu plaudern. So kleidete ich mich denn auf
ihr Zureden um und ſchickte mich an hinaufzugehn, um
Gabriele nicht zu kränken.

Als ich aus unſern Stuben in den Hausflur trat,
fand ich ſeltſamerweiſe die Thür nach der Straße weit
offen. Eh ich ſie zumachte, blieb ich einen Augen¬
blick lang auf der Schwelle ſtehn und ſchaute hinaus.
Draußen war es unwirtlich und häßlich. Der Froſt
zeigte Neigung, in Tauwetter überzugehn; die Schnee¬
ſchicht lag nur noch dünn und klebrig auf der Straße,
und ein feiner Winternebel verſchleierte das gelbe Licht
der Laternen.

Da, wie aus der Erde gewachſen, ging ein junger
Mann draußen vorüber und grüßte. Die Straße war
er nicht herabgekommen, ich hätte ſeinen Schritt durch
den getauten Schnee hören müſſen.

Ich ſchloß die Thür, von der feuchten Kälte durch¬
ſchauert, als im ſelben Augenblick jemand von der Hof¬
ſeite durch das Hinterpförtchen in den Flur huſchte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0167"/>
        <p><hi rendition="#fr #in">U</hi>ngern ent&#x017F;chloß ich mich gegen Abend, zum Ren¬<lb/>
danten in die kleine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zu gehn. Aber es wäre<lb/>
mir ebenfalls &#x017F;chwer gefallen, die&#x017F;en Abend neben meiner<lb/>
Mutter im Wohnzimmer zu &#x017F;itzen und mit ihr heiter und<lb/>
eingehend zu plaudern. So kleidete ich mich denn auf<lb/>
ihr Zureden um und &#x017F;chickte mich an hinaufzugehn, um<lb/>
Gabriele nicht zu kränken.</p><lb/>
        <p>Als ich aus un&#x017F;ern Stuben in den Hausflur trat,<lb/>
fand ich &#x017F;elt&#x017F;amerwei&#x017F;e die Thür nach der Straße weit<lb/>
offen. Eh ich &#x017F;ie zumachte, blieb ich einen Augen¬<lb/>
blick lang auf der Schwelle &#x017F;tehn und &#x017F;chaute hinaus.<lb/>
Draußen war es unwirtlich und häßlich. Der Fro&#x017F;t<lb/>
zeigte Neigung, in Tauwetter überzugehn; die Schnee¬<lb/>
&#x017F;chicht lag nur noch dünn und klebrig auf der Straße,<lb/>
und ein feiner Winternebel ver&#x017F;chleierte das gelbe Licht<lb/>
der Laternen.</p><lb/>
        <p>Da, wie aus der Erde gewach&#x017F;en, ging ein junger<lb/>
Mann draußen vorüber und grüßte. Die Straße war<lb/>
er nicht herabgekommen, ich hätte &#x017F;einen Schritt durch<lb/>
den getauten Schnee hören mü&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;chloß die Thür, von der feuchten Kälte durch¬<lb/>
&#x017F;chauert, als im &#x017F;elben Augenblick jemand von der Hof¬<lb/>
&#x017F;eite durch das Hinterpförtchen in den Flur hu&#x017F;chte.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0167] Ungern entſchloß ich mich gegen Abend, zum Ren¬ danten in die kleine Geſellſchaft zu gehn. Aber es wäre mir ebenfalls ſchwer gefallen, dieſen Abend neben meiner Mutter im Wohnzimmer zu ſitzen und mit ihr heiter und eingehend zu plaudern. So kleidete ich mich denn auf ihr Zureden um und ſchickte mich an hinaufzugehn, um Gabriele nicht zu kränken. Als ich aus unſern Stuben in den Hausflur trat, fand ich ſeltſamerweiſe die Thür nach der Straße weit offen. Eh ich ſie zumachte, blieb ich einen Augen¬ blick lang auf der Schwelle ſtehn und ſchaute hinaus. Draußen war es unwirtlich und häßlich. Der Froſt zeigte Neigung, in Tauwetter überzugehn; die Schnee¬ ſchicht lag nur noch dünn und klebrig auf der Straße, und ein feiner Winternebel verſchleierte das gelbe Licht der Laternen. Da, wie aus der Erde gewachſen, ging ein junger Mann draußen vorüber und grüßte. Die Straße war er nicht herabgekommen, ich hätte ſeinen Schritt durch den getauten Schnee hören müſſen. Ich ſchloß die Thür, von der feuchten Kälte durch¬ ſchauert, als im ſelben Augenblick jemand von der Hof¬ ſeite durch das Hinterpförtchen in den Flur huſchte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/167
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/167>, abgerufen am 05.05.2024.