Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber vor seinen Augen mußte sie nicht so groß
erscheinen, als er, mit den Zähnen die Unterlippe
kneifend, vor sich hinstarrte. Auf der Landkarte, die
sein Auge in der Luft vor sich zeichnete, sah er viel¬
leicht Städte und Länder, die ihm schon verschlossen
waren. Indem schallte Reitermusik die Straße herauf.
Berittene Rekruten sangen das jetzt so beliebte:

Frisch auf, Cameraden, auf's Pferd, auf's Pferd!
In's Feld, in die Freiheit gezogen!

Sie schaukelten sich dabei, noch ungeschult, in toller
Lustigkeit in den Sätteln.

"Was ist diesen Bauerlümmeln Freiheit -- was
Vaterland! rief es in ihm. Der Stock ihr Meister,
und doch gehn Sie muthig dem entgegen, dem sie
nicht ausweichen können; sie müßten denn desertiren.
Und das Desertiren hat in diesem Lande mehr Ge¬
fahr, als -- dem Feinde stehen. Ich will auch nicht
desertiren."

Er ging weiter; nicht nach der Post, aber doch
schien er noch unschlüssig, wohin. War es Zufall,
daß seine Schritte sich nach dem Hotel des fran¬
zösischen Gesandten lenkten? Alles war hier in Thä¬
tigkeit, Packwagen standen unter dem offenen Thor¬
weg; aber auch eine Kutsche angespannt auf der
Straße. Laforest wollte Abschiedsbesuche machen.
Wenn Wandel hier angeklopft, würde er bereitwillig
aufgenommen sein; er ging unschlüssig bis an die
Stufen, aber -- er mußte Gründe haben, weshalb
er nicht anklopfte. Er ging rasch vorüber, und

Aber vor ſeinen Augen mußte ſie nicht ſo groß
erſcheinen, als er, mit den Zähnen die Unterlippe
kneifend, vor ſich hinſtarrte. Auf der Landkarte, die
ſein Auge in der Luft vor ſich zeichnete, ſah er viel¬
leicht Städte und Länder, die ihm ſchon verſchloſſen
waren. Indem ſchallte Reitermuſik die Straße herauf.
Berittene Rekruten ſangen das jetzt ſo beliebte:

Friſch auf, Cameraden, auf's Pferd, auf's Pferd!
In's Feld, in die Freiheit gezogen!

Sie ſchaukelten ſich dabei, noch ungeſchult, in toller
Luſtigkeit in den Sätteln.

„Was iſt dieſen Bauerlümmeln Freiheit — was
Vaterland! rief es in ihm. Der Stock ihr Meiſter,
und doch gehn Sie muthig dem entgegen, dem ſie
nicht ausweichen können; ſie müßten denn deſertiren.
Und das Deſertiren hat in dieſem Lande mehr Ge¬
fahr, als — dem Feinde ſtehen. Ich will auch nicht
deſertiren.“

