Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

ren, den Magnet zwingen zu wollen, daß er nach
einer andern Himmelsgegend weist. Das sind ewige
Nothwendigkeiten, vor denen die sich beugen sollen
und müssen, die nicht Muth haben, sie freiwillig an¬
zuerkennen. Dieser überreichen Welt an Allem fehlt
nur etwas -- Charactere. Ich bilde mir nicht ein,
sie bessern zu wollen, dazu fühle ich mich zu schwach,
aber ich bin stark genug, mich nicht von ihr bilden,
fortreißen zu lassen."

"Lebe wohl, Walter! sprach sie mit erstickter
Stimme. Ich habe den Glauben: es ist kein Lebe¬
wohl für immer. Wir sehen uns wieder."

"Ich sehe Dich nicht wieder, denn ich sehe Dich
immer. Du bleibst bei mir, wie Du bei mir warst.
Was wären wir, wie hielten wir's aus unter den täg¬
lichen Hammerschlägen in dem wirren Mühlengetriebe
des Egoismus und der Erbärmlichkeit, ohne den
Glauben an eine vollkommene Welt, die nur den
Ungeweihten unsichtbar ist, die auch wir nur in Mo¬
menten erblicken, aber dann so klar, stabil, in ein¬
ander gefügt, daß wir Trost schöpfen am Born die¬
ses ewigen Organismus, und lächeln mögen über
uns, daß wir uns von den Widerwärtigkeiten, dem
Schmutz, den Nebeln irren ließen und verzweifelten!
-- Das sollen wir nicht, es ist unsre Aufgabe, den
Schmutz fortzukehren, die Dünste wegzublasen und
den Spiegel in uns klar zu halten für jenen Sil¬
berblick. Arbeit kostet es, ein furchtbar Ringen,
Selbstkämpfe mit unsern schönsten Illusionen, aber

ren, den Magnet zwingen zu wollen, daß er nach
einer andern Himmelsgegend weiſt. Das ſind ewige
Nothwendigkeiten, vor denen die ſich beugen ſollen
und müſſen, die nicht Muth haben, ſie freiwillig an¬
zuerkennen. Dieſer überreichen Welt an Allem fehlt
nur etwas — Charactere. Ich bilde mir nicht ein,
ſie beſſern zu wollen, dazu fühle ich mich zu ſchwach,
aber ich bin ſtark genug, mich nicht von ihr bilden,
fortreißen zu laſſen.“

„Lebe wohl, Walter! ſprach ſie mit erſtickter
Stimme. Ich habe den Glauben: es iſt kein Lebe¬
wohl für immer. Wir ſehen uns wieder.“

