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Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Mit Heroismus bestand ich seinen herkulischen Händedruck und erklärte dann: nunmehr, da er seine Drohungen zuruckgenommen, wolle ich ihm offen erklären, daß ich in jeder Hinsicht mit seinen patriotischen Gesinnungen sympathisirte, daß ich zwar weder dem Tugendbunde, noch sonstigen geheimen Verbindungen angehörte, aber ein durch und durch deutsches Herz hätte und das an diesem Abend Erlebte so lange darin versiegelt halten würde, bis Deutschland von dem fremden Joche befreit sein werde. Nach dieser mit überfließender Beredtsamkeit gegebenen Erklärung wollte ich mich empfehlen mit der Bitte, mir einen Boten nach dem Gute des Herrn von Stawitz mitzugeben.

Aber mein Schicksal hatte es anders beschlossen.

Der Baron erklärte, ich müsse für die Nacht sein Gast bleiben und einige Flaschen Wein mit ihm leeren.

Mit diesen Worten, keinen Widerspruch gestattend, führte er mich und den Referendar in das Nebenzimmer, wo eine Tafel für drei Personen gedeckt stand. Als wir uns zu Tisch sitzen, schlug eine ehrwürdige Wanduhr, welche in Gestalt einer Capelle auf dem Spiegeltisch stand, in krächzenden Schlägen eins Uhr.

Der Bediente servirte einen stattlichen Wildbraten; einige Flaschen erlesenen Rheinweins wurden entkorkt und ergossen ihren duftigen Lebensbalsam in drei hohe grüne Gläser mit vergoldeten Rändern.

Das Convivium war anfangs schweigsam wie ein Leichenschmaus: Jeder hatte viel zu denken.

Der arme Hauptmann! sagte endlich der Baron, wenn er nur keine gar zu compromittirenden Papiere bei sich trägt!

Und wenn die Briefe, welche er dir bringt, nur nicht an dich adressirt sind! fügte der Referendar hinzu.

Wahrhaftig, sagte Jener, ich muß mich reisefertig halten; ich werde Alles zur Flucht nach Oesterreich oder Rußland in Stand setzen, -- sonst könnte ich

Mit Heroismus bestand ich seinen herkulischen Händedruck und erklärte dann: nunmehr, da er seine Drohungen zuruckgenommen, wolle ich ihm offen erklären, daß ich in jeder Hinsicht mit seinen patriotischen Gesinnungen sympathisirte, daß ich zwar weder dem Tugendbunde, noch sonstigen geheimen Verbindungen angehörte, aber ein durch und durch deutsches Herz hätte und das an diesem Abend Erlebte so lange darin versiegelt halten würde, bis Deutschland von dem fremden Joche befreit sein werde. Nach dieser mit überfließender Beredtsamkeit gegebenen Erklärung wollte ich mich empfehlen mit der Bitte, mir einen Boten nach dem Gute des Herrn von Stawitz mitzugeben.

Aber mein Schicksal hatte es anders beschlossen.

Der Baron erklärte, ich müsse für die Nacht sein Gast bleiben und einige Flaschen Wein mit ihm leeren.

Mit diesen Worten, keinen Widerspruch gestattend, führte er mich und den Referendar in das Nebenzimmer, wo eine Tafel für drei Personen gedeckt stand. Als wir uns zu Tisch sitzen, schlug eine ehrwürdige Wanduhr, welche in Gestalt einer Capelle auf dem Spiegeltisch stand, in krächzenden Schlägen eins Uhr.

Der Bediente servirte einen stattlichen Wildbraten; einige Flaschen erlesenen Rheinweins wurden entkorkt und ergossen ihren duftigen Lebensbalsam in drei hohe grüne Gläser mit vergoldeten Rändern.

Das Convivium war anfangs schweigsam wie ein Leichenschmaus: Jeder hatte viel zu denken.

Der arme Hauptmann! sagte endlich der Baron, wenn er nur keine gar zu compromittirenden Papiere bei sich trägt!

Und wenn die Briefe, welche er dir bringt, nur nicht an dich adressirt sind! fügte der Referendar hinzu.

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Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/28>, abgerufen am 28.03.2024.