Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ah! das ist merkwürdig. Haben wir noch weit bis dahin? Höchstens noch eine Viertelstunde -- wir müssen gleich den Giebel des Hauses erblicken. Fahren Sie denn zu dem Amtmann? Ja, ein wichtiges Geschäft führt mich zu ihm. Wie ist der Mann beschaffen? Ich zuckte die Achseln. Er soll ein Menschenfeind, ein verdrießlicher alter Kauz sein, wenig umgänglich. Nun, Sie wollen nicht schlecht von ihm reden; Sie leben unter seinem Dache -- Offen gesagt, Herr Baron, ich bin mit ihm zerfallen und hatte eben sein Haus verlassen, als wir uns so wunderbar begegneten. Mein Urtheil würde daher leicht parteiisch ausfallen. Die Gesinnung eines Ehrenmannes! -- Gut denn, schweigen wir von dem Amtmann. Aber das können Sie mir beantworten: lebt in dem Hause eine junge Dame, ein Fräulein von Halden? Ich bejahte in der lebhaftesten Bewegung; die Frage hatte mich zu sehr überrascht. In welcher Beziehung stand der Baron zu dem Fraulein? Dieser bemerkte meine Bewegung und fixirte mich scharf. Weiß die Dame bereits den Tod ihres braven Vaters? fragte er zögernd. Ja, schon seit längerer Zeit. Wenn Sie wüßten, wie sie ihn betrauert! Fühlt sie sich übrigens in dem Hause des Amtmanns glücklich? Ich glaube -- oder ich weiß vielmehr -- nein. Ich bin fest entschlossen, sie um jeden Preis aus jenem Hause zu befreien. Hoho! Mit welchem Recht? Mit dem Rechte der Humanität -- der Nächstenliebe. Sie müssen mich dabei unterstützen. Klären Sie mich auf! Ich bin dazu bereit. Doch zuvor, Herr Ba- Ah! das ist merkwürdig. Haben wir noch weit bis dahin? Höchstens noch eine Viertelstunde — wir müssen gleich den Giebel des Hauses erblicken. Fahren Sie denn zu dem Amtmann? Ja, ein wichtiges Geschäft führt mich zu ihm. Wie ist der Mann beschaffen? Ich zuckte die Achseln. Er soll ein Menschenfeind, ein verdrießlicher alter Kauz sein, wenig umgänglich. Nun, Sie wollen nicht schlecht von ihm reden; Sie leben unter seinem Dache — Offen gesagt, Herr Baron, ich bin mit ihm zerfallen und hatte eben sein Haus verlassen, als wir uns so wunderbar begegneten. Mein Urtheil würde daher leicht parteiisch ausfallen. Die Gesinnung eines Ehrenmannes! — Gut denn, schweigen wir von dem Amtmann. Aber das können Sie mir beantworten: lebt in dem Hause eine junge Dame, ein Fräulein von Halden? Ich bejahte in der lebhaftesten Bewegung; die Frage hatte mich zu sehr überrascht. In welcher Beziehung stand der Baron zu dem Fraulein? Dieser bemerkte meine Bewegung und fixirte mich scharf. Weiß die Dame bereits den Tod ihres braven Vaters? fragte er zögernd. Ja, schon seit längerer Zeit. Wenn Sie wüßten, wie sie ihn betrauert! Fühlt sie sich übrigens in dem Hause des Amtmanns glücklich? Ich glaube — oder ich weiß vielmehr — nein. Ich bin fest entschlossen, sie um jeden Preis aus jenem Hause zu befreien. Hoho! Mit welchem Recht? Mit dem Rechte der Humanität — der Nächstenliebe. Sie müssen mich dabei unterstützen. Klären Sie mich auf! Ich bin dazu bereit. Doch zuvor, Herr Ba- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0067"/> <p>Ah! das ist merkwürdig. Haben wir noch weit bis dahin? </p><lb/> <p>Höchstens noch eine Viertelstunde — wir müssen gleich den Giebel des Hauses