Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

lange, wir sehen uns bald, unter andern Verhält¬
nissen wieder. -- Sie sehen mich zweifelhaft an, weil
Sie mich kennen. Kennen Sie mich denn ganz, wo
ich mich selbst nicht kenne? Die Völker müssen re¬
giert werden; und um sie regieren zu können, darf
man sie nicht zu klug werden lassen. So weit gehen
unsre Wege miteinander. Nur in den Mitteln, da
liegt der Unterschied. Ob Napoleons imperialistischer
Wille ausreicht -- wir kommen da immer wieder
auf den Stock zurück. Es ist ein gutes, aber ein
grobes Mittel, und wer weiß, ob der Stock nicht
einmal bricht? Ihre -- es ist ja natürlich auch
meine Kirche -- hat sanftere Mittel. Wäre der Pro¬
testantismus nicht gekommen, wir wären Alle glück¬
licher! Stände erst wieder die eine Autorität uner¬
schütterlich fest, dann kettet sich eine an die andre.
Obgleich selbst nichts weniger als heilig, erkenne ich
doch das stille Wirken der heiligen Gemüther, die
der aufgewühlten Erde wieder ein Festes geben wol¬
len. Ich ahne Ihr schönes, großes Werk, Prinzessin.
Nur vorsichtig, den Schleier darüber gelassen, die
Welt ist noch zu skeptisch. Aber sie wird immer
empfänglicher werden, je mehr sie verblutet, ermattet.
Wo alle Kraft erschöpft ist, hat die Bekehrung leichte
Arbeit, und es ist gewiß eine schöne, belohnende.
Haben Sie Ihren ritterlichen Kaiser erst ganz ein¬
geweiht, dann machen sich die Alliancen von selbst,
und dann ich bin kein Träumer von einem
Weltfrieden, denn die Menschen sind einmal ge¬

lange, wir ſehen uns bald, unter andern Verhält¬
niſſen wieder. — Sie ſehen mich zweifelhaft an, weil
Sie mich kennen. Kennen Sie mich denn ganz, wo
ich mich ſelbſt nicht kenne? Die Völker müſſen re¬
giert werden; und um ſie regieren zu können, darf
man ſie nicht zu klug werden laſſen. So weit gehen
unſre Wege miteinander. Nur in den Mitteln, da
liegt der Unterſchied. Ob Napoleons imperialiſtiſcher
Wille ausreicht — wir kommen da immer wieder
auf den Stock zurück. Es iſt ein gutes, aber ein
grobes Mittel, und wer weiß, ob der Stock nicht
einmal bricht? Ihre — es iſt ja natürlich auch
meine Kirche — hat ſanftere Mittel. Wäre der Pro¬
teſtantismus nicht gekommen, wir wären Alle glück¬
licher! Stände erſt wieder die eine Autorität uner¬
ſchütterlich feſt, dann kettet ſich eine an die andre.
Obgleich ſelbſt nichts weniger als heilig, erkenne ich
doch das ſtille Wirken der heiligen Gemüther, die
der aufgewühlten Erde wieder ein Feſtes geben wol¬
len. Ich ahne Ihr ſchönes, großes Werk, Prinzeſſin.
Nur vorſichtig, den Schleier darüber gelaſſen, die
Welt iſt noch zu ſkeptiſch. Aber ſie wird immer
empfänglicher werden, je mehr ſie verblutet, ermattet.
Wo alle Kraft erſchöpft iſt, hat die Bekehrung leichte
Arbeit, und es iſt gewiß eine ſchöne, belohnende.
