Muthigen erinnern, und wo wir solche Bilder muth¬ loser Zerschlagenheit aus der preußischen Hauptstadt hinstellen mußten, um wahr zu sein, wird es zur Pflicht auch einiger Züge zu gedenken, die schon wie das ferne Wetterleuchten einer besseren Zeit am Horizont erscheinen.
Da stand eine Deputation vor dem Gewaltigen, und er erwartete stammelnde Unterwürfigkeit, Be¬ wunderung und demüthiges Flehen. Er konnte es erwarten nach dem, was voranging. Aber Einer im Priesterkleide trat vor und sprach: "Sire, ich wäre nicht werth des Kleides, das ich trage, des Königs, dem ich diene, des Wortes, das ich verkündige, wollte ich nicht bekennen, ich sehe -- Eure Majestät nicht gern in Berlin." -- Was Napoleon erwidert, haben die Kinder der Zeitgenossen vergessen, aber im Ver¬ lauf des lebhaften Gesprächs, worin der kühne Mann den Sieger fragte, ob er denn in der Geschichte lieber als ein Räuber dastehen wolle, denn als ein christ¬ licher Herrscher, trat der alte Erman plötzlich herz¬ haft auf den Kaiser zu, faßte seinen Arm, schüttelte ihn und sagte: "Ce bras victorieux sera bienfaisant!" Es wird erzählt, Napoleon sei erschrocken zurückgetreten. Das hatte er aus Berlin nicht erwartet. Später habe er zu seinen Adjutanten geäußert: "quel geant que ce vieux druide! Jamais pretre ne m'a dit cela."
Erman, so weiß man, aber nicht aus dem Munde des bescheidenen Mannes, der selten davon sprach, wußte das Gespräch, als Napoleon eine gnädige
Muthigen erinnern, und wo wir ſolche Bilder muth¬ loſer Zerſchlagenheit aus der preußiſchen Hauptſtadt hinſtellen mußten, um wahr zu ſein, wird es zur Pflicht auch einiger Züge zu gedenken, die ſchon wie das ferne Wetterleuchten einer beſſeren Zeit am Horizont erſcheinen.
Da ſtand eine Deputation vor dem Gewaltigen, und er erwartete ſtammelnde Unterwürfigkeit, Be¬ wunderung und demüthiges Flehen. Er konnte es erwarten nach dem, was voranging. Aber Einer im Prieſterkleide trat vor und ſprach: „Sire, ich wäre nicht werth des Kleides, das ich trage, des Königs, dem ich diene, des Wortes, das ich verkündige, wollte ich nicht bekennen, ich ſehe — Eure Majeſtät nicht gern in Berlin.“ — Was Napoleon erwidert, haben die Kinder der Zeitgenoſſen vergeſſen, aber im Ver¬ lauf des lebhaften Geſprächs, worin der kühne Mann den Sieger fragte, ob er denn in der Geſchichte lieber als ein Räuber daſtehen wolle, denn als ein chriſt¬ licher Herrſcher, trat der alte Erman plötzlich herz¬ haft auf den Kaiſer zu, faßte ſeinen Arm, ſchüttelte ihn und ſagte: „Ce bras victorieux sera bienfaisant!“ Es wird erzählt, Napoleon ſei erſchrocken zurückgetreten. Das hatte er aus Berlin nicht erwartet. Später habe er zu ſeinen Adjutanten geäußert: „quel géant que ce vieux druide! Jamais prêtre ne m'a dit cela.“
Erman, ſo weiß man, aber nicht aus dem Munde des beſcheidenen Mannes, der ſelten davon ſprach, wußte das Geſpräch, als Napoleon eine gnädige
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Muthigen erinnern, und wo wir ſolche Bilder muth¬
loſer Zerſchlagenheit aus der preußiſchen Hauptſtadt
hinſtellen mußten, um wahr zu ſein, wird es zur
Pflicht auch einiger Züge zu gedenken, die ſchon wie
das ferne Wetterleuchten einer beſſeren Zeit am
Horizont erſcheinen.
Da ſtand eine Deputation vor dem Gewaltigen,
und er erwartete ſtammelnde Unterwürfigkeit, Be¬
wunderung und demüthiges Flehen. Er konnte es
erwarten nach dem, was voranging. Aber Einer im
Prieſterkleide trat vor und ſprach: „Sire, ich wäre
nicht werth des Kleides, das ich trage, des Königs,
dem ich diene, des Wortes, das ich verkündige, wollte
ich nicht bekennen, ich ſehe — Eure Majeſtät nicht
gern in Berlin.“ — Was Napoleon erwidert, haben
die Kinder der Zeitgenoſſen vergeſſen, aber im Ver¬
lauf des lebhaften Geſprächs, worin der kühne Mann
den Sieger fragte, ob er denn in der Geſchichte lieber
als ein Räuber daſtehen wolle, denn als ein chriſt¬
licher Herrſcher, trat der alte Erman plötzlich herz¬
haft auf den Kaiſer zu, faßte ſeinen Arm, ſchüttelte
ihn und ſagte: „Ce bras victorieux sera bienfaisant!“
Es wird erzählt, Napoleon ſei erſchrocken zurückgetreten.
Das hatte er aus Berlin nicht erwartet. Später habe
er zu ſeinen Adjutanten geäußert: „quel géant
que ce vieux druide! Jamais prêtre ne m'a dit cela.“
Erman, ſo weiß man, aber nicht aus dem Munde
des beſcheidenen Mannes, der ſelten davon ſprach,
wußte das Geſpräch, als Napoleon eine gnädige
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/387>, abgerufen am 24.11.2024.
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