Reste von bunten Scheiben in den Spitzbogenfenstern sich erhalten; spinneumwebt, verdunkelt von Staub und Wetter, und doch genug Farbe enthaltend, um dem Sonnenschein, der eindrang, eine dumpfe, gelb brennende Färbung zu geben. Sie paßte zu ihrer Stimmung. Ob der Schein sie lockte, ob eine Ahnung?
Sie war eingetreten. Sie sah nichts von den Schrecken. Vielleicht waren sie schon entfernt. Auf den Stufen am Hochaltar lag der Bote, welcher der Königin die Rettungspost gebracht. Sein Pferd hatte sich losgerissen von den Vorreitern, die es auf einen Wink des Stallmeisters am Zügel führen sollten. Der Mann selbst war ja nicht mehr im Stande, es zu lenken. Im Dorf war das Thier gestürzt mit seinem Herrn -- ein heftiger, tödtlicher Blutsturz. Louis Bovillard hatte sich nicht mehr aufrichten können, der Pfarrer hatte ihn in die Kirche tragen lassen.
Der Sonnenschein fiel durch die gelben Schei¬ ben grade auf sein Gesicht, als Adelheid eintrat. Sie schrie nicht auf, sie rang nicht die Hände, ihre Knie zitterten nicht. Schien es doch, als sei es nur die Erfüllung von etwas, was sie längst gewußt. Die Hände faltend blieb sie noch in der Entfernung stehen und blickte auf ihn, wie man zum ersten Mal den Grabstein eines theuren Verblichenen erblickt. Nicht einmal eine Thräne stürzte aus ihrem Auge. Aber etwas hätte sie befremden mögen, -- auf der Stufe drunter die jugendliche Gestalt eines Weibes;
20*
Reſte von bunten Scheiben in den Spitzbogenfenſtern ſich erhalten; ſpinneumwebt, verdunkelt von Staub und Wetter, und doch genug Farbe enthaltend, um dem Sonnenſchein, der eindrang, eine dumpfe, gelb brennende Färbung zu geben. Sie paßte zu ihrer Stimmung. Ob der Schein ſie lockte, ob eine Ahnung?
Sie war eingetreten. Sie ſah nichts von den Schrecken. Vielleicht waren ſie ſchon entfernt. Auf den Stufen am Hochaltar lag der Bote, welcher der Königin die Rettungspoſt gebracht. Sein Pferd hatte ſich losgeriſſen von den Vorreitern, die es auf einen Wink des Stallmeiſters am Zügel führen ſollten. Der Mann ſelbſt war ja nicht mehr im Stande, es zu lenken. Im Dorf war das Thier geſtürzt mit ſeinem Herrn — ein heftiger, tödtlicher Blutſturz. Louis Bovillard hatte ſich nicht mehr aufrichten können, der Pfarrer hatte ihn in die Kirche tragen laſſen.
