Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Baron gerührt, und es bedurfte nur eines Wortes von Ihnen, um Sie zu retten und mich zu verderben. Ach! ich kann es Ihnen nie vergelten! Ich war in Verzweiflung, Ihren Aufenthalt nicht zu wissen -- alle meine Erkundigungen waren umsonst -- und nun find' ich Sie mitten auf der Landstraße und muß das Ungeschick meines Kutschers segnen, ohne daß Sie unbemerkt an mir vorbei gerollt wären.

Ich fragte den Baron nach seinen Schicksalen in der Zeit, daß wir uns nicht gesehen. Er hatte unter Kutusow den Krieg in Rußland mitgefochten, war dann unter die Fahnen seines Königs geeilt, um auf deutschem Boden gegen den alten Feind zu kämpfen. Bei Leipzig hatte er ein Bein verloren, ein Mißgeschick, das er nur beklagte, weil es seinem Kriegerleben ein Ende machte. Nun, sprach er am Ende seiner Erzählung, es sollte so sein. Auch ohne mich werden unsre Truppen in Paris einziehen und die preußische Fahne auf Montmartre pflanzen. Ich wäre freilich gerne bis zu Ende dabei geblieben.

Sie haben Ihr Wort gehalten, sprach ich bewegt, und ich schätze mich glücklich, durch eine gütige Fügung des Himmels ohne mein Verdienst dazu beigetragen zu haben, einen solchen Mann dem Vaterlande zu erhalten. Ich selbst dagegen bin leider weder als Feldprediger, wie Sie damals scherzten, noch als Mitstreiter bei dem großen Erlösungskampfe thätig gewesen; indessen --

Machen Sie sich darüber keine Sorge, versetzte der Baron, mich unterbrechend; Jeder in seinem Beruf! Wir haben Soldaten genug, und ich zweifle nicht, daß der Krieg in wenigen Monaten beendigt sein wird, Napoleon's Mittel sind erschöpft, unsre Armeen sind ihm um das Sechsfache überlegen.

Und wo lebten Sie seit Ihrer Entlassung aus dem Gefängniß? fragte er nach einer Pause.

Hier in der Gegend, versetzte ich, beim Amtmann O. in der bescheidenen Stellung eines Hauslehrers.

Baron gerührt, und es bedurfte nur eines Wortes von Ihnen, um Sie zu retten und mich zu verderben. Ach! ich kann es Ihnen nie vergelten! Ich war in Verzweiflung, Ihren Aufenthalt nicht zu wissen — alle meine Erkundigungen waren umsonst — und nun find' ich Sie mitten auf der Landstraße und muß das Ungeschick meines Kutschers segnen, ohne daß Sie unbemerkt an mir vorbei gerollt wären.

Ich fragte den Baron nach seinen Schicksalen in der Zeit, daß wir uns nicht gesehen. Er hatte unter Kutusow den Krieg in Rußland mitgefochten, war dann unter die Fahnen seines Königs geeilt, um auf deutschem Boden gegen den alten Feind zu kämpfen. Bei Leipzig hatte er ein Bein verloren, ein Mißgeschick, das er nur beklagte, weil es seinem Kriegerleben ein Ende machte. Nun, sprach er am Ende seiner Erzählung, es sollte so sein. Auch ohne mich werden unsre Truppen in Paris einziehen und die preußische Fahne auf Montmartre pflanzen. Ich wäre freilich gerne bis zu Ende dabei geblieben.

Sie haben Ihr Wort gehalten, sprach ich bewegt, und ich schätze mich glücklich, durch eine gütige Fügung des Himmels ohne mein Verdienst dazu beigetragen zu haben, einen solchen Mann dem Vaterlande zu erhalten. Ich selbst dagegen bin leider weder als Feldprediger, wie Sie damals scherzten, noch als Mitstreiter bei dem großen Erlösungskampfe thätig gewesen; indessen —

Machen Sie sich darüber keine Sorge, versetzte der Baron, mich unterbrechend; Jeder in seinem Beruf! Wir haben Soldaten genug, und ich zweifle nicht, daß der Krieg in wenigen Monaten beendigt sein wird, Napoleon's Mittel sind erschöpft, unsre Armeen sind ihm um das Sechsfache überlegen.

Und wo lebten Sie seit Ihrer Entlassung aus dem Gefängniß? fragte er nach einer Pause.