„Ich ſehe Dich nicht wieder, denn ich ſehe Dich
immer. Du bleibſt bei mir, wie Du bei mir warſt.
Was wären wir, wie hielten wir's aus unter den täg¬
lichen Hammerſchlägen in dem wirren Mühlengetriebe
des Egoismus und der Erbärmlichkeit, ohne den
Glauben an eine vollkommene Welt, die nur den
Ungeweihten unſichtbar iſt, die auch wir nur in Mo¬
menten erblicken, aber dann ſo klar, ſtabil, in ein¬
ander gefügt, daß wir Troſt ſchöpfen am Born die¬
ſes ewigen Organismus, und lächeln mögen über
uns, daß wir uns von den Widerwärtigkeiten, dem
Schmutz, den Nebeln irren ließen und verzweifelten!
— Das ſollen wir nicht, es iſt unſre Aufgabe, den
Schmutz fortzukehren, die Dünſte wegzublaſen und
den Spiegel in uns klar zu halten für jenen Sil¬
berblick. Arbeit koſtet es, ein furchtbar Ringen,
Selbſtkämpfe mit unſern ſchönſten Illuſionen, aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0272" n="262"/>
ren, den Magnet zwingen zu wollen, daß er nach<lb/>
einer andern Himmelsgegend wei&#x017F;t. Das &#x017F;ind ewige<lb/>
Nothwendigkeiten, vor denen die &#x017F;ich beugen &#x017F;ollen<lb/>
und mü&#x017F;&#x017F;en, die nicht Muth haben, &#x017F;ie freiwillig an¬<lb/>
zuerkennen. Die&#x017F;er überreichen Welt an Allem fehlt<lb/>
nur etwas &#x2014; Charactere. Ich bilde mir nicht ein,<lb/>
&#x017F;ie be&#x017F;&#x017F;ern zu wollen, dazu fühle ich mich zu &#x017F;chwach,<lb/>
aber ich bin &#x017F;tark genug, mich nicht von ihr bilden,<lb/>
fortreißen zu la&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Lebe wohl, Walter! &#x017F;prach &#x017F;ie mit er&#x017F;tickter<lb/>
Stimme. Ich habe den Glauben: es i&#x017F;t kein Lebe¬<lb/>
wohl für immer. Wir &#x017F;ehen uns wieder.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich &#x017F;ehe Dich nicht wieder, denn ich &#x017F;ehe Dich<lb/>
immer. Du bleib&#x017F;t bei mir, wie Du bei mir war&#x017F;t.<lb/>
Was wären wir, wie hielten wir's aus unter den täg¬<lb/>
lichen Hammer&#x017F;chlägen in dem wirren Mühlengetriebe<lb/>
des Egoismus und der Erbärmlichkeit, ohne den<lb/>
Glauben an eine vollkommene Welt, die nur den<lb/>
Ungeweihten un&#x017F;ichtbar i&#x017F;t, die auch wir nur in Mo¬<lb/>
menten erblicken, aber dann &#x017F;o klar, &#x017F;tabil, in ein¬<lb/>
ander gefügt, daß wir Tro&#x017F;t &#x017F;chöpfen am Born die¬<lb/>
&#x017F;es ewigen Organismus, und lächeln mögen über<lb/>
uns, daß wir uns von den Widerwärtigkeiten, dem<lb/>
Schmutz, den Nebeln irren ließen und verzweifelten!<lb/>
&#x2014; Das &#x017F;ollen wir nicht, es i&#x017F;t un&#x017F;re Aufgabe, den<lb/>
Schmutz fortzukehren, die Dün&#x017F;te wegzubla&#x017F;en und<lb/>
den Spiegel in uns klar zu halten für jenen Sil¬<lb/>
berblick. Arbeit ko&#x017F;tet es, ein furchtbar Ringen,<lb/>
Selb&#x017F;tkämpfe mit un&#x017F;ern &#x017F;chön&#x017F;ten Illu&#x017F;ionen, aber<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[262/0272] ren, den Magnet zwingen zu wollen, daß er nach einer andern Himmelsgegend weiſt. Das ſind ewige Nothwendigkeiten, vor denen die ſich beugen ſollen und müſſen, die nicht Muth haben, ſie freiwillig an¬ zuerkennen. Dieſer überreichen Welt an Allem fehlt nur etwas — Charactere. Ich bilde mir nicht ein, ſie beſſern zu wollen, dazu fühle ich mich zu ſchwach, aber ich bin ſtark genug, mich nicht von ihr bilden, fortreißen zu laſſen.“ „Lebe wohl, Walter! ſprach ſie mit erſtickter Stimme. Ich habe den Glauben: es iſt kein Lebe¬ wohl für immer. Wir ſehen uns wieder.“ „Ich ſehe Dich nicht wieder, denn ich ſehe Dich immer. Du bleibſt bei mir, wie Du bei mir warſt. Was wären wir, wie hielten wir's aus unter den täg¬ lichen Hammerſchlägen in dem wirren Mühlengetriebe des Egoismus und der Erbärmlichkeit, ohne den Glauben an eine vollkommene Welt, die nur den Ungeweihten unſichtbar iſt, die auch wir nur in Mo¬ menten erblicken, aber dann ſo klar, ſtabil, in ein¬ ander gefügt, daß wir Troſt ſchöpfen am Born die¬ ſes ewigen Organismus, und lächeln mögen über uns, daß wir uns von den Widerwärtigkeiten, dem Schmutz, den Nebeln irren ließen und verzweifelten! — Das ſollen wir nicht, es iſt unſre Aufgabe, den Schmutz fortzukehren, die Dünſte wegzublaſen und den Spiegel in uns klar zu halten für jenen Sil¬ berblick. Arbeit koſtet es, ein furchtbar Ringen, Selbſtkämpfe mit unſern ſchönſten Illuſionen, aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/272
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/272>, abgerufen am 24.11.2024.