den Garten und in den Gang geführt, wo die Kö¬ nigin ihre Morgenpromenade zu machen pflegte.
"Wir gehen hier an den Gebüschen langsam auf und ab, und wenn sie kommt, thun wir, als sähen wir sie nicht. Wenn sie in Gedanken ist und uns nicht sehen will, was man gleich merkt, treten wir in's Gebüsch zurück. Will sie uns aber sehen, dann thun wir sehr überrascht und etwas erschrocken. Das lieben die hohen Herrschaften und dann encou¬ ragiren sie uns."
Eine Mittheilung der Schadow war aber nicht geeignet, Adelheid zu encouragiren. Ihr Vater, der Geheimrath, hatte vor einigen Tagen eine kurze Un¬ terhaltung mit der Königin gehabt. Adelheids Name war dabei genannt worden. "Das ist schade, das darf nicht sein!" hatte die Königin geäußert. Nach¬ her hatte die Schadow Ihre Majestät zur Viereck sagen gehört: "Ich muß das junge Mädchen einmal sprechen." Adelheids Vater hatte eine Abneigung gegen ihre Verlobung mit Louis Bovillard. Die Mutter betrachtete sie als ein Glück. Sie wußte von häuslichem Verdruß deshalb. Ueber diesen Kampf war Adelheid hinaus. Beim kindlichsten Gefühl der Dankbarkeit fühlte sie sich frei geworden. Sie hatte es keinen Hehl gegen ihren Vater gehabt: Ihr habt mich hinausgesetzt in eine andre Welt, wo andre Ge¬ setze gelten. Wenn ich mich den Pflichten unterwer¬ fen mußte, die sie fordern, so darf ich auch ihre Rechte für mich anrufen. So war ungefähr der
den Garten und in den Gang geführt, wo die Kö¬ nigin ihre Morgenpromenade zu machen pflegte.
„Wir gehen hier an den Gebüſchen langſam auf und ab, und wenn ſie kommt, thun wir, als ſähen wir ſie nicht. Wenn ſie in Gedanken iſt und uns nicht ſehen will, was man gleich merkt, treten wir in's Gebüſch zurück. Will ſie uns aber ſehen, dann thun wir ſehr überraſcht und etwas erſchrocken. Das lieben die hohen Herrſchaften und dann encou¬ ragiren ſie uns.“
Eine Mittheilung der Schadow war aber nicht geeignet, Adelheid zu encouragiren. Ihr Vater, der Geheimrath, hatte vor einigen Tagen eine kurze Un¬ terhaltung mit der Königin gehabt. Adelheids Name war dabei genannt worden. „Das iſt ſchade, das darf nicht ſein!“ hatte die Königin geäußert. Nach¬ her hatte die Schadow Ihre Majeſtät zur Viereck ſagen gehört: „Ich muß das junge Mädchen einmal ſprechen.“ Adelheids Vater hatte eine Abneigung gegen ihre Verlobung mit Louis Bovillard. Die Mutter betrachtete ſie als ein Glück. Sie wußte von häuslichem Verdruß deshalb. Ueber dieſen Kampf war Adelheid hinaus. Beim kindlichſten Gefühl der Dankbarkeit fühlte ſie ſich frei geworden. Sie hatte es keinen Hehl gegen ihren Vater gehabt: Ihr habt mich hinausgeſetzt in eine andre Welt, wo andre Ge¬ ſetze gelten. Wenn ich mich den Pflichten unterwer¬ fen mußte, die ſie fordern, ſo darf ich auch ihre Rechte für mich anrufen. So war ungefähr der
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den Garten und in den Gang geführt, wo die Kö¬
nigin ihre Morgenpromenade zu machen pflegte.
„Wir gehen hier an den Gebüſchen langſam
auf und ab, und wenn ſie kommt, thun wir, als
ſähen wir ſie nicht. Wenn ſie in Gedanken iſt und
uns nicht ſehen will, was man gleich merkt, treten
wir in's Gebüſch zurück. Will ſie uns aber ſehen,
dann thun wir ſehr überraſcht und etwas erſchrocken.
Das lieben die hohen Herrſchaften und dann encou¬
ragiren ſie uns.“
Eine Mittheilung der Schadow war aber nicht
geeignet, Adelheid zu encouragiren. Ihr Vater, der
Geheimrath, hatte vor einigen Tagen eine kurze Un¬
terhaltung mit der Königin gehabt. Adelheids Name
war dabei genannt worden. „Das iſt ſchade, das
darf nicht ſein!“ hatte die Königin geäußert. Nach¬
her hatte die Schadow Ihre Majeſtät zur Viereck
ſagen gehört: „Ich muß das junge Mädchen einmal
ſprechen.“ Adelheids Vater hatte eine Abneigung
gegen ihre Verlobung mit Louis Bovillard. Die
Mutter betrachtete ſie als ein Glück. Sie wußte von
häuslichem Verdruß deshalb. Ueber dieſen Kampf
war Adelheid hinaus. Beim kindlichſten Gefühl der
Dankbarkeit fühlte ſie ſich frei geworden. Sie hatte
es keinen Hehl gegen ihren Vater gehabt: Ihr habt
mich hinausgeſetzt in eine andre Welt, wo andre Ge¬
ſetze gelten. Wenn ich mich den Pflichten unterwer¬
fen mußte, die ſie fordern, ſo darf ich auch ihre
Rechte für mich anrufen. So war ungefähr der
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/108>, abgerufen am 23.11.2024.
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