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Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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kunft, ohne Zukunft und ohne Gegenwart, selbst Spreu im Winde der Zeit gleich ihren Lumpen, die die hagern Skelette umflattern, woher es denen eröffnet ward! -- Der Neffe sah verwundert den Philosophen an: Glaubt Ihr an die Hexensprüche? -- Auf seine Schulter gelehnt sagte der Freiherr: Als ich neulich von Königsberg zurückkehrte, verirrte ich mich im Nebel der Heide. Ich lief thöriger Weise einem Taugenichts nach, den ich aus dem Wagen gewiesen, weil ich fürchtete, er möchte durch meine Schuld in der Wüste umkommen. Statt dessen hatte ich fast dies Schicksal, eine deutliche Anweisung desselben, daß wir nicht für Andere sorgen sollen. Unsere Natur weis't uns auf uns selbst zurück. -- Nach langem Umherschweifen, gelockt von der Stimme des singenden Burschen, den ich übrigens doch nicht wiedersah, gerieth ich in ein Zigeunerlager. Ich mußte daselbst übernachten. Ich theilte ihre ekle Kost, ihr schlechtes Lager. Wider meine äußerste Anstrengung, denn ich hatte wohl Grund zu fürchten, übermannte deinen Oheim der Schlaf. Da weckte mich eine Berührung, ein heißer Athem. Auf meiner entblößten Brust kniete die Zigeunermutter, und unter dem blauen, sternenbesäeten Firmamente grins'te mich das widerwärtigste gelbe Gesicht an. Willst du mich morden, Hexe? rief ich. -- Aber sie schlug die Hände über den Kopf, und ihr Blick drückte Staunen, Verwunderung und Entsetzen aus: Ach, du bist viel zu arm! sagte sie. Blanker Herr! welchen Schatz hattest du, und du ließest ihn laufen. Fort, fort! mit dir ist nicht gut sein. Wer

kunft, ohne Zukunft und ohne Gegenwart, selbst Spreu im Winde der Zeit gleich ihren Lumpen, die die hagern Skelette umflattern, woher es denen eröffnet ward! — Der Neffe sah verwundert den Philosophen an: Glaubt Ihr an die Hexensprüche? — Auf seine Schulter gelehnt sagte der Freiherr: Als ich neulich von Königsberg zurückkehrte, verirrte ich mich im Nebel der Heide. Ich lief thöriger Weise einem Taugenichts nach, den ich aus dem Wagen gewiesen, weil ich fürchtete, er möchte durch meine Schuld in der Wüste umkommen. Statt dessen hatte ich fast dies Schicksal, eine deutliche Anweisung desselben, daß wir nicht für Andere sorgen sollen. Unsere Natur weis't uns auf uns selbst zurück. — Nach langem Umherschweifen, gelockt von der Stimme des singenden Burschen, den ich übrigens doch nicht wiedersah, gerieth ich in ein Zigeunerlager. Ich mußte daselbst übernachten. Ich theilte ihre ekle Kost, ihr schlechtes Lager. Wider meine äußerste Anstrengung, denn ich hatte wohl Grund zu fürchten, übermannte deinen Oheim der Schlaf. Da weckte mich eine Berührung, ein heißer Athem. Auf meiner entblößten Brust kniete die Zigeunermutter, und unter dem blauen, sternenbesäeten Firmamente grins'te mich das widerwärtigste gelbe Gesicht an. Willst du mich morden, Hexe? rief ich. — Aber sie schlug die Hände über den Kopf, und ihr Blick drückte Staunen, Verwunderung und Entsetzen aus: Ach, du bist viel zu arm! sagte sie. Blanker Herr! welchen Schatz hattest du, und du ließest ihn laufen. Fort, fort! mit dir ist nicht gut sein. Wer

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[0067] kunft, ohne Zukunft und ohne Gegenwart, selbst Spreu im Winde der Zeit gleich ihren Lumpen, die die hagern Skelette umflattern, woher es denen eröffnet ward! — Der Neffe sah verwundert den Philosophen an: Glaubt Ihr an die Hexensprüche? — Auf seine Schulter gelehnt sagte der Freiherr: Als ich neulich von Königsberg zurückkehrte, verirrte ich mich im Nebel der Heide. Ich lief thöriger Weise einem Taugenichts nach, den ich aus dem Wagen gewiesen, weil ich fürchtete, er möchte durch meine Schuld in der Wüste umkommen. Statt dessen hatte ich fast dies Schicksal, eine deutliche Anweisung desselben, daß wir nicht für Andere sorgen sollen. Unsere Natur weis't uns auf uns selbst zurück. — Nach langem Umherschweifen, gelockt von der Stimme des singenden Burschen, den ich übrigens doch nicht wiedersah, gerieth ich in ein Zigeunerlager. Ich mußte daselbst übernachten. Ich theilte ihre ekle Kost, ihr schlechtes Lager. Wider meine äußerste Anstrengung, denn ich hatte wohl Grund zu fürchten, übermannte deinen Oheim der Schlaf. Da weckte mich eine Berührung, ein heißer Athem. Auf meiner entblößten Brust kniete die Zigeunermutter, und unter dem blauen, sternenbesäeten Firmamente grins'te mich das widerwärtigste gelbe Gesicht an. Willst du mich morden, Hexe? rief ich. — Aber sie schlug die Hände über den Kopf, und ihr Blick drückte Staunen, Verwunderung und Entsetzen aus: Ach, du bist viel zu arm! sagte sie. Blanker Herr! welchen Schatz hattest du, und du ließest ihn laufen. Fort, fort! mit dir ist nicht gut sein. Wer

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:11:53Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:11:53Z)

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910/67>, abgerufen am 27.11.2024.