Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.Benno schrieb unter dem Vorwand, den Wunsch Ganz klar war es nicht, was von beidem er meinte. Ich konnte über eine unerklärliche Erregung nicht In diesem Augenblick fiel mein Blick auf eine auf¬ Benno ſchrieb unter dem Vorwand, den Wunſch Ganz klar war es nicht, was von beidem er meinte. Ich konnte über eine unerklärliche Erregung nicht In dieſem Augenblick fiel mein Blick auf eine auf¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0120" n="116"/> <fw type="pageNum" place="top">— 116 —<lb/></fw> <p>Benno ſchrieb unter dem Vorwand, den Wunſch<lb/> meiner Mutter auch ſeinerſeits noch zu unterſtützen. In<lb/> Wirklichkeit trieb ihn jedoch etwas andres zu dieſem<lb/> Brief: auf Grund von allerlei umlaufenden Gerüchten<lb/> ſchien er beunruhigt über meine „allzufreie“ Lebens¬<lb/> geſtaltung, wie er ſie nannte, und hielt ſich für ver¬<lb/> pflichtet, mich vor Verleumdungen zu warnen, — oder<lb/> auch vor mir ſelbſt.</p><lb/> <p>Ganz klar war es nicht, was von beidem er meinte.<lb/> Seine Worte enthielten viele philiſtröſe Bedenklichkeiten,<lb/> über die ich lächeln mußte, auch viel Unkenntnis des<lb/> Provinzlers und Fachmenſchen hinſichtlich des Lebens in<lb/> Weltſtädten und unter Künſtlern. Ja, das wußte ich ja<lb/> nun längſt: Benno verkörperte nicht gerade den Begriff<lb/> eines unfehlbaren Idealhelden, ſondern mochte das Pracht¬<lb/> exemplar eines eingefleiſchten Pedanten und Moraliſten<lb/> ſein. Ungefähr das Gegenteil von all dem, was jetzt<lb/> meine leicht gefeſſelte Phantaſie entzücken und verführen<lb/> konnte. Aber daß er ſich erdreiſtete, ſo zu ſchreiben,<lb/> daß er ſich für verpflichtet hielt, ſo zu kontrollieren, was<lb/> ich thun durfte und nicht thun durfte, — er, der mich<lb/> ja nicht einmal geliebt, — nein, geliebt hatte er mich<lb/> nicht, ſondern fortgeſtoßen —.</p><lb/> <p>Ich konnte über eine unerklärliche Erregung nicht<lb/> Herr werden, während ich unter meinen Gäſten umher¬<lb/> ging, und lachte und ſcherzte.</p><lb/> <p>In dieſem Augenblick fiel mein Blick auf eine auf¬<lb/> geſchlagene Mappe, worin ich einige wertvolle Kunſt¬<lb/> blätter aufbewahrte und die eben von einer jungen Malerin<lb/> beſehen wurde. Obenauf lag die bekannte Radierung<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [116/0120]
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Benno ſchrieb unter dem Vorwand, den Wunſch
meiner Mutter auch ſeinerſeits noch zu unterſtützen. In
Wirklichkeit trieb ihn jedoch etwas andres zu dieſem
Brief: auf Grund von allerlei umlaufenden Gerüchten
ſchien er beunruhigt über meine „allzufreie“ Lebens¬
geſtaltung, wie er ſie nannte, und hielt ſich für ver¬
pflichtet, mich vor Verleumdungen zu warnen, — oder
auch vor mir ſelbſt.
Ganz klar war es nicht, was von beidem er meinte.
Seine Worte enthielten viele philiſtröſe Bedenklichkeiten,
über die ich lächeln mußte, auch viel Unkenntnis des
Provinzlers und Fachmenſchen hinſichtlich des Lebens in
Weltſtädten und unter Künſtlern. Ja, das wußte ich ja
nun längſt: Benno verkörperte nicht gerade den Begriff
eines unfehlbaren Idealhelden, ſondern mochte das Pracht¬
exemplar eines eingefleiſchten Pedanten und Moraliſten
ſein. Ungefähr das Gegenteil von all dem, was jetzt
meine leicht gefeſſelte Phantaſie entzücken und verführen
konnte. Aber daß er ſich erdreiſtete, ſo zu ſchreiben,
daß er ſich für verpflichtet hielt, ſo zu kontrollieren, was
ich thun durfte und nicht thun durfte, — er, der mich
ja nicht einmal geliebt, — nein, geliebt hatte er mich
nicht, ſondern fortgeſtoßen —.
Ich konnte über eine unerklärliche Erregung nicht
Herr werden, während ich unter meinen Gäſten umher¬
ging, und lachte und ſcherzte.
In dieſem Augenblick fiel mein Blick auf eine auf¬
geſchlagene Mappe, worin ich einige wertvolle Kunſt¬
blätter aufbewahrte und die eben von einer jungen Malerin
beſehen wurde. Obenauf lag die bekannte Radierung
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