erblicken. Fahren Sie denn zu dem Amtmann? </p><lb/> <p>Ja, ein wichtiges Geschäft führt mich zu ihm. Wie ist der Mann beschaffen? </p><lb/> <p>Ich zuckte die Achseln. </p><lb/> <p>Er soll ein Menschenfeind, ein verdrießlicher alter Kauz sein, wenig umgänglich. Nun, Sie wollen nicht schlecht von ihm reden; Sie leben unter seinem Dache —</p><lb/> <p>Offen gesagt, Herr Baron, ich bin mit ihm zerfallen und hatte eben sein Haus verlassen, als wir uns so wunderbar begegneten. Mein Urtheil würde daher leicht parteiisch ausfallen. </p><lb/> <p>Die Gesinnung eines Ehrenmannes! — Gut denn, schweigen wir von dem Amtmann. Aber das können Sie mir beantworten: lebt in dem Hause eine junge Dame, ein Fräulein von Halden?</p><lb/> <p>Ich bejahte in der lebhaftesten Bewegung; die Frage hatte mich zu sehr überrascht. In welcher Beziehung stand der Baron zu dem Fraulein? Dieser bemerkte meine Bewegung und fixirte mich scharf. </p><lb/> <p>Weiß die Dame bereits den Tod ihres braven Vaters? fragte er zögernd. </p><lb/> <p>Ja, schon seit längerer Zeit. Wenn Sie wüßten, wie sie ihn betrauert! </p><lb/> <p>Fühlt sie sich übrigens in dem Hause des Amtmanns glücklich? </p><lb/> <p>Ich glaube — oder ich weiß vielmehr — nein. Ich bin fest entschlossen, sie um jeden Preis aus jenem Hause zu befreien. </p><lb/> <p>Hoho! Mit welchem Recht? </p><lb/> <p>Mit dem Rechte der Humanität — der Nächstenliebe. Sie müssen mich dabei unterstützen. </p><lb/> <p>Klären Sie mich auf! </p><lb/> <p>Ich bin dazu bereit. Doch zuvor, Herr Ba-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0067]
Ah! das ist merkwürdig. Haben wir noch weit bis dahin?
Höchstens noch eine Viertelstunde — wir müssen gleich den Giebel des Hauses erblicken. Fahren Sie denn zu dem Amtmann?
Ja, ein wichtiges Geschäft führt mich zu ihm. Wie ist der Mann beschaffen?
Ich zuckte die Achseln.
Er soll ein Menschenfeind, ein verdrießlicher alter Kauz sein, wenig umgänglich. Nun, Sie wollen nicht schlecht von ihm reden; Sie leben unter seinem Dache —
Offen gesagt, Herr Baron, ich bin mit ihm zerfallen und hatte eben sein Haus verlassen, als wir uns so wunderbar begegneten. Mein Urtheil würde daher leicht parteiisch ausfallen.
Die Gesinnung eines Ehrenmannes! — Gut denn, schweigen wir von dem Amtmann. Aber das können Sie mir beantworten: lebt in dem Hause eine junge Dame, ein Fräulein von Halden?
Ich bejahte in der lebhaftesten Bewegung; die Frage hatte mich zu sehr überrascht. In welcher Beziehung stand der Baron zu dem Fraulein? Dieser bemerkte meine Bewegung und fixirte mich scharf.
Weiß die Dame bereits den Tod ihres braven Vaters? fragte er zögernd.
Ja, schon seit längerer Zeit. Wenn Sie wüßten, wie sie ihn betrauert!
Fühlt sie sich übrigens in dem Hause des Amtmanns glücklich?
Ich glaube — oder ich weiß vielmehr — nein. Ich bin fest entschlossen, sie um jeden Preis aus jenem Hause zu befreien.
Hoho! Mit welchem Recht?
Mit dem Rechte der Humanität — der Nächstenliebe. Sie müssen mich dabei unterstützen.
Klären Sie mich auf!
Ich bin dazu bereit. Doch zuvor, Herr Ba-
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Zitationshilfe: | Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/67>, abgerufen am 16.07.2024. |