Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sie sich von meinem Zustand versprechen durften, als das Beste bei der ganzen Affaire. Die Tage meiner allmählichen Genesung gehörten zu den schönsten meines Lebens; ich verweile gern dabei, wenn ich mich zuweilen für die Plagen des Alters aus dem Born der Erinnerung erquicke. Anna von Halden ließ es sich nicht nehmen, täglich der Vorschrift des Chirurgus gemäß den Verband meines Arms zu erneuen, obgleich der Amtmann mehr als einmal ärgerlich sagte, dergleichen Dienste würden sich besser für die "Mamsell" schicken. Kein Verbot ihres Onkels verhinderte sie, den größten Theil des Tages mir Gesellschaft zu leisten; wir lasen zusammen und tauschten Gedanken; wir waren im Geiste bald verlobt und versprochen; vereint auf Lebenszeit, ohne es einander je gesagt oder die Ringe gewechselt zu haben. Mein Herz war eher geheilt, als mein Arm, ich sah der Zukunft ruhig entgegen. Der Amtmann schien von diesem inneren Vorgang etwas zu ahnen; jedenfalls erschienen ihm unsre Gespräche über Klopstock's Oden nicht mehr so harmlos, als ehedem. Er faßte seinen Entschluß und arrangirte meine Entfernung mit einer diplomatischen Zartheit, welcher ich noch heute meine Anerkennung zollen muß. Ich war völlig wieder hergestellt -- im December, wenn ich nicht irre, -- als Herr O. seine Nichte zu einer Schlittenfahrt einlud. Beim Wegfahren nickte er mir freundlich zu. Als der Schlitten in der Ferne entschwunden und ich fröstelnd auf mein Zimmer zurückgekehrt war, trat der Verwalter ein und überreichte mir schweigend mit feierlicher Miene eine versiegelte Geldrolle nebst einem Brief. Was soll das? fragt' ich verwundert. Vom Herrn Amtmann, erwiderte der Verwalter lakonisch. Ich öffnete das Schreiben und las; es lautete ungefähr also: "So sehr ich Ursache habe, mit Ihrem auf die Er- sie sich von meinem Zustand versprechen durften, als das Beste bei der ganzen Affaire. Die Tage meiner allmählichen Genesung gehörten zu den schönsten meines Lebens; ich verweile gern dabei, wenn ich mich zuweilen für die Plagen des Alters aus dem Born der Erinnerung erquicke. Anna von Halden ließ es sich nicht nehmen, täglich der Vorschrift des Chirurgus gemäß den Verband meines Arms zu erneuen, obgleich der Amtmann mehr als einmal ärgerlich sagte, dergleichen Dienste würden sich besser für die „Mamsell“ schicken. Kein Verbot ihres Onkels verhinderte sie, den größten Theil des Tages mir Gesellschaft zu leisten; wir lasen zusammen und tauschten Gedanken; wir waren im Geiste bald verlobt und versprochen; vereint auf Lebenszeit, ohne es einander je gesagt oder die Ringe gewechselt zu haben. Mein Herz war eher geheilt, als mein Arm, ich sah der Zukunft ruhig entgegen. Der Amtmann schien von diesem inneren Vorgang etwas zu ahnen; jedenfalls erschienen ihm unsre Gespräche über Klopstock's Oden nicht mehr so harmlos, als ehedem. Er faßte seinen Entschluß und arrangirte meine Entfernung mit einer diplomatischen Zartheit, welcher ich noch heute meine Anerkennung zollen muß. Ich war völlig wieder hergestellt — im December, wenn ich nicht irre, — als Herr O. seine Nichte zu einer Schlittenfahrt einlud. Beim Wegfahren nickte er mir freundlich zu. Als der Schlitten in der Ferne entschwunden und ich fröstelnd auf mein Zimmer zurückgekehrt war, trat der Verwalter ein und überreichte mir schweigend mit feierlicher Miene eine versiegelte Geldrolle nebst einem Brief. Was soll das? fragt' ich verwundert. Vom Herrn Amtmann, erwiderte der Verwalter lakonisch. Ich öffnete das Schreiben und las; es lautete ungefähr also: „So sehr ich Ursache habe, mit Ihrem auf die Er- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0061"/> sie sich von meinem Zustand versprechen durften, als das Beste bei der ganzen Affaire. </p><lb/> <p>Die Tage meiner allmählichen Genesung gehörten zu den schönsten meines Lebens; ich verweile gern dabei, wenn ich mich zuweilen für die Plagen des Alters aus dem Born der Erinnerung erquicke. 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Er faßte seinen Entschluß und arrangirte meine Entfernung mit einer diplomatischen Zartheit, welcher ich noch heute meine Anerkennung zollen muß. </p><lb/> <p>Ich war völlig wieder hergestellt — im December, wenn ich nicht irre, — als Herr O. seine Nichte zu einer Schlittenfahrt einlud. Beim Wegfahren nickte er mir freundlich zu. Als der Schlitten in der Ferne entschwunden und ich fröstelnd auf mein Zimmer zurückgekehrt war, trat der Verwalter ein und überreichte mir schweigend mit feierlicher Miene eine versiegelte Geldrolle nebst einem Brief. </p><lb/> <p>Was soll das? fragt' ich verwundert. </p><lb/> <p>Vom Herrn Amtmann, erwiderte der Verwalter lakonisch. Ich öffnete das Schreiben und las; es lautete ungefähr also: </p><lb/> <p> „So sehr ich Ursache habe, mit Ihrem auf die Er-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0061]
sie sich von meinem Zustand versprechen durften, als das Beste bei der ganzen Affaire.
Die Tage meiner allmählichen Genesung gehörten zu den schönsten meines Lebens; ich verweile gern dabei, wenn ich mich zuweilen für die Plagen des Alters aus dem Born der Erinnerung erquicke. Anna von Halden ließ es sich nicht nehmen, täglich der Vorschrift des Chirurgus gemäß den Verband meines Arms zu erneuen, obgleich der Amtmann mehr als einmal ärgerlich sagte, dergleichen Dienste würden sich besser für die „Mamsell“ schicken. Kein Verbot ihres Onkels verhinderte sie, den größten Theil des Tages mir Gesellschaft zu leisten; wir lasen zusammen und tauschten Gedanken; wir waren im Geiste bald verlobt und versprochen; vereint auf Lebenszeit, ohne es einander je gesagt oder die Ringe gewechselt zu haben. Mein Herz war eher geheilt, als mein Arm, ich sah der Zukunft ruhig entgegen. Der Amtmann schien von diesem inneren Vorgang etwas zu ahnen; jedenfalls erschienen ihm unsre Gespräche über Klopstock's Oden nicht mehr so harmlos, als ehedem. Er faßte seinen Entschluß und arrangirte meine Entfernung mit einer diplomatischen Zartheit, welcher ich noch heute meine Anerkennung zollen muß.
Ich war völlig wieder hergestellt — im December, wenn ich nicht irre, — als Herr O. seine Nichte zu einer Schlittenfahrt einlud. Beim Wegfahren nickte er mir freundlich zu. Als der Schlitten in der Ferne entschwunden und ich fröstelnd auf mein Zimmer zurückgekehrt war, trat der Verwalter ein und überreichte mir schweigend mit feierlicher Miene eine versiegelte Geldrolle nebst einem Brief.
Was soll das? fragt' ich verwundert.
Vom Herrn Amtmann, erwiderte der Verwalter lakonisch. Ich öffnete das Schreiben und las; es lautete ungefähr also:
„So sehr ich Ursache habe, mit Ihrem auf die Er-
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Zitationshilfe: | Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/61>, abgerufen am 16.07.2024. |