Haben Sie Ihren ritterlichen Kaiſer erſt ganz ein¬
geweiht, dann machen ſich die Alliancen von ſelbſt,
und dann ich bin kein Träumer von einem
Weltfrieden, denn die Menſchen ſind einmal ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0233" n="223"/>
lange, wir &#x017F;ehen uns bald, unter andern Verhält¬<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;en wieder. &#x2014; Sie &#x017F;ehen mich zweifelhaft an, weil<lb/>
Sie mich kennen. Kennen Sie mich denn ganz, wo<lb/>
ich mich &#x017F;elb&#x017F;t nicht kenne? Die Völker mü&#x017F;&#x017F;en re¬<lb/>
giert werden; und um &#x017F;ie regieren zu können, darf<lb/>
man &#x017F;ie nicht zu klug werden la&#x017F;&#x017F;en. So weit gehen<lb/>
un&#x017F;re Wege miteinander. Nur in den Mitteln, da<lb/>
liegt der Unter&#x017F;chied. Ob Napoleons imperiali&#x017F;ti&#x017F;cher<lb/>
Wille ausreicht &#x2014; wir kommen da immer wieder<lb/>
auf den Stock zurück. Es i&#x017F;t ein gutes, aber ein<lb/>
grobes Mittel, und wer weiß, ob der Stock nicht<lb/>
einmal bricht? Ihre &#x2014; es i&#x017F;t ja natürlich auch<lb/>
meine Kirche &#x2014; hat &#x017F;anftere Mittel. Wäre der Pro¬<lb/>
te&#x017F;tantismus nicht gekommen, wir wären Alle glück¬<lb/>
licher! Stände er&#x017F;t wieder die eine Autorität uner¬<lb/>
&#x017F;chütterlich fe&#x017F;t, dann kettet &#x017F;ich eine an die andre.<lb/>
Obgleich &#x017F;elb&#x017F;t nichts weniger als heilig, erkenne ich<lb/>
doch das &#x017F;tille Wirken der heiligen Gemüther, die<lb/>
der aufgewühlten Erde wieder ein Fe&#x017F;tes geben wol¬<lb/>
len. Ich ahne Ihr &#x017F;chönes, großes Werk, Prinze&#x017F;&#x017F;in.<lb/>
Nur vor&#x017F;ichtig, den Schleier darüber gela&#x017F;&#x017F;en, die<lb/>
Welt i&#x017F;t noch zu &#x017F;kepti&#x017F;ch. Aber &#x017F;ie wird immer<lb/>
empfänglicher werden, je mehr &#x017F;ie verblutet, ermattet.<lb/>
Wo alle Kraft er&#x017F;chöpft i&#x017F;t, hat die Bekehrung leichte<lb/>
Arbeit, und es i&#x017F;t gewiß eine &#x017F;chöne, belohnende.<lb/>
Haben Sie Ihren ritterlichen Kai&#x017F;er er&#x017F;t ganz ein¬<lb/>
geweiht, dann machen &#x017F;ich die Alliancen von &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
und dann ich bin kein Träumer von einem<lb/>
Weltfrieden, denn die Men&#x017F;chen &#x017F;ind einmal ge¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0233] lange, wir ſehen uns bald, unter andern Verhält¬ niſſen wieder. — Sie ſehen mich zweifelhaft an, weil Sie mich kennen. Kennen Sie mich denn ganz, wo ich mich ſelbſt nicht kenne? Die Völker müſſen re¬ giert werden; und um ſie regieren zu können, darf man ſie nicht zu klug werden laſſen. So weit gehen unſre Wege miteinander. Nur in den Mitteln, da liegt der Unterſchied. Ob Napoleons imperialiſtiſcher Wille ausreicht — wir kommen da immer wieder auf den Stock zurück. Es iſt ein gutes, aber ein grobes Mittel, und wer weiß, ob der Stock nicht einmal bricht? Ihre — es iſt ja natürlich auch meine Kirche — hat ſanftere Mittel. Wäre der Pro¬ teſtantismus nicht gekommen, wir wären Alle glück¬ licher! Stände erſt wieder die eine Autorität uner¬ ſchütterlich feſt, dann kettet ſich eine an die andre. Obgleich ſelbſt nichts weniger als heilig, erkenne ich doch das ſtille Wirken der heiligen Gemüther, die der aufgewühlten Erde wieder ein Feſtes geben wol¬ len. Ich ahne Ihr ſchönes, großes Werk, Prinzeſſin. Nur vorſichtig, den Schleier darüber gelaſſen, die Welt iſt noch zu ſkeptiſch. Aber ſie wird immer empfänglicher werden, je mehr ſie verblutet, ermattet. Wo alle Kraft erſchöpft iſt, hat die Bekehrung leichte Arbeit, und es iſt gewiß eine ſchöne, belohnende. Haben Sie Ihren ritterlichen Kaiſer erſt ganz ein¬ geweiht, dann machen ſich die Alliancen von ſelbſt, und dann ich bin kein Träumer von einem Weltfrieden, denn die Menſchen ſind einmal ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/233
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/233>, abgerufen am 22.11.2024.