ist an der Cholera gestorben. Sein Hauch ist Pest. Er muß noch heut unter die Erde."
Er stand gebieterisch zwischen ihr und der Leiche. Ehe sie Zeit zu antworten hatte, führte er sie schon, halb zwang er sie an den Schreibsecretair:
"Schnell, keine Minute verloren! Ihre wichtigsten Papiere, Kleinodien, was Sie an Geldeswerth fassen können -- in einen Kasten, Korb, was es ist. Ich besorge mit Ihrem Kammermädchen die nöthigsten Kleider. Der Wagen rollt vor --"
"Was ist's, mein Herr!"
"Sie wissen nicht! In einer Viertelstunde spätestens müssen wir fort. Auf der Schöneberger Höhe sieht man schon die Avantgarde. Alles flieht, wer nur Pferde auftreibt. Die Königin beinahe in Lebensgefahr. Sie wird jetzt schon aus dem Thore sein. Gestreckter Galopp. Die Franzosen werden plündern, vielleicht die Stadt in Brand stecken. Napoleons Wuth ist unaussprechlich. Nur keine Frauen zurückgelassen, ruft es durch alle Straßen. Sie mißhandeln -- Ihre Brutalität ist ohne Gränzen. Unglücklich Weib! keinen Augenblick verloren!"
Er hatte den Secretair aufgerissen. Mechanisch folgte sie seinem Befehl; sie hatte keine Luft, keinen Athem zum Denken, zum Erwägen. Das Räder¬ gerassel draußen, das Stimmengewirr unterstützten, was Wandel sagte. Eine Chatoulle war in lautloser Angst gepackt.
"Nur nichts Unnützes!" rief er, als sie ein Pack
iſt an der Cholera geſtorben. Sein Hauch iſt Peſt. Er muß noch heut unter die Erde.“
Er ſtand gebieteriſch zwiſchen ihr und der Leiche. Ehe ſie Zeit zu antworten hatte, führte er ſie ſchon, halb zwang er ſie an den Schreibſecretair:
„Schnell, keine Minute verloren! Ihre wichtigſten Papiere, Kleinodien, was Sie an Geldeswerth faſſen können — in einen Kaſten, Korb, was es iſt. Ich beſorge mit Ihrem Kammermädchen die nöthigſten Kleider. Der Wagen rollt vor —“
„Was iſt's, mein Herr!“
„Sie wiſſen nicht! In einer Viertelſtunde ſpäteſtens müſſen wir fort. Auf der Schöneberger Höhe ſieht man ſchon die Avantgarde. Alles flieht, wer nur Pferde auftreibt. Die Königin beinahe in Lebensgefahr. Sie wird jetzt ſchon aus dem Thore ſein. Geſtreckter Galopp. Die Franzoſen werden plündern, vielleicht die Stadt in Brand ſtecken. Napoleons Wuth iſt unausſprechlich. Nur keine Frauen zurückgelaſſen, ruft es durch alle Straßen. Sie mißhandeln — Ihre Brutalität iſt ohne Gränzen. Unglücklich Weib! keinen Augenblick verloren!“
Er hatte den Secretair aufgeriſſen. Mechaniſch folgte ſie ſeinem Befehl; ſie hatte keine Luft, keinen Athem zum Denken, zum Erwägen. Das Räder¬ geraſſel draußen, das Stimmengewirr unterſtützten, was Wandel ſagte. Eine Chatoulle war in lautloſer Angſt gepackt.
„Nur nichts Unnützes!“ rief er, als ſie ein Pack
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iſt an der Cholera geſtorben. Sein Hauch iſt Peſt.
Er muß noch heut unter die Erde.“
Er ſtand gebieteriſch zwiſchen ihr und der Leiche.
Ehe ſie Zeit zu antworten hatte, führte er ſie ſchon,
halb zwang er ſie an den Schreibſecretair:
„Schnell, keine Minute verloren! Ihre wichtigſten
Papiere, Kleinodien, was Sie an Geldeswerth faſſen
können — in einen Kaſten, Korb, was es iſt. Ich
beſorge mit Ihrem Kammermädchen die nöthigſten
Kleider. Der Wagen rollt vor —“
„Was iſt's, mein Herr!“
„Sie wiſſen nicht! In einer Viertelſtunde
ſpäteſtens müſſen wir fort. Auf der Schöneberger
Höhe ſieht man ſchon die Avantgarde. Alles flieht,
wer nur Pferde auftreibt. Die Königin beinahe in
Lebensgefahr. Sie wird jetzt ſchon aus dem Thore
ſein. Geſtreckter Galopp. Die Franzoſen werden
plündern, vielleicht die Stadt in Brand ſtecken.
Napoleons Wuth iſt unausſprechlich. Nur keine
Frauen zurückgelaſſen, ruft es durch alle Straßen.
Sie mißhandeln — Ihre Brutalität iſt ohne Gränzen.
Unglücklich Weib! keinen Augenblick verloren!“
Er hatte den Secretair aufgeriſſen. Mechaniſch
folgte ſie ſeinem Befehl; ſie hatte keine Luft, keinen
Athem zum Denken, zum Erwägen. Das Räder¬
geraſſel draußen, das Stimmengewirr unterſtützten,
was Wandel ſagte. Eine Chatoulle war in lautloſer
Angſt gepackt.
„Nur nichts Unnützes!“ rief er, als ſie ein Pack
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/370>, abgerufen am 24.11.2024.
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