Hier in der Gegend, versetzte ich, beim Amtmann O. in der bescheidenen Stellung eines Hauslehrers.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0066"/>
Baron gerührt, und es <choice><sic>dedurfte</sic><corr>bedurfte</corr></choice> nur eines      Wortes von Ihnen, um Sie zu retten und mich zu verderben. Ach! ich kann es Ihnen nie vergelten!      Ich war in Verzweiflung, Ihren Aufenthalt nicht zu wissen &#x2014; alle meine Erkundigungen waren      umsonst &#x2014; und nun find' ich Sie mitten auf der Landstraße und muß das Ungeschick meines      Kutschers segnen, ohne daß Sie unbemerkt an mir vorbei gerollt wären. </p><lb/>
        <p>Ich fragte den Baron nach seinen Schicksalen in der Zeit, daß wir uns nicht gesehen. Er hatte      unter Kutusow den Krieg in Rußland mitgefochten, war dann unter die Fahnen seines Königs      geeilt, um auf deutschem Boden gegen den alten Feind zu kämpfen. Bei Leipzig hatte er ein Bein      verloren, ein Mißgeschick, das er nur beklagte, weil es seinem Kriegerleben ein Ende machte.      Nun, sprach er am Ende seiner Erzählung, es sollte so sein. Auch ohne mich werden unsre Truppen      in Paris einziehen und die preußische Fahne auf Montmartre pflanzen. Ich wäre freilich gerne      bis zu Ende dabei geblieben. </p><lb/>
        <p>Sie haben Ihr Wort gehalten, sprach ich bewegt, und ich schätze mich glücklich, durch eine      gütige Fügung des Himmels ohne mein Verdienst dazu beigetragen zu haben, einen solchen Mann dem      Vaterlande zu erhalten. Ich selbst dagegen bin leider weder als Feldprediger, wie Sie damals      scherzten, noch als Mitstreiter bei dem großen Erlösungskampfe thätig gewesen; indessen &#x2014;</p><lb/>
        <p>Machen Sie sich darüber keine Sorge, versetzte der Baron, mich unterbrechend; Jeder in seinem      Beruf! Wir haben Soldaten genug, und ich zweifle nicht, daß der Krieg in wenigen Monaten      beendigt sein wird, Napoleon's Mittel sind erschöpft, unsre Armeen sind ihm um das Sechsfache      überlegen. </p><lb/>
        <p>Und wo lebten Sie seit Ihrer Entlassung aus dem Gefängniß? fragte er nach einer Pause. </p><lb/>
        <p>Hier in der Gegend, versetzte ich, beim Amtmann O. in der bescheidenen Stellung eines      Hauslehrers. </p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0066] Baron gerührt, und es bedurfte nur eines Wortes von Ihnen, um Sie zu retten und mich zu verderben. Ach! ich kann es Ihnen nie vergelten! Ich war in Verzweiflung, Ihren Aufenthalt nicht zu wissen — alle meine Erkundigungen waren umsonst — und nun find' ich Sie mitten auf der Landstraße und muß das Ungeschick meines Kutschers segnen, ohne daß Sie unbemerkt an mir vorbei gerollt wären. Ich fragte den Baron nach seinen Schicksalen in der Zeit, daß wir uns nicht gesehen. Er hatte unter Kutusow den Krieg in Rußland mitgefochten, war dann unter die Fahnen seines Königs geeilt, um auf deutschem Boden gegen den alten Feind zu kämpfen. Bei Leipzig hatte er ein Bein verloren, ein Mißgeschick, das er nur beklagte, weil es seinem Kriegerleben ein Ende machte. Nun, sprach er am Ende seiner Erzählung, es sollte so sein. Auch ohne mich werden unsre Truppen in Paris einziehen und die preußische Fahne auf Montmartre pflanzen. Ich wäre freilich gerne bis zu Ende dabei geblieben. Sie haben Ihr Wort gehalten, sprach ich bewegt, und ich schätze mich glücklich, durch eine gütige Fügung des Himmels ohne mein Verdienst dazu beigetragen zu haben, einen solchen Mann dem Vaterlande zu erhalten. Ich selbst dagegen bin leider weder als Feldprediger, wie Sie damals scherzten, noch als Mitstreiter bei dem großen Erlösungskampfe thätig gewesen; indessen — Machen Sie sich darüber keine Sorge, versetzte der Baron, mich unterbrechend; Jeder in seinem Beruf! Wir haben Soldaten genug, und ich zweifle nicht, daß der Krieg in wenigen Monaten beendigt sein wird, Napoleon's Mittel sind erschöpft, unsre Armeen sind ihm um das Sechsfache überlegen. Und wo lebten Sie seit Ihrer Entlassung aus dem Gefängniß? fragte er nach einer Pause. Hier in der Gegend, versetzte ich, beim Amtmann O. in der bescheidenen Stellung eines Hauslehrers.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:28:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:28:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/66
Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/66>, abgerufen am 25.04.2024.