Er ging weiter; nicht nach der Poſt, aber doch
ſchien er noch unſchlüſſig, wohin. War es Zufall,
daß ſeine Schritte ſich nach dem Hotel des fran¬
zöſiſchen Geſandten lenkten? Alles war hier in Thä¬
tigkeit, Packwagen ſtanden unter dem offenen Thor¬
weg; aber auch eine Kutſche angeſpannt auf der
Straße. Laforeſt wollte Abſchiedsbeſuche machen.
Wenn Wandel hier angeklopft, würde er bereitwillig
aufgenommen ſein; er ging unſchlüſſig bis an die
Stufen, aber — er mußte Gründe haben, weshalb
er nicht anklopfte. Er ging raſch vorüber, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0197" n="187"/>
        <p>Aber vor &#x017F;einen Augen mußte &#x017F;ie nicht &#x017F;o groß<lb/>
er&#x017F;cheinen, als er, mit den Zähnen die Unterlippe<lb/>
kneifend, vor &#x017F;ich hin&#x017F;tarrte. Auf der Landkarte, die<lb/>
&#x017F;ein Auge in der Luft vor &#x017F;ich zeichnete, &#x017F;ah er viel¬<lb/>
leicht Städte und Länder, die ihm &#x017F;chon ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
waren. Indem &#x017F;challte Reitermu&#x017F;ik die Straße herauf.<lb/>
Berittene Rekruten &#x017F;angen das jetzt &#x017F;o beliebte:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l rendition="#et">Fri&#x017F;ch auf, Cameraden, auf's Pferd, auf's Pferd!</l><lb/>
          <l rendition="#et">In's Feld, in die Freiheit gezogen!</l>
        </lg><lb/>
        <p>Sie &#x017F;chaukelten &#x017F;ich dabei, noch unge&#x017F;chult, in toller<lb/>
Lu&#x017F;tigkeit in den Sätteln.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was i&#x017F;t die&#x017F;en Bauerlümmeln Freiheit &#x2014; was<lb/>
Vaterland! rief es in ihm. Der Stock ihr Mei&#x017F;ter,<lb/>
und doch gehn Sie muthig dem entgegen, dem &#x017F;ie<lb/>
nicht ausweichen können; &#x017F;ie müßten denn de&#x017F;ertiren.<lb/>
Und das De&#x017F;ertiren hat in die&#x017F;em Lande mehr Ge¬<lb/>
fahr, als &#x2014; dem Feinde &#x017F;tehen. Ich will auch nicht<lb/>
de&#x017F;ertiren.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er ging weiter; nicht nach der Po&#x017F;t, aber doch<lb/>
&#x017F;chien er noch un&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;ig, wohin. War es Zufall,<lb/>
daß &#x017F;eine Schritte &#x017F;ich nach dem Hotel des fran¬<lb/>&#x017F;i&#x017F;chen Ge&#x017F;andten lenkten? Alles war hier in Thä¬<lb/>
tigkeit, Packwagen &#x017F;tanden unter dem offenen Thor¬<lb/>
weg; aber auch eine Kut&#x017F;che ange&#x017F;pannt auf der<lb/>
Straße. Lafore&#x017F;t wollte Ab&#x017F;chiedsbe&#x017F;uche machen.<lb/>
Wenn Wandel hier angeklopft, würde er bereitwillig<lb/>
aufgenommen &#x017F;ein; er ging un&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;ig bis an die<lb/>
Stufen, aber &#x2014; er mußte Gründe haben, weshalb<lb/>
er nicht anklopfte. Er ging ra&#x017F;ch vorüber, und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0197] Aber vor ſeinen Augen mußte ſie nicht ſo groß erſcheinen, als er, mit den Zähnen die Unterlippe kneifend, vor ſich hinſtarrte. Auf der Landkarte, die ſein Auge in der Luft vor ſich zeichnete, ſah er viel¬ leicht Städte und Länder, die ihm ſchon verſchloſſen waren. Indem ſchallte Reitermuſik die Straße herauf. Berittene Rekruten ſangen das jetzt ſo beliebte: Friſch auf, Cameraden, auf's Pferd, auf's Pferd! In's Feld, in die Freiheit gezogen! Sie ſchaukelten ſich dabei, noch ungeſchult, in toller Luſtigkeit in den Sätteln. „Was iſt dieſen Bauerlümmeln Freiheit — was Vaterland! rief es in ihm. Der Stock ihr Meiſter, und doch gehn Sie muthig dem entgegen, dem ſie nicht ausweichen können; ſie müßten denn deſertiren. Und das Deſertiren hat in dieſem Lande mehr Ge¬ fahr, als — dem Feinde ſtehen. Ich will auch nicht deſertiren.“ Er ging weiter; nicht nach der Poſt, aber doch ſchien er noch unſchlüſſig, wohin. War es Zufall, daß ſeine Schritte ſich nach dem Hotel des fran¬ zöſiſchen Geſandten lenkten? Alles war hier in Thä¬ tigkeit, Packwagen ſtanden unter dem offenen Thor¬ weg; aber auch eine Kutſche angeſpannt auf der Straße. Laforeſt wollte Abſchiedsbeſuche machen. Wenn Wandel hier angeklopft, würde er bereitwillig aufgenommen ſein; er ging unſchlüſſig bis an die Stufen, aber — er mußte Gründe haben, weshalb er nicht anklopfte. Er ging raſch vorüber, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/197
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/197>, abgerufen am 22.11.2024.