Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Das ist eben das Unglück, versetzte der Schüler Jahn's; wenn Alle offen sprächen und aus ihren Gesinnungen kein Hehl machten, würden bald die Gefängnisse der Feinde zu eng werden, und Tausende würden sich erheben wie ein Mann. Aber so ballt Jeder die Faust in der Tasche, und Keiner traut dem Anderen.

Ich betheuerte ihm meine patriotischen Gefühle, machte aber bescheidene Einwände gegen die Zumuthung, mich vor der Zeit muthwillig zu exponiren. Nachdem er diese meine Bedenken weitläufig bekämpft und, da ich verstummte, widerlegt zu haben glaubte, auch einige düstere Winke über die nahe bevorstehende blutige Erhebung hingeworfen hatte, lehnte er sich zurück und entschlief sanft, wahrscheinlich in Folge der starken Körperübungen, zu welchen er den Hof des Wirthshauses benutzt hatte. Ich bemerkte dies mit Vergnügen und wollte nun nicht länger meinem wachsenden Interesse für die anmuthige Reisegefährtin Zwang anthun; nach einiger Ueberlegung fragte ich sie höflich über den Zweck ihrer Reise.

Ich reise nach Helmstädt, antwortete sie, und von da weiter nach einem in der Nähe liegenden Gute.

Ich fühlte mich freudig überrascht: sie nannte meine Vaterstadt.

Und Sie wollen dort vermuthlich längere Zeit verweilen? fragte ich schüchtern.

Ich fürchte es.

Das fürchten Sie? Haben Sie eine so schlechte Meinung von den dortigen Menschen?

Das nicht; aber die Ursache meiner Reise ist so traurig, daß ich,

Hier schienen Thränen ihre Stimme zu ersticken. Ach! wie fühlte ich mein Herz von ihrem mir unbekannten Leid zusammengeschnürt; wie kämpfte meine Theilnahme mit der Besorgniß, zudringlich zu erscheinen, wenn ich weiter fragte! Jedoch die Sympathie, oder wie Sie es vielleicht lieber nennen möchten, die

Das ist eben das Unglück, versetzte der Schüler Jahn's; wenn Alle offen sprächen und aus ihren Gesinnungen kein Hehl machten, würden bald die Gefängnisse der Feinde zu eng werden, und Tausende würden sich erheben wie ein Mann. Aber so ballt Jeder die Faust in der Tasche, und Keiner traut dem Anderen.

Ich betheuerte ihm meine patriotischen Gefühle, machte aber bescheidene Einwände gegen die Zumuthung, mich vor der Zeit muthwillig zu exponiren. Nachdem er diese meine Bedenken weitläufig bekämpft und, da ich verstummte, widerlegt zu haben glaubte, auch einige düstere Winke über die nahe bevorstehende blutige Erhebung hingeworfen hatte, lehnte er sich zurück und entschlief sanft, wahrscheinlich in Folge der starken Körperübungen, zu welchen er den Hof des Wirthshauses benutzt hatte. Ich bemerkte dies mit Vergnügen und wollte nun nicht länger meinem wachsenden Interesse für die anmuthige Reisegefährtin Zwang anthun; nach einiger Ueberlegung fragte ich sie höflich über den Zweck ihrer Reise.

Ich reise nach Helmstädt, antwortete sie, und von da weiter nach einem in der Nähe liegenden Gute.

Ich fühlte mich freudig überrascht: sie nannte meine Vaterstadt.

Und Sie wollen dort vermuthlich längere Zeit verweilen? fragte ich schüchtern.

Ich fürchte es.

Das fürchten Sie? Haben Sie eine so schlechte Meinung von den dortigen Menschen?

