Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

zersetzenden Nähe, und etwas davon war in ihr ge¬
blieben, es beschwerte ihr Blut, es trübte ihren Blick,
der Egoismus des Verstandes!

Und als diese wechselvollen Schicksale wie die
Stäubchen im Sonnenstrahl vor ihrem inneren Auge
wirbelten, hatte sie sich gefragt: warum das Schick¬
sal so wunderbar mit ihr gespielt? sie schleudere aus
einem Arm in den andern, Menschen und Gewohn¬
heiten tauschend, wie die Bilder aus einer Laterna
Magica? Ob sie eine besondere Bestimmung habe,
indem sie die Menschen in ihrer Schlechtigkeit kennen¬
lernen sollte? Eine entsetzliche Frage hatte in dem
jungen Herzen angepocht: hat die Natur den Men¬
schen auf die Welt gesetzt zur Lüge, oder um nach
der Wahrheit zu ringen? Die der Lüge lebten,
einen andern Schein um ihr Sein woben, -- hatte sie
nicht beobachtet, daß grade diese vom Glück ange¬
strahlt waren, gesucht, geschätzt, anerkannt, selbst von
denen, welche sie durch und durch erkannten! Die
dagegen kein Aushängeschild über ihr Wesen trugen,
ihre Gedanken rein aussprachen, grade auf ihr Ziel
losgingen, wo hatten sie es erreicht, wie wurden
doch ihre Gedanken mißverstanden, anders ausgelegt,
höchstens belohnt durch eine laue Anerkennung ihres
redlichen Strebens. Aber hinzugesetzt ward: schade,
damit wird er nie durchdringen. Es hilft der Welt
nichts was er thut. -- Was hatte Walter errungen?
-- Der arme Walter! Und sie! -- Sie hatte ihn
getäuscht, sie täuschte ihn noch immer fort, sie

zerſetzenden Nähe, und etwas davon war in ihr ge¬
blieben, es beſchwerte ihr Blut, es trübte ihren Blick,
der Egoismus des Verſtandes!

