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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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etwas von Erröthen fühlte. Ein ernster Staatsmann
darf auch die Intrigue spielen lassen, weil leider
keine Staatskunst ohne sie bestanden hat, aber schon
der Schein ist gefährlich, daß er im Ernst sich in
ihr Spiel verliert. Der Minister griff nach den
Scripturen auf dem Tisch und schien von der Lectüre
absorbirt, während Walter mit einem wehmüthigen
Lächeln einer Erinnerung nachhing.


Der Vorfall, auf den der Freiherr angespielt,
war eine bekannte Stadtgeschichte, die vor einigen
Tagen sich ereignet. Wir müssen mit unseren Lesern
aus dem Hotel des Ministers einen Seitensprung
nach einem öffentlichen Ball thun, den eine Corpo¬
ration zu Ehren der Majestäten veranstaltet hatte.
Die Königin Louise hatte das schöne Mädchen be¬
merkt und ein Dienstthuender mochte aus Unkennt¬
niß eine mißverstandene Vorstellung gemacht haben,
als sie im Vorübergehen die Frage an Adelheid ge¬
richtet: "Was sind Sie für eine Geborne?" Die
Baronin Eitelbach, welche neben Adelheid gestanden,
wollte, erschrocken, dem jungen Mädchen zu Hülfe
kommen, und hatte die historisch gewordene Antwort
gegeben: "Ach, Ihre Majestät verzeihen, sie ist gar
keine Geborne." -- Nur die Gegenwart der Königin
hatte ein Gelächter zurückgehalten, was wie ein Ge¬
witterschauer auf den Gesichtern der Umstehenden

V. 3

etwas von Erröthen fühlte. Ein ernſter Staatsmann
darf auch die Intrigue ſpielen laſſen, weil leider
keine Staatskunſt ohne ſie beſtanden hat, aber ſchon
der Schein iſt gefährlich, daß er im Ernſt ſich in
ihr Spiel verliert. Der Miniſter griff nach den
Scripturen auf dem Tiſch und ſchien von der Lectüre
abſorbirt, während Walter mit einem wehmüthigen
Lächeln einer Erinnerung nachhing.


Der Vorfall, auf den der Freiherr angeſpielt,
war eine bekannte Stadtgeſchichte, die vor einigen
Tagen ſich ereignet. Wir müſſen mit unſeren Leſern
aus dem Hotel des Miniſters einen Seitenſprung
nach einem öffentlichen Ball thun, den eine Corpo¬
ration zu Ehren der Majeſtäten veranſtaltet hatte.
Die Königin Louiſe hatte das ſchöne Mädchen be¬
merkt und ein Dienſtthuender mochte aus Unkennt¬
niß eine mißverſtandene Vorſtellung gemacht haben,
als ſie im Vorübergehen die Frage an Adelheid ge¬
richtet: „Was ſind Sie für eine Geborne?“ Die
Baronin Eitelbach, welche neben Adelheid geſtanden,
wollte, erſchrocken, dem jungen Mädchen zu Hülfe
kommen, und hatte die hiſtoriſch gewordene Antwort
gegeben: „Ach, Ihre Majeſtät verzeihen, ſie iſt gar
keine Geborne.“ — Nur die Gegenwart der Königin
hatte ein Gelächter zurückgehalten, was wie ein Ge¬
witterſchauer auf den Geſichtern der Umſtehenden

V. 3
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[33/0043] etwas von Erröthen fühlte. Ein ernſter Staatsmann darf auch die Intrigue ſpielen laſſen, weil leider keine Staatskunſt ohne ſie beſtanden hat, aber ſchon der Schein iſt gefährlich, daß er im Ernſt ſich in ihr Spiel verliert. Der Miniſter griff nach den Scripturen auf dem Tiſch und ſchien von der Lectüre abſorbirt, während Walter mit einem wehmüthigen Lächeln einer Erinnerung nachhing. Der Vorfall, auf den der Freiherr angeſpielt, war eine bekannte Stadtgeſchichte, die vor einigen Tagen ſich ereignet. Wir müſſen mit unſeren Leſern aus dem Hotel des Miniſters einen Seitenſprung nach einem öffentlichen Ball thun, den eine Corpo¬ ration zu Ehren der Majeſtäten veranſtaltet hatte. Die Königin Louiſe hatte das ſchöne Mädchen be¬ merkt und ein Dienſtthuender mochte aus Unkennt¬ niß eine mißverſtandene Vorſtellung gemacht haben, als ſie im Vorübergehen die Frage an Adelheid ge¬ richtet: „Was ſind Sie für eine Geborne?“ Die Baronin Eitelbach, welche neben Adelheid geſtanden, wollte, erſchrocken, dem jungen Mädchen zu Hülfe kommen, und hatte die hiſtoriſch gewordene Antwort gegeben: „Ach, Ihre Majeſtät verzeihen, ſie iſt gar keine Geborne.“ — Nur die Gegenwart der Königin hatte ein Gelächter zurückgehalten, was wie ein Ge¬ witterſchauer auf den Geſichtern der Umſtehenden V. 3

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/43>, abgerufen am 26.04.2024.