Das nicht; aber die Ursache meiner Reise ist so traurig, daß ich,

Hier schienen Thränen ihre Stimme zu ersticken. Ach! wie fühlte ich mein Herz von ihrem mir unbekannten Leid zusammengeschnürt; wie kämpfte meine Theilnahme mit der Besorgniß, zudringlich zu erscheinen, wenn ich weiter fragte! Jedoch die Sympathie, oder wie Sie es vielleicht lieber nennen möchten, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0017"/>
        <p>Das ist eben das Unglück, versetzte der Schüler Jahn's; wenn Alle offen sprächen und aus      ihren Gesinnungen kein Hehl machten, würden bald die Gefängnisse der Feinde zu eng werden, und      Tausende würden sich erheben wie ein Mann. Aber so ballt Jeder die Faust in der Tasche, und      Keiner traut dem Anderen.</p><lb/>
        <p>Ich betheuerte ihm meine patriotischen Gefühle, machte aber bescheidene Einwände gegen die      Zumuthung, mich vor der Zeit muthwillig zu exponiren. Nachdem er diese meine Bedenken      weitläufig bekämpft und, da ich verstummte, widerlegt zu haben glaubte, auch einige düstere      Winke über die nahe bevorstehende blutige Erhebung hingeworfen hatte, lehnte er sich zurück und      entschlief sanft, wahrscheinlich in Folge der starken Körperübungen, zu welchen er den Hof des      Wirthshauses benutzt hatte. Ich bemerkte dies mit Vergnügen und wollte nun nicht länger meinem      wachsenden Interesse für die anmuthige Reisegefährtin Zwang anthun; nach einiger Ueberlegung      fragte ich sie höflich über den Zweck ihrer Reise.</p><lb/>
        <p>Ich reise nach Helmstädt, antwortete sie, und von da weiter nach einem in der Nähe liegenden      Gute.</p><lb/>
        <p>Ich fühlte mich freudig überrascht: sie nannte meine Vaterstadt.</p><lb/>
        <p>Und Sie wollen dort      vermuthlich längere Zeit verweilen? fragte ich schüchtern.</p><lb/>
        <p>Ich fürchte es.</p><lb/>
        <p>Das <hi rendition="#g">fürchten</hi> Sie? Haben Sie eine so schlechte Meinung von den dortigen Menschen?</p><lb/>
        <p>Das nicht; aber die Ursache meiner Reise ist so traurig, daß ich,</p><lb/>
        <p>Hier schienen Thränen ihre Stimme zu ersticken. Ach! wie fühlte ich mein Herz von ihrem mir      unbekannten Leid zusammengeschnürt; wie kämpfte meine Theilnahme mit der Besorgniß, zudringlich      zu erscheinen, wenn ich weiter fragte! Jedoch die Sympathie, oder wie Sie es vielleicht lieber      nennen möchten, die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] Das ist eben das Unglück, versetzte der Schüler Jahn's; wenn Alle offen sprächen und aus ihren Gesinnungen kein Hehl machten, würden bald die Gefängnisse der Feinde zu eng werden, und Tausende würden sich erheben wie ein Mann. Aber so ballt Jeder die Faust in der Tasche, und Keiner traut dem Anderen. Ich betheuerte ihm meine patriotischen Gefühle, machte aber bescheidene Einwände gegen die Zumuthung, mich vor der Zeit muthwillig zu exponiren. Nachdem er diese meine Bedenken weitläufig bekämpft und, da ich verstummte, widerlegt zu haben glaubte, auch einige düstere Winke über die nahe bevorstehende blutige Erhebung hingeworfen hatte, lehnte er sich zurück und entschlief sanft, wahrscheinlich in Folge der starken Körperübungen, zu welchen er den Hof des Wirthshauses benutzt hatte. Ich bemerkte dies mit Vergnügen und wollte nun nicht länger meinem wachsenden Interesse für die anmuthige Reisegefährtin Zwang anthun; nach einiger Ueberlegung fragte ich sie höflich über den Zweck ihrer Reise. Ich reise nach Helmstädt, antwortete sie, und von da weiter nach einem in der Nähe liegenden Gute. Ich fühlte mich freudig überrascht: sie nannte meine Vaterstadt. Und Sie wollen dort vermuthlich längere Zeit verweilen? fragte ich schüchtern. Ich fürchte es. Das fürchten Sie? Haben Sie eine so schlechte Meinung von den dortigen Menschen? Das nicht; aber die Ursache meiner Reise ist so traurig, daß ich, Hier schienen Thränen ihre Stimme zu ersticken. Ach! wie fühlte ich mein Herz von ihrem mir unbekannten Leid zusammengeschnürt; wie kämpfte meine Theilnahme mit der Besorgniß, zudringlich zu erscheinen, wenn ich weiter fragte! Jedoch die Sympathie, oder wie Sie es vielleicht lieber nennen möchten, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:28:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:28:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/17
Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/17>, abgerufen am 19.04.2024.