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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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schauspiel bieten. Da, wenn er auf der Höhe hält,
den Tubus in der Hand, sein Schlachtroß unbeweg¬
lich unter seinen Lenden, da soll Napoleon ein Gott
sein. Ein Bewegen mit dem kleinen Finger, ein
Seitenblick, ein Zucken mit der Lippe, die Adjutan¬
ten verstehen es, neue Bataillone wälzen heran, sie
füllen die Lücken, um wieder -- Lücken zu werden --"

"Bis eine kleine Kartätschenkugel, matt nur
noch im Sande hüpfend, auf den Hügel springt und
den Gott vom Pferde reißt."

"Qu'importe! So zu sterben, wäre auch Wol¬
lust. -- Sind wir nicht Alle zu Feldherren geboren,
die wir über die Masse uns erheben? Diese Massen,
die nichts sind ohne den Geist, der sie regiert, Knäuel
grauen Gewürmes, ein Durcheinander ohne Unter¬
scheidung, wenn nicht ein Lichtstrahl sie färbt. Wir
färben sie, geben ihnen Leben, Ordnung, Zweck des
Daseins -- haben wir nicht dafür Recht, über sie zu
schalten wie der Schachspieler? Futter für's Pulver,
nicht wahr? -- Ich kann die Frau da begreifen, wenn
es wahr ist, was sie von ihr erzählen. Mit Menschen¬
leben spielen wie mit Schachpuppen, warum soll es nicht
zum Kitzel werden, dem man nicht mehr widersteht."

"Die Unglückliche! Sie wollte gewiß keine Ver¬
brecherin werden."

"Wer will das! Sie wollte nur Glück um sich
verbreiten, aber weil die Menschen eigensinnig sich
ihres auf eigne Weise suchen, ward sie erbittert,
bis -- bis -- Ja -- weil sie nicht Muth hatte zu

ſchauſpiel bieten. Da, wenn er auf der Höhe hält,
den Tubus in der Hand, ſein Schlachtroß unbeweg¬
lich unter ſeinen Lenden, da ſoll Napoleon ein Gott
ſein. Ein Bewegen mit dem kleinen Finger, ein
Seitenblick, ein Zucken mit der Lippe, die Adjutan¬
ten verſtehen es, neue Bataillone wälzen heran, ſie
füllen die Lücken, um wieder — Lücken zu werden —“

„Bis eine kleine Kartätſchenkugel, matt nur
noch im Sande hüpfend, auf den Hügel ſpringt und
den Gott vom Pferde reißt.“

„Qu'importe! So zu ſterben, wäre auch Wol¬
luſt. — Sind wir nicht Alle zu Feldherren geboren,
die wir über die Maſſe uns erheben? Dieſe Maſſen,
die nichts ſind ohne den Geiſt, der ſie regiert, Knäuel
grauen Gewürmes, ein Durcheinander ohne Unter¬
ſcheidung, wenn nicht ein Lichtſtrahl ſie färbt. Wir
färben ſie, geben ihnen Leben, Ordnung, Zweck des
Daſeins — haben wir nicht dafür Recht, über ſie zu
ſchalten wie der Schachſpieler? Futter für's Pulver,
nicht wahr? — Ich kann die Frau da begreifen, wenn
es wahr iſt, was ſie von ihr erzählen. Mit Menſchen¬
leben ſpielen wie mit Schachpuppen, warum ſoll es nicht
zum Kitzel werden, dem man nicht mehr widerſteht.“

„Die Unglückliche! Sie wollte gewiß keine Ver¬
brecherin werden.“

„Wer will das! Sie wollte nur Glück um ſich
verbreiten, aber weil die Menſchen eigenſinnig ſich
ihres auf eigne Weiſe ſuchen, ward ſie erbittert,
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[181/0191] ſchauſpiel bieten. Da, wenn er auf der Höhe hält, den Tubus in der Hand, ſein Schlachtroß unbeweg¬ lich unter ſeinen Lenden, da ſoll Napoleon ein Gott ſein. Ein Bewegen mit dem kleinen Finger, ein Seitenblick, ein Zucken mit der Lippe, die Adjutan¬ ten verſtehen es, neue Bataillone wälzen heran, ſie füllen die Lücken, um wieder — Lücken zu werden —“ „Bis eine kleine Kartätſchenkugel, matt nur noch im Sande hüpfend, auf den Hügel ſpringt und den Gott vom Pferde reißt.“ „Qu'importe! So zu ſterben, wäre auch Wol¬ luſt. — Sind wir nicht Alle zu Feldherren geboren, die wir über die Maſſe uns erheben? Dieſe Maſſen, die nichts ſind ohne den Geiſt, der ſie regiert, Knäuel grauen Gewürmes, ein Durcheinander ohne Unter¬ ſcheidung, wenn nicht ein Lichtſtrahl ſie färbt. Wir färben ſie, geben ihnen Leben, Ordnung, Zweck des Daſeins — haben wir nicht dafür Recht, über ſie zu ſchalten wie der Schachſpieler? Futter für's Pulver, nicht wahr? — Ich kann die Frau da begreifen, wenn es wahr iſt, was ſie von ihr erzählen. Mit Menſchen¬ leben ſpielen wie mit Schachpuppen, warum ſoll es nicht zum Kitzel werden, dem man nicht mehr widerſteht.“ „Die Unglückliche! Sie wollte gewiß keine Ver¬ brecherin werden.“ „Wer will das! Sie wollte nur Glück um ſich verbreiten, aber weil die Menſchen eigenſinnig ſich ihres auf eigne Weiſe ſuchen, ward ſie erbittert, bis — bis — Ja — weil ſie nicht Muth hatte zu

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/191>, abgerufen am 23.11.2024.