Und als dieſe wechſelvollen Schickſale wie die
Stäubchen im Sonnenſtrahl vor ihrem inneren Auge
wirbelten, hatte ſie ſich gefragt: warum das Schick¬
ſal ſo wunderbar mit ihr geſpielt? ſie ſchleudere aus
einem Arm in den andern, Menſchen und Gewohn¬
heiten tauſchend, wie die Bilder aus einer Laterna
Magica? Ob ſie eine beſondere Beſtimmung habe,
indem ſie die Menſchen in ihrer Schlechtigkeit kennen¬
lernen ſollte? Eine entſetzliche Frage hatte in dem
jungen Herzen angepocht: hat die Natur den Men¬
ſchen auf die Welt geſetzt zur Lüge, oder um nach
der Wahrheit zu ringen? Die der Lüge lebten,
einen andern Schein um ihr Sein woben, — hatte ſie
nicht beobachtet, daß grade dieſe vom Glück ange¬
ſtrahlt waren, geſucht, geſchätzt, anerkannt, ſelbſt von
denen, welche ſie durch und durch erkannten! Die
dagegen kein Aushängeſchild über ihr Weſen trugen,
ihre Gedanken rein ausſprachen, grade auf ihr Ziel
losgingen, wo hatten ſie es erreicht, wie wurden
doch ihre Gedanken mißverſtanden, anders ausgelegt,
höchſtens belohnt durch eine laue Anerkennung ihres
redlichen Strebens. Aber hinzugeſetzt ward: ſchade,
damit wird er nie durchdringen. Es hilft der Welt
nichts was er thut. — Was hatte Walter errungen?
— Der arme Walter! Und ſie! — Sie hatte ihn
getäuſcht, ſie täuſchte ihn noch immer fort, ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0090" n="80"/>
zer&#x017F;etzenden Nähe, und etwas davon war in ihr ge¬<lb/>
blieben, es be&#x017F;chwerte ihr Blut, es trübte ihren Blick,<lb/>
der Egoismus des Ver&#x017F;tandes!</p><lb/>
        <p>Und als die&#x017F;e wech&#x017F;elvollen Schick&#x017F;ale wie die<lb/>
Stäubchen im Sonnen&#x017F;trahl vor ihrem inneren Auge<lb/>
wirbelten, hatte &#x017F;ie &#x017F;ich gefragt: warum das Schick¬<lb/>
&#x017F;al &#x017F;o wunderbar mit ihr ge&#x017F;pielt? &#x017F;ie &#x017F;chleudere aus<lb/>
einem Arm in den andern, Men&#x017F;chen und Gewohn¬<lb/>
heiten tau&#x017F;chend, wie die Bilder aus einer Laterna<lb/>
Magica? Ob &#x017F;ie eine be&#x017F;ondere Be&#x017F;timmung habe,<lb/>
indem &#x017F;ie die Men&#x017F;chen in ihrer Schlechtigkeit kennen¬<lb/>
lernen &#x017F;ollte? Eine ent&#x017F;etzliche Frage hatte in dem<lb/>
jungen Herzen angepocht: hat die Natur den Men¬<lb/>
&#x017F;chen auf die Welt ge&#x017F;etzt zur Lüge, oder um nach<lb/>
der Wahrheit zu ringen? Die der Lüge lebten,<lb/>
einen andern Schein um ihr Sein woben, &#x2014; hatte &#x017F;ie<lb/>
nicht beobachtet, daß grade die&#x017F;e vom Glück ange¬<lb/>
&#x017F;trahlt waren, ge&#x017F;ucht, ge&#x017F;chätzt, anerkannt, &#x017F;elb&#x017F;t von<lb/>
denen, welche &#x017F;ie durch und durch erkannten! Die<lb/>
dagegen kein Aushänge&#x017F;child über ihr We&#x017F;en trugen,<lb/>
ihre Gedanken rein aus&#x017F;prachen, grade auf ihr Ziel<lb/>
losgingen, wo hatten &#x017F;ie es erreicht, wie wurden<lb/>
doch ihre Gedanken mißver&#x017F;tanden, anders ausgelegt,<lb/>
höch&#x017F;tens belohnt durch eine laue Anerkennung ihres<lb/>
redlichen Strebens. Aber hinzuge&#x017F;etzt ward: &#x017F;chade,<lb/>
damit wird er nie durchdringen. Es hilft der Welt<lb/>
nichts was er thut. &#x2014; Was hatte Walter errungen?<lb/>
&#x2014; Der arme Walter! Und &#x017F;ie! &#x2014; Sie hatte ihn<lb/>
getäu&#x017F;cht, &#x017F;ie täu&#x017F;chte ihn noch immer fort, &#x017F;ie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0090] zerſetzenden Nähe, und etwas davon war in ihr ge¬ blieben, es beſchwerte ihr Blut, es trübte ihren Blick, der Egoismus des Verſtandes! Und als dieſe wechſelvollen Schickſale wie die Stäubchen im Sonnenſtrahl vor ihrem inneren Auge wirbelten, hatte ſie ſich gefragt: warum das Schick¬ ſal ſo wunderbar mit ihr geſpielt? ſie ſchleudere aus einem Arm in den andern, Menſchen und Gewohn¬ heiten tauſchend, wie die Bilder aus einer Laterna Magica? Ob ſie eine beſondere Beſtimmung habe, indem ſie die Menſchen in ihrer Schlechtigkeit kennen¬ lernen ſollte? Eine entſetzliche Frage hatte in dem jungen Herzen angepocht: hat die Natur den Men¬ ſchen auf die Welt geſetzt zur Lüge, oder um nach der Wahrheit zu ringen? Die der Lüge lebten, einen andern Schein um ihr Sein woben, — hatte ſie nicht beobachtet, daß grade dieſe vom Glück ange¬ ſtrahlt waren, geſucht, geſchätzt, anerkannt, ſelbſt von denen, welche ſie durch und durch erkannten! Die dagegen kein Aushängeſchild über ihr Weſen trugen, ihre Gedanken rein ausſprachen, grade auf ihr Ziel losgingen, wo hatten ſie es erreicht, wie wurden doch ihre Gedanken mißverſtanden, anders ausgelegt, höchſtens belohnt durch eine laue Anerkennung ihres redlichen Strebens. Aber hinzugeſetzt ward: ſchade, damit wird er nie durchdringen. Es hilft der Welt nichts was er thut. — Was hatte Walter errungen? — Der arme Walter! Und ſie! — Sie hatte ihn getäuſcht, ſie täuſchte ihn noch immer fort, ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/90
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/90>, abgerufen am 10.05.2024.