Aber vor seinen Augen mußte sie nicht so groß erscheinen, als er, mit den Zähnen die Unterlippe kneifend, vor sich hinstarrte. Auf der Landkarte, die sein Auge in der Luft vor sich zeichnete, sah er viel¬ leicht Städte und Länder, die ihm schon verschlossen waren. Indem schallte Reitermusik die Straße herauf. Berittene Rekruten sangen das jetzt so beliebte:
Frisch auf, Cameraden, auf's Pferd, auf's Pferd!
In's Feld, in die Freiheit gezogen!
Sie schaukelten sich dabei, noch ungeschult, in toller Lustigkeit in den Sätteln.
"Was ist diesen Bauerlümmeln Freiheit -- was Vaterland! rief es in ihm. Der Stock ihr Meister, und doch gehn Sie muthig dem entgegen, dem sie nicht ausweichen können; sie müßten denn desertiren. Und das Desertiren hat in diesem Lande mehr Ge¬ fahr, als -- dem Feinde stehen. Ich will auch nicht desertiren."
Er ging weiter; nicht nach der Post, aber doch schien er noch unschlüssig, wohin. War es Zufall, daß seine Schritte sich nach dem Hotel des fran¬ zösischen Gesandten lenkten? Alles war hier in Thä¬ tigkeit, Packwagen standen unter dem offenen Thor¬ weg; aber auch eine Kutsche angespannt auf der Straße. Laforest wollte Abschiedsbesuche machen. Wenn Wandel hier angeklopft, würde er bereitwillig aufgenommen sein; er ging unschlüssig bis an die Stufen, aber -- er mußte Gründe haben, weshalb er nicht anklopfte. Er ging rasch vorüber, und
Aber vor ſeinen Augen mußte ſie nicht ſo groß erſcheinen, als er, mit den Zähnen die Unterlippe kneifend, vor ſich hinſtarrte. Auf der Landkarte, die ſein Auge in der Luft vor ſich zeichnete, ſah er viel¬ leicht Städte und Länder, die ihm ſchon verſchloſſen waren. Indem ſchallte Reitermuſik die Straße herauf. Berittene Rekruten ſangen das jetzt ſo beliebte:
Friſch auf, Cameraden, auf's Pferd, auf's Pferd!
In's Feld, in die Freiheit gezogen!
Sie ſchaukelten ſich dabei, noch ungeſchult, in toller Luſtigkeit in den Sätteln.
„Was iſt dieſen Bauerlümmeln Freiheit — was Vaterland! rief es in ihm. Der Stock ihr Meiſter, und doch gehn Sie muthig dem entgegen, dem ſie nicht ausweichen können; ſie müßten denn deſertiren. Und das Deſertiren hat in dieſem Lande mehr Ge¬ fahr, als — dem Feinde ſtehen. Ich will auch nicht deſertiren.“
Er ging weiter; nicht nach der Poſt, aber doch ſchien er noch unſchlüſſig, wohin. War es Zufall, daß ſeine Schritte ſich nach dem Hotel des fran¬ zöſiſchen Geſandten lenkten? Alles war hier in Thä¬ tigkeit, Packwagen ſtanden unter dem offenen Thor¬ weg; aber auch eine Kutſche angeſpannt auf der Straße. Laforeſt wollte Abſchiedsbeſuche machen. Wenn Wandel hier angeklopft, würde er bereitwillig aufgenommen ſein; er ging unſchlüſſig bis an die Stufen, aber — er mußte Gründe haben, weshalb er nicht anklopfte. Er ging raſch vorüber, und
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Aber vor ſeinen Augen mußte ſie nicht ſo groß
erſcheinen, als er, mit den Zähnen die Unterlippe
kneifend, vor ſich hinſtarrte. Auf der Landkarte, die
ſein Auge in der Luft vor ſich zeichnete, ſah er viel¬
leicht Städte und Länder, die ihm ſchon verſchloſſen
waren. Indem ſchallte Reitermuſik die Straße herauf.
Berittene Rekruten ſangen das jetzt ſo beliebte:
Friſch auf, Cameraden, auf's Pferd, auf's Pferd!
In's Feld, in die Freiheit gezogen!
Sie ſchaukelten ſich dabei, noch ungeſchult, in toller
Luſtigkeit in den Sätteln.
„Was iſt dieſen Bauerlümmeln Freiheit — was
Vaterland! rief es in ihm. Der Stock ihr Meiſter,
und doch gehn Sie muthig dem entgegen, dem ſie
nicht ausweichen können; ſie müßten denn deſertiren.
Und das Deſertiren hat in dieſem Lande mehr Ge¬
fahr, als — dem Feinde ſtehen. Ich will auch nicht
deſertiren.“
Er ging weiter; nicht nach der Poſt, aber doch
ſchien er noch unſchlüſſig, wohin. War es Zufall,
daß ſeine Schritte ſich nach dem Hotel des fran¬
zöſiſchen Geſandten lenkten? Alles war hier in Thä¬
tigkeit, Packwagen ſtanden unter dem offenen Thor¬
weg; aber auch eine Kutſche angeſpannt auf der
Straße. Laforeſt wollte Abſchiedsbeſuche machen.
Wenn Wandel hier angeklopft, würde er bereitwillig
aufgenommen ſein; er ging unſchlüſſig bis an die
Stufen, aber — er mußte Gründe haben, weshalb
er nicht anklopfte. Er ging raſch vorüber, und
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/197>, abgerufen am 22.11.2024.
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