Der Sonnenſchein fiel durch die gelben Schei¬ ben grade auf ſein Geſicht, als Adelheid eintrat. Sie ſchrie nicht auf, ſie rang nicht die Hände, ihre Knie zitterten nicht. Schien es doch, als ſei es nur die Erfüllung von etwas, was ſie längſt gewußt. Die Hände faltend blieb ſie noch in der Entfernung ſtehen und blickte auf ihn, wie man zum erſten Mal den Grabſtein eines theuren Verblichenen erblickt. Nicht einmal eine Thräne ſtürzte aus ihrem Auge. Aber etwas hätte ſie befremden mögen, — auf der Stufe drunter die jugendliche Geſtalt eines Weibes;
20*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0317"n="307"/>
Reſte von bunten Scheiben in den Spitzbogenfenſtern<lb/>ſich erhalten; ſpinneumwebt, verdunkelt von Staub<lb/>
und Wetter, und doch genug Farbe enthaltend, um<lb/>
dem Sonnenſchein, der eindrang, eine dumpfe,<lb/>
gelb brennende Färbung zu geben. Sie paßte zu<lb/>
ihrer Stimmung. Ob der Schein ſie lockte, ob eine<lb/>
Ahnung?</p><lb/><p>Sie war eingetreten. Sie ſah nichts von den<lb/>
Schrecken. Vielleicht waren ſie ſchon entfernt. Auf<lb/>
den Stufen am Hochaltar lag der Bote, welcher der<lb/>
Königin die Rettungspoſt gebracht. Sein Pferd hatte<lb/>ſich losgeriſſen von den Vorreitern, die es auf einen<lb/>
Wink des Stallmeiſters am Zügel führen ſollten.<lb/>
Der Mann ſelbſt war ja nicht mehr im Stande, es zu<lb/>
lenken. Im Dorf war das Thier geſtürzt mit ſeinem<lb/>
Herrn — ein heftiger, tödtlicher Blutſturz. Louis<lb/>
Bovillard hatte ſich nicht mehr aufrichten können,<lb/>
der Pfarrer hatte ihn in die Kirche tragen laſſen.</p><lb/><p>Der Sonnenſchein fiel durch die gelben Schei¬<lb/>
ben grade auf ſein Geſicht, als Adelheid eintrat.<lb/>
Sie ſchrie nicht auf, ſie rang nicht die Hände, ihre<lb/>
Knie zitterten nicht. Schien es doch, als ſei es nur<lb/>
die Erfüllung von etwas, was ſie längſt gewußt.<lb/>
Die Hände faltend blieb ſie noch in der Entfernung<lb/>ſtehen und blickte auf ihn, wie man zum erſten Mal<lb/>
den Grabſtein eines theuren Verblichenen erblickt.<lb/>
Nicht einmal eine Thräne ſtürzte aus ihrem Auge.<lb/>
Aber etwas hätte ſie befremden mögen, — auf der<lb/>
Stufe drunter die jugendliche Geſtalt eines Weibes;<lb/><fwplace="bottom"type="sig">20*<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[307/0317]
Reſte von bunten Scheiben in den Spitzbogenfenſtern
ſich erhalten; ſpinneumwebt, verdunkelt von Staub
und Wetter, und doch genug Farbe enthaltend, um
dem Sonnenſchein, der eindrang, eine dumpfe,
gelb brennende Färbung zu geben. Sie paßte zu
ihrer Stimmung. Ob der Schein ſie lockte, ob eine
Ahnung?
Sie war eingetreten. Sie ſah nichts von den
Schrecken. Vielleicht waren ſie ſchon entfernt. Auf
den Stufen am Hochaltar lag der Bote, welcher der
Königin die Rettungspoſt gebracht. Sein Pferd hatte
ſich losgeriſſen von den Vorreitern, die es auf einen
Wink des Stallmeiſters am Zügel führen ſollten.
Der Mann ſelbſt war ja nicht mehr im Stande, es zu
lenken. Im Dorf war das Thier geſtürzt mit ſeinem
Herrn — ein heftiger, tödtlicher Blutſturz. Louis
Bovillard hatte ſich nicht mehr aufrichten können,
der Pfarrer hatte ihn in die Kirche tragen laſſen.
Der Sonnenſchein fiel durch die gelben Schei¬
ben grade auf ſein Geſicht, als Adelheid eintrat.
Sie ſchrie nicht auf, ſie rang nicht die Hände, ihre
Knie zitterten nicht. Schien es doch, als ſei es nur
die Erfüllung von etwas, was ſie längſt gewußt.
Die Hände faltend blieb ſie noch in der Entfernung
ſtehen und blickte auf ihn, wie man zum erſten Mal
den Grabſtein eines theuren Verblichenen erblickt.
Nicht einmal eine Thräne ſtürzte aus ihrem Auge.
Aber etwas hätte ſie befremden mögen, — auf der
Stufe drunter die jugendliche Geſtalt eines Weibes;
20*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/317>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.