und Teufel, Religion und Aberglaube begräbt, den Thron der Aufklärung aufgerichtet, im Ich, jeder ein Gott mit aufgeblasenen Wangen und Kolophonium¬ blitzen gegen Andersdenkende! Der rechte neue Aber¬ glaube und Aberwitz, wo den Sündern vergeben wird, wie man irgendwo Gefangene laufen läßt, weil kein Gefängniß für sie ist. Die nach dem Trunke dürstenden Wüstenpilger speist man ab mit dem Troste, ihr Durst sei Illusion, er werde vergehen durch Ent¬ haltsamkeit. Und wie diese Religion ein Mantel von Spinnweben, so ist ihre Staatskunst einer von verschimmelter Weisheit. Weil sie ohne wahrhaften Gott sind, haben sie aus einem Menschen einen Götzen gemacht. Ich sah zufällig als Kind, man führte mich dahin, die Leiche des großen Königs. O schau¬ derhafte Erinnerung. Dieser Größte der Großen, den sie in ihrer Vermessenheit einem Stern an den Himmel versetzt, war eine kleine zusammenge¬ schrumpfte Mumie, ein Kinderbalg, ein verkrummtes Zwerglein. Man mußte mich fortreißen, denn ich lachte laut, draußen schrie ich noch auf: das ist kein großer Mann, das ist ja eine häßliche Puppe! -- Und wenn wir hinsinken vor der schönen gebenedeiten Mutter, wenn sich unser thränenreicher Blick aufrichtet zu den edlen Gottzügen des Gekreuzigten, und schwebt er noch höher beim Klange des gloria in excelsis, zu dem ewigen Auge des Vaters, dann bezüchtigt man uns der Idolatrie! Aber dies Pygmäengeschlecht kniet und betet vor der kleinen braunen Puppe, und das
und Teufel, Religion und Aberglaube begräbt, den Thron der Aufklärung aufgerichtet, im Ich, jeder ein Gott mit aufgeblaſenen Wangen und Kolophonium¬ blitzen gegen Andersdenkende! Der rechte neue Aber¬ glaube und Aberwitz, wo den Sündern vergeben wird, wie man irgendwo Gefangene laufen läßt, weil kein Gefängniß für ſie iſt. Die nach dem Trunke dürſtenden Wüſtenpilger ſpeiſt man ab mit dem Troſte, ihr Durſt ſei Illuſion, er werde vergehen durch Ent¬ haltſamkeit. Und wie dieſe Religion ein Mantel von Spinnweben, ſo iſt ihre Staatskunſt einer von verſchimmelter Weisheit. Weil ſie ohne wahrhaften Gott ſind, haben ſie aus einem Menſchen einen Götzen gemacht. Ich ſah zufällig als Kind, man führte mich dahin, die Leiche des großen Königs. O ſchau¬ derhafte Erinnerung. Dieſer Größte der Großen, den ſie in ihrer Vermeſſenheit einem Stern an den Himmel verſetzt, war eine kleine zuſammenge¬ ſchrumpfte Mumie, ein Kinderbalg, ein verkrummtes Zwerglein. Man mußte mich fortreißen, denn ich lachte laut, draußen ſchrie ich noch auf: das iſt kein großer Mann, das iſt ja eine häßliche Puppe! — Und wenn wir hinſinken vor der ſchönen gebenedeiten Mutter, wenn ſich unſer thränenreicher Blick aufrichtet zu den edlen Gottzügen des Gekreuzigten, und ſchwebt er noch höher beim Klange des gloria in excelsis, zu dem ewigen Auge des Vaters, dann bezüchtigt man uns der Idolatrie! Aber dies Pygmäengeſchlecht kniet und betet vor der kleinen braunen Puppe, und das
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und Teufel, Religion und Aberglaube begräbt, den
Thron der Aufklärung aufgerichtet, im Ich, jeder ein
Gott mit aufgeblaſenen Wangen und Kolophonium¬
blitzen gegen Andersdenkende! Der rechte neue Aber¬
glaube und Aberwitz, wo den Sündern vergeben
wird, wie man irgendwo Gefangene laufen läßt,
weil kein Gefängniß für ſie iſt. Die nach dem Trunke
dürſtenden Wüſtenpilger ſpeiſt man ab mit dem Troſte,
ihr Durſt ſei Illuſion, er werde vergehen durch Ent¬
haltſamkeit. Und wie dieſe Religion ein Mantel
von Spinnweben, ſo iſt ihre Staatskunſt einer von
verſchimmelter Weisheit. Weil ſie ohne wahrhaften
Gott ſind, haben ſie aus einem Menſchen einen Götzen
gemacht. Ich ſah zufällig als Kind, man führte
mich dahin, die Leiche des großen Königs. O ſchau¬
derhafte Erinnerung. Dieſer Größte der Großen,
den ſie in ihrer Vermeſſenheit einem Stern an
den Himmel verſetzt, war eine kleine zuſammenge¬
ſchrumpfte Mumie, ein Kinderbalg, ein verkrummtes
Zwerglein. Man mußte mich fortreißen, denn ich lachte
laut, draußen ſchrie ich noch auf: das iſt kein großer
Mann, das iſt ja eine häßliche Puppe! — Und wenn
wir hinſinken vor der ſchönen gebenedeiten Mutter,
wenn ſich unſer thränenreicher Blick aufrichtet zu den
edlen Gottzügen des Gekreuzigten, und ſchwebt er noch
höher beim Klange des gloria in excelsis, zu dem
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und betet vor der kleinen braunen Puppe, und das
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/188>, abgerufen am 24.11.2024.
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