wenn ihres von einem mächtigen Impulse schlug! Welcher Eid, welche Pflicht band sie, wenn die Ma¬ jestät der Königin von ihr Wahrheit forderte?
Das waren die ernsten Gedanken. Aber plötz¬ lich lösten sich die zusammengekniffenen Lippen, die Runzeln glätteten sich, und die Augen glänzten scha¬ denfroh: "Sie kann sich ja nicht verleugnen, sie wird dort wie hier das starke Mädchen sein. Sie wird das Gefühl der Königin verletzen -- und -- und -- und -- sie wird zurückgeschickt, wie sie gekommen -- Vive la verite! -- Und wenn sie zu mir zurück¬ kehrt, ist sie eine Andre als die fortging, und wir können uns besinnen, wie anders wir sie aufnehmen."
Mit vergnügtem Gesicht trat die Fürstin an's Fenster. Ihr Auge fiel auf die kleinen Entresolfen¬ ster im Seitenflügel, wo die Kammermädchen wohn¬ ten. Ihr fiel ein, daß sie die Kammermädchen ja schon längst sich näher gewünscht, und ihr Gesicht verzog sich zu einem ganz eigenthümlichen Lächeln, als sie dachte: das wären ja allerliebste Stuben für Adelheid. Da kam der Legationsrath über den Hof. Das Lächeln ward wieder ein andres: "Eigentlich hasse ich ihn, ich müßte ihn verabscheuen, ich sollte ihn fürchten, aber es lügt Niemand so angenehm als er."
Mamsell Schadow hatte indessen gegen das schöne Mädchen nicht die Diplomatin gespielt. Sie hatte es mit Herzlichkeit empfangen, obgleich sie wußte, daß der Besuch nicht ihr gelte, und sie sogleich in
V. 7
wenn ihres von einem mächtigen Impulſe ſchlug! Welcher Eid, welche Pflicht band ſie, wenn die Ma¬ jeſtät der Königin von ihr Wahrheit forderte?
Das waren die ernſten Gedanken. Aber plötz¬ lich löſten ſich die zuſammengekniffenen Lippen, die Runzeln glätteten ſich, und die Augen glänzten ſcha¬ denfroh: „Sie kann ſich ja nicht verleugnen, ſie wird dort wie hier das ſtarke Mädchen ſein. Sie wird das Gefühl der Königin verletzen — und — und — und — ſie wird zurückgeſchickt, wie ſie gekommen — Vive la vérité! — Und wenn ſie zu mir zurück¬ kehrt, iſt ſie eine Andre als die fortging, und wir können uns beſinnen, wie anders wir ſie aufnehmen.“
Mit vergnügtem Geſicht trat die Fürſtin an's Fenſter. Ihr Auge fiel auf die kleinen Entreſolfen¬ ſter im Seitenflügel, wo die Kammermädchen wohn¬ ten. Ihr fiel ein, daß ſie die Kammermädchen ja ſchon längſt ſich näher gewünſcht, und ihr Geſicht verzog ſich zu einem ganz eigenthümlichen Lächeln, als ſie dachte: das wären ja allerliebſte Stuben für Adelheid. Da kam der Legationsrath über den Hof. Das Lächeln ward wieder ein andres: „Eigentlich haſſe ich ihn, ich müßte ihn verabſcheuen, ich ſollte ihn fürchten, aber es lügt Niemand ſo angenehm als er.“
Mamſell Schadow hatte indeſſen gegen das ſchöne Mädchen nicht die Diplomatin geſpielt. Sie hatte es mit Herzlichkeit empfangen, obgleich ſie wußte, daß der Beſuch nicht ihr gelte, und ſie ſogleich in
V. 7
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wenn ihres von einem mächtigen Impulſe ſchlug!
Welcher Eid, welche Pflicht band ſie, wenn die Ma¬
jeſtät der Königin von ihr Wahrheit forderte?
Das waren die ernſten Gedanken. Aber plötz¬
lich löſten ſich die zuſammengekniffenen Lippen, die
Runzeln glätteten ſich, und die Augen glänzten ſcha¬
denfroh: „Sie kann ſich ja nicht verleugnen, ſie wird
dort wie hier das ſtarke Mädchen ſein. Sie wird
das Gefühl der Königin verletzen — und — und —
und — ſie wird zurückgeſchickt, wie ſie gekommen —
Vive la vérité! — Und wenn ſie zu mir zurück¬
kehrt, iſt ſie eine Andre als die fortging, und wir
können uns beſinnen, wie anders wir ſie aufnehmen.“
Mit vergnügtem Geſicht trat die Fürſtin an's
Fenſter. Ihr Auge fiel auf die kleinen Entreſolfen¬
ſter im Seitenflügel, wo die Kammermädchen wohn¬
ten. Ihr fiel ein, daß ſie die Kammermädchen ja
ſchon längſt ſich näher gewünſcht, und ihr Geſicht
verzog ſich zu einem ganz eigenthümlichen Lächeln,
als ſie dachte: das wären ja allerliebſte Stuben für
Adelheid. Da kam der Legationsrath über den Hof.
Das Lächeln ward wieder ein andres: „Eigentlich
haſſe ich ihn, ich müßte ihn verabſcheuen, ich ſollte
ihn fürchten, aber es lügt Niemand ſo angenehm
als er.“
Mamſell Schadow hatte indeſſen gegen das
ſchöne Mädchen nicht die Diplomatin geſpielt. Sie
hatte es mit Herzlichkeit empfangen, obgleich ſie wußte,
daß der Beſuch nicht ihr gelte, und ſie ſogleich in
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/107>, abgerufen am 23.11.2024.
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