"Nein! -- Eigentlich bewunderte ich in Ihnen die Allmacht der Natur. Wie es ihr möglich war, ein Geschöpf in Menschengestalt ohne Blut und Herz zu bilden! Sie waren mir neu, interessant, ich wollte Sie studiren. Ich klopfte an, ob nicht irgend¬ wo eine schwache Seite herausklinge -- aber kalter Marmor von außen und noch kälterer innen. Ich fragte mich, was bewegt denn diesen Block, den irgend ein Dämon aus dem kalten Gestein loshieb und ge¬ meißelt in's Leben setzte, mit täuschender Menschen¬ ähnlichkeit, aber er ward kein Mensch."
"Einige wollen behaupten, der Egoismus sei es allein, der diesen -- Marmorblock in Thätigkeit bringt."
"Aber die Lichter des Himmels blitzen Sie doch an, die Töne der Natur finden in Ihnen einen Wie¬ derhall. Es rauscht und strahlt zuweilen so harmo¬ nisch heraus, daß Sie blenden, berauschen, verführen. Sagen Sie, ist das Alles nur der Reflex eines Spie¬ gels, den selbst nichts rührt? Haben Sie keine Seele, oder ist sie wie das Meer am Eispol, eingefroren seit ihrer Schöpfung?"
"Viel näher, theuerste Freundin, läge doch der Vergleich mit dem Dämon, den der große Dichter in's Leben rief. Warum so ungeheuer weit suchen im Chaos des Möglichen und Unmöglichen, statt Goethe's Mephistopheles zu citiren? Die Ehre er¬ zeigten mir Andre, sie nannten mich den Geist, der immer verneint. Höflichere hatten sogar die Freund¬
„Nein! — Eigentlich bewunderte ich in Ihnen die Allmacht der Natur. Wie es ihr möglich war, ein Geſchöpf in Menſchengeſtalt ohne Blut und Herz zu bilden! Sie waren mir neu, intereſſant, ich wollte Sie ſtudiren. Ich klopfte an, ob nicht irgend¬ wo eine ſchwache Seite herausklinge — aber kalter Marmor von außen und noch kälterer innen. Ich fragte mich, was bewegt denn dieſen Block, den irgend ein Dämon aus dem kalten Geſtein loshieb und ge¬ meißelt in's Leben ſetzte, mit täuſchender Menſchen¬ ähnlichkeit, aber er ward kein Menſch.“
„Einige wollen behaupten, der Egoismus ſei es allein, der dieſen — Marmorblock in Thätigkeit bringt.“
„Aber die Lichter des Himmels blitzen Sie doch an, die Töne der Natur finden in Ihnen einen Wie¬ derhall. Es rauſcht und ſtrahlt zuweilen ſo harmo¬ niſch heraus, daß Sie blenden, berauſchen, verführen. Sagen Sie, iſt das Alles nur der Reflex eines Spie¬ gels, den ſelbſt nichts rührt? Haben Sie keine Seele, oder iſt ſie wie das Meer am Eispol, eingefroren ſeit ihrer Schöpfung?“
„Viel näher, theuerſte Freundin, läge doch der Vergleich mit dem Dämon, den der große Dichter in's Leben rief. Warum ſo ungeheuer weit ſuchen im Chaos des Möglichen und Unmöglichen, ſtatt Goethe's Mephiſtopheles zu citiren? Die Ehre er¬ zeigten mir Andre, ſie nannten mich den Geiſt, der immer verneint. Höflichere hatten ſogar die Freund¬
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„Nein! — Eigentlich bewunderte ich in Ihnen
die Allmacht der Natur. Wie es ihr möglich war,
ein Geſchöpf in Menſchengeſtalt ohne Blut und Herz
zu bilden! Sie waren mir neu, intereſſant, ich
wollte Sie ſtudiren. Ich klopfte an, ob nicht irgend¬
wo eine ſchwache Seite herausklinge — aber kalter
Marmor von außen und noch kälterer innen. Ich
fragte mich, was bewegt denn dieſen Block, den irgend
ein Dämon aus dem kalten Geſtein loshieb und ge¬
meißelt in's Leben ſetzte, mit täuſchender Menſchen¬
ähnlichkeit, aber er ward kein Menſch.“
„Einige wollen behaupten, der Egoismus ſei
es allein, der dieſen — Marmorblock in Thätigkeit
bringt.“
„Aber die Lichter des Himmels blitzen Sie doch
an, die Töne der Natur finden in Ihnen einen Wie¬
derhall. Es rauſcht und ſtrahlt zuweilen ſo harmo¬
niſch heraus, daß Sie blenden, berauſchen, verführen.
Sagen Sie, iſt das Alles nur der Reflex eines Spie¬
gels, den ſelbſt nichts rührt? Haben Sie keine Seele,
oder iſt ſie wie das Meer am Eispol, eingefroren
ſeit ihrer Schöpfung?“
„Viel näher, theuerſte Freundin, läge doch der
Vergleich mit dem Dämon, den der große Dichter
in's Leben rief. Warum ſo ungeheuer weit ſuchen
im Chaos des Möglichen und Unmöglichen, ſtatt
Goethe's Mephiſtopheles zu citiren? Die Ehre er¬
zeigten mir Andre, ſie nannten mich den Geiſt, der
immer verneint. Höflichere hatten ſogar die Freund¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/183>, abgerufen am 24.11.2024.
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