Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zieht; und diese Krähen wissen nichts von Arbeit, Noth und Sorge, könnten die allerzufriedensten Geschöpfe sein unter Gottes Sonne, und sind's nicht. Warum? Weil's ihnen zu gut geht. Daran sollte der Mensch ein Exempel nehmen. Aber er thut's nicht. Warum? -- Weil er meint besser zu sein. Als ob das Thier, das frißt, wenn es hungrig ist, säuft, wenn es durstet, schläft, wenn's müde ist, läuft, wo Gefahr ist, und stehn bleibt, wo es sich seiner Haut wehren kann, dümmer wäre, als mein studirter Herr, der zu alledem sich erst besinnt, hierbei ein Buch nachschlägt und dabei erst seine Freunde fragt, und am Ende doch nur thut, was die Grille ihm eingiebt. Der philosophische Kutscher meditirte so lange, bis die Ungeduld seiner Pferde ihn aufmerksam machte, daß die Sonne sich bedeutend hinter den hohen Kiefern zu neigen anfing. Ob der Nebel sich gleich verloren, zeigte sich doch von seinem Herrn noch keine Spur. Wir können nicht sagen, daß der Kutscher ungeduldig wurde, das lag nicht in seiner Natur, und er knallte in so gemessenen Zwischenräumen, wie bisher, mit der Peitsche; aber ein Entschluß kam in ihm zur Reife, der kein anderer war, als seinen Herrn im Stich zu lassen. Er fiel dabei nicht aus seiner Philosophie: Denn, argumentirte er, ich bin angestellt für die Pferde, und nicht für meinen Herrn. Mein Herr würde mich übel anlassen, wenn ich für ihn dächte; er prätendirt, ein vernünftiges Geschöpf zu sein, was für sich selbst sorgt. zieht; und diese Krähen wissen nichts von Arbeit, Noth und Sorge, könnten die allerzufriedensten Geschöpfe sein unter Gottes Sonne, und sind's nicht. Warum? Weil's ihnen zu gut geht. Daran sollte der Mensch ein Exempel nehmen. Aber er thut's nicht. Warum? — Weil er meint besser zu sein. Als ob das Thier, das frißt, wenn es hungrig ist, säuft, wenn es durstet, schläft, wenn's müde ist, läuft, wo Gefahr ist, und stehn bleibt, wo es sich seiner Haut wehren kann, dümmer wäre, als mein studirter Herr, der zu alledem sich erst besinnt, hierbei ein Buch nachschlägt und dabei erst seine Freunde fragt, und am Ende doch nur thut, was die Grille ihm eingiebt. Der philosophische Kutscher meditirte so lange, bis die Ungeduld seiner Pferde ihn aufmerksam machte, daß die Sonne sich bedeutend hinter den hohen Kiefern zu neigen anfing. Ob der Nebel sich gleich verloren, zeigte sich doch von seinem Herrn noch keine Spur. Wir können nicht sagen, daß der Kutscher ungeduldig wurde, das lag nicht in seiner Natur, und er knallte in so gemessenen Zwischenräumen, wie bisher, mit der Peitsche; aber ein Entschluß kam in ihm zur Reife, der kein anderer war, als seinen Herrn im Stich zu lassen. Er fiel dabei nicht aus seiner Philosophie: Denn, argumentirte er, ich bin angestellt für die Pferde, und nicht für meinen Herrn. Mein Herr würde mich übel anlassen, wenn ich für ihn dächte; er prätendirt, ein vernünftiges Geschöpf zu sein, was für sich selbst sorgt. <TEI> <text> <body> <div n="5"> <p><pb facs="#f0051"/> zieht; und diese Krähen wissen nichts von Arbeit, Noth und Sorge, könnten die allerzufriedensten Geschöpfe sein unter Gottes Sonne, und sind's nicht. Warum? Weil's ihnen zu gut geht. Daran sollte der Mensch ein Exempel nehmen. Aber er thut's nicht. Warum? — Weil er meint besser zu sein. Als ob das Thier, das frißt, wenn es hungrig ist, säuft, wenn es durstet, schläft, wenn's müde ist, läuft, wo Gefahr ist, und stehn bleibt, wo es sich seiner Haut wehren kann, dümmer wäre, als mein studirter Herr, der zu alledem sich erst besinnt, hierbei ein Buch nachschlägt und dabei erst seine Freunde fragt, und am Ende doch nur thut, was die Grille ihm eingiebt.</p><lb/> <p>Der philosophische Kutscher meditirte so lange, bis die Ungeduld seiner Pferde ihn aufmerksam machte, daß die Sonne sich bedeutend hinter den hohen Kiefern zu neigen anfing. Ob der Nebel sich gleich verloren, zeigte sich doch von seinem Herrn noch keine Spur. Wir können nicht sagen, daß der Kutscher ungeduldig wurde, das lag nicht in seiner Natur, und er knallte in so gemessenen Zwischenräumen, wie bisher, mit der Peitsche; aber ein Entschluß kam in ihm zur Reife, der kein anderer war, als seinen Herrn im Stich zu lassen. Er fiel dabei nicht aus seiner Philosophie: Denn, argumentirte er, ich bin angestellt für die Pferde, und nicht für meinen Herrn. Mein Herr würde mich übel anlassen, wenn ich für ihn dächte; er prätendirt, ein vernünftiges Geschöpf zu sein, was für sich selbst sorgt.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
zieht; und diese Krähen wissen nichts von Arbeit, Noth und Sorge, könnten die allerzufriedensten Geschöpfe sein unter Gottes Sonne, und sind's nicht. Warum? Weil's ihnen zu gut geht. Daran sollte der Mensch ein Exempel nehmen. Aber er thut's nicht. Warum? — Weil er meint besser zu sein. Als ob das Thier, das frißt, wenn es hungrig ist, säuft, wenn es durstet, schläft, wenn's müde ist, läuft, wo Gefahr ist, und stehn bleibt, wo es sich seiner Haut wehren kann, dümmer wäre, als mein studirter Herr, der zu alledem sich erst besinnt, hierbei ein Buch nachschlägt und dabei erst seine Freunde fragt, und am Ende doch nur thut, was die Grille ihm eingiebt.
Der philosophische Kutscher meditirte so lange, bis die Ungeduld seiner Pferde ihn aufmerksam machte, daß die Sonne sich bedeutend hinter den hohen Kiefern zu neigen anfing. Ob der Nebel sich gleich verloren, zeigte sich doch von seinem Herrn noch keine Spur. Wir können nicht sagen, daß der Kutscher ungeduldig wurde, das lag nicht in seiner Natur, und er knallte in so gemessenen Zwischenräumen, wie bisher, mit der Peitsche; aber ein Entschluß kam in ihm zur Reife, der kein anderer war, als seinen Herrn im Stich zu lassen. Er fiel dabei nicht aus seiner Philosophie: Denn, argumentirte er, ich bin angestellt für die Pferde, und nicht für meinen Herrn. Mein Herr würde mich übel anlassen, wenn ich für ihn dächte; er prätendirt, ein vernünftiges Geschöpf zu sein, was für sich selbst sorgt.
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Zitationshilfe: | Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910/51>, abgerufen am 16.07.2024. |