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Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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stets ein ganzes Compendium von Bedenklichkeiten und Vorsichtsmaßregeln im Kopfe. Wie kann man nur das Leben so systematisch behandeln! Zumal ein Mann des Glaubens, des Gottvertrauens!

Spotten Sie nur, versetzte der Pastor, ich bin es längst gewohnt, mit meiner Vorsicht -- oder, wie sie Manche nennen möchten, Furchtsamkeit -- geneckt zu werden. Aber was kann ich dafür, daß ich weiter sehe, als andere Leute? Denn ohne mich loben zu wollen, sage ich es ganz kühn heraus: meine sogenannte Furchtsamkeit ist keine Schwäche des Herzens, sondern eine Stärke der Phantasie und des Wissens. Der Unwissende sieht keine Gefahr, wo der Wissende sie in hundert Dingen, welche möglicher Weise unter gewissen Einflüssen gefährlich werden können, in denen also irgend ein Unglück so zu sagen embryonisch verborgen liegt, anticipirt. Genug; ich anticipirte -- und Niemand kann mir die Berechtigung meiner Besorgnisse abstreiten -- in dem neben mir sitzenden Schnurrbart einen französischen Officier, der aus Gott weiß welchen Gründen incognito reisen wollte, vielleicht gerade, um die Stimmung über den bevorstehenden russischen Feldzug zu erforschen.

Ich wollte eben in meinen Vermuthungen weitergehen, als mir einfiel, daß ich meine Pfeife, den Hebel meiner geistigen Functionen, noch immer kalt und trocken in den Händen hielt; noch bevor ich die Frage entschieden hatte, ob das Anzünden derselben und der Geruch des Tabaks Niemand im Wagen beleidigen könnte, bemerkte ich zu meinem Schrecken, daß ich mein Feuerzeug in der Eile der Abreise zurückgelassen. Jetzt erst empfand ich das ganze Glück, die ganze Unentbehrlichkeit einer brennenden Pfeife, jetzt ballte ich in der Tasche zornig die Faust gegen mein feindliches Schicksal; jetzt fühlte ich, daß ich alle Rücksichten verachtend dem Kaiser Napoleon selbst ins Gesicht rauchen würde, -- wenn ich eben nur ein Feuerzeug hätte.

stets ein ganzes Compendium von Bedenklichkeiten und Vorsichtsmaßregeln im Kopfe. Wie kann man nur das Leben so systematisch behandeln! Zumal ein Mann des Glaubens, des Gottvertrauens!

Spotten Sie nur, versetzte der Pastor, ich bin es längst gewohnt, mit meiner Vorsicht — oder, wie sie Manche nennen möchten, Furchtsamkeit — geneckt zu werden. Aber was kann ich dafür, daß ich weiter sehe, als andere Leute? Denn ohne mich loben zu wollen, sage ich es ganz kühn heraus: meine sogenannte Furchtsamkeit ist keine Schwäche des Herzens, sondern eine Stärke der Phantasie und des Wissens. Der Unwissende sieht keine Gefahr, wo der Wissende sie in hundert Dingen, welche möglicher Weise unter gewissen Einflüssen gefährlich werden können, in denen also irgend ein Unglück so zu sagen embryonisch verborgen liegt, anticipirt. Genug; ich anticipirte — und Niemand kann mir die Berechtigung meiner Besorgnisse abstreiten — in dem neben mir sitzenden Schnurrbart einen französischen Officier, der aus Gott weiß welchen Gründen incognito reisen wollte, vielleicht gerade, um die Stimmung über den bevorstehenden russischen Feldzug zu erforschen.

Ich wollte eben in meinen Vermuthungen weitergehen, als mir einfiel, daß ich meine Pfeife, den Hebel meiner geistigen Functionen, noch immer kalt und trocken in den Händen hielt; noch bevor ich die Frage entschieden hatte, ob das Anzünden derselben und der Geruch des Tabaks Niemand im Wagen beleidigen könnte, bemerkte ich zu meinem Schrecken, daß ich mein Feuerzeug in der Eile der Abreise zurückgelassen. Jetzt erst empfand ich das ganze Glück, die ganze Unentbehrlichkeit einer brennenden Pfeife, jetzt ballte ich in der Tasche zornig die Faust gegen mein feindliches Schicksal; jetzt fühlte ich, daß ich alle Rücksichten verachtend dem Kaiser Napoleon selbst ins Gesicht rauchen würde, — wenn ich eben nur ein Feuerzeug hätte.

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:28:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/11>, abgerufen am 24.11.2024.