Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

bei denen, die wir kennen, der Notar und der Geist¬
liche das Werkzeug waren. Wir leben auf dieser
Erde, mein Herr. Ihre dämonischen Säfte, ihr Athem
zuckt in unserm Blute, und ihr Princip ist: tödten, in¬
dem wir nach Luft und Leben ringen. Ihre Rechts¬
gelehrten sprechen ja wohl von dem Recht der Noth,
wonach von zwei Schiffbrüchigen auf einem Brett
der schlauere und stärkere den andern hinabstoßen
darf. Die Thoren nennen es einen Ausnahme¬
fall. Es ist die Regel, das Naturgesetz, danach leben
Könige und Völker, es gilt allüberall, wo die heiße
Sonne auf das blasse Elend scheint, und der blasse
Mond spöttisch über die Seufzer lächelt, die aus der
heißen Brust zu ihm aufsteigen. Oder gehören Sie
zu denen, die das Brett loslassen, und sich von der
Welle fortspülen lassen, damit die Creatur am an¬
dern Ende, der edle Nebenmensch, gerettet wird?"

"Ich ward noch nicht in die Versuchung geführt."

"Wenigstens ehrlich!" lachte die Geheimräthin.
Nein, