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Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Aber sind Sie so gewiß, daß das Fräulein mit Ihren Gefühlen übereinstimmt?

Ich habe ihr in Rücksicht auf ihre Trauer, die Anstands halber noch einige Monate dauern muß, meine Intentionen noch nicht ausgesprochen. Es kann indeß jeden Tag geschehen, und ich bin überzeugt, daß das liebe Kind bei einer Reflexion über seine Verhältnisse und Aussichten sich glücklich schätzen wird, einen Mann zu bekommen.

Es zuckte mir in den Fingern, und ich hatte meine ganze Selbstbeherrschung nöthig, sehr unchristliche Regungen, welche ich gegen den Amtmann fühlte, äußerlich wenigstens zu unterdrücken. Dieser ahnte offenbar von meiner Stimmung nicht das Mindeste und sagte ruhig:

Da Sie nun, mein lieber Herr Friedmann, in meine Absichten eingeweiht sind, werden Sie die Schicklichkeit berücksichtigen und eine zu große Vertraulichkeit mit Fräulein von Halden zu vermeiden suchen. Ich glaube gern, daß Sie nichts weiter dabei denken, wenn Sie mit ihr unter einem Eichenbäume für Klopstock's Oden schwärmen -- indessen, es ist doch angemessener, wenn das von jetzt an unterbleibt.

Mit diesen Worten verließ er mich und ging aus dem Garten. Ich stand wie betaubt; mein erster Gedanke war, nach dem Borkenhause zu eilen und mich dem Fräulein zu entdecken. Durft' ich länger zögern, sie über die Gefühle ihres Oheims zu enttäuschen? -- Durft' ich sie länger über meine Gefühle im Zweifel lassen? -- Aber wie? sollt' ich auf der andern Seite das mir geschenkte Vertrauen verletzen? ein fremdes Geheimniß verrathen? Sollt' ich die kaum verharschten Wunden in ihrer Seele wieder aufreißen, indem ich ihr Absichten enthüllte, die sie verletzen, erschrecken, die ihr den Aufenthalt unter dem Dache ihres einzigen Verwandten verleiden müßten? -- Und was konnt' ich ihr Bieten ? -- Ein ärmliches Asyl im Hause meiner Mutter, bis -- wer konnte sagen, wann? -- meine Hoff

Aber sind Sie so gewiß, daß das Fräulein mit Ihren Gefühlen übereinstimmt?

Ich habe ihr in Rücksicht auf ihre Trauer, die Anstands halber noch einige Monate dauern muß, meine Intentionen noch nicht ausgesprochen. Es kann indeß jeden Tag geschehen, und ich bin überzeugt, daß das liebe Kind bei einer Reflexion über seine Verhältnisse und Aussichten sich glücklich schätzen wird, einen Mann zu bekommen.

Es zuckte mir in den Fingern, und ich hatte meine ganze Selbstbeherrschung nöthig, sehr unchristliche Regungen, welche ich gegen den Amtmann fühlte, äußerlich wenigstens zu unterdrücken. Dieser ahnte offenbar von meiner Stimmung nicht das Mindeste und sagte ruhig:

Da Sie nun, mein lieber Herr Friedmann, in meine Absichten eingeweiht sind, werden Sie die Schicklichkeit berücksichtigen und eine zu große Vertraulichkeit mit Fräulein von Halden zu vermeiden suchen. Ich glaube gern, daß Sie nichts weiter dabei denken, wenn Sie mit ihr unter einem Eichenbäume für Klopstock's Oden schwärmen — indessen, es ist doch angemessener, wenn das von jetzt an unterbleibt.

Mit diesen Worten verließ er mich und ging aus dem Garten. Ich stand wie betaubt; mein erster Gedanke war, nach dem Borkenhause zu eilen und mich dem Fräulein zu entdecken. Durft' ich länger zögern, sie über die Gefühle ihres Oheims zu enttäuschen? — Durft' ich sie länger über meine Gefühle im Zweifel lassen? — Aber wie? sollt' ich auf der andern Seite das mir geschenkte Vertrauen verletzen? ein fremdes Geheimniß verrathen? Sollt' ich die kaum verharschten Wunden in ihrer Seele wieder aufreißen, indem ich ihr Absichten enthüllte, die sie verletzen, erschrecken, die ihr den Aufenthalt unter dem Dache ihres einzigen Verwandten verleiden müßten? — Und was konnt' ich ihr Bieten ? — Ein ärmliches Asyl im Hause meiner Mutter, bis — wer konnte sagen, wann? — meine Hoff

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[0055] Aber sind Sie so gewiß, daß das Fräulein mit Ihren Gefühlen übereinstimmt? Ich habe ihr in Rücksicht auf ihre Trauer, die Anstands halber noch einige Monate dauern muß, meine Intentionen noch nicht ausgesprochen. Es kann indeß jeden Tag geschehen, und ich bin überzeugt, daß das liebe Kind bei einer Reflexion über seine Verhältnisse und Aussichten sich glücklich schätzen wird, einen Mann zu bekommen. Es zuckte mir in den Fingern, und ich hatte meine ganze Selbstbeherrschung nöthig, sehr unchristliche Regungen, welche ich gegen den Amtmann fühlte, äußerlich wenigstens zu unterdrücken. Dieser ahnte offenbar von meiner Stimmung nicht das Mindeste und sagte ruhig: Da Sie nun, mein lieber Herr Friedmann, in meine Absichten eingeweiht sind, werden Sie die Schicklichkeit berücksichtigen und eine zu große Vertraulichkeit mit Fräulein von Halden zu vermeiden suchen. Ich glaube gern, daß Sie nichts weiter dabei denken, wenn Sie mit ihr unter einem Eichenbäume für Klopstock's Oden schwärmen — indessen, es ist doch angemessener, wenn das von jetzt an unterbleibt. Mit diesen Worten verließ er mich und ging aus dem Garten. Ich stand wie betaubt; mein erster Gedanke war, nach dem Borkenhause zu eilen und mich dem Fräulein zu entdecken. Durft' ich länger zögern, sie über die Gefühle ihres Oheims zu enttäuschen? — Durft' ich sie länger über meine Gefühle im Zweifel lassen? — Aber wie? sollt' ich auf der andern Seite das mir geschenkte Vertrauen verletzen? ein fremdes Geheimniß verrathen? Sollt' ich die kaum verharschten Wunden in ihrer Seele wieder aufreißen, indem ich ihr Absichten enthüllte, die sie verletzen, erschrecken, die ihr den Aufenthalt unter dem Dache ihres einzigen Verwandten verleiden müßten? — Und was konnt' ich ihr Bieten ? — Ein ärmliches Asyl im Hause meiner Mutter, bis — wer konnte sagen, wann? — meine Hoff

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Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/55>, abgerufen am 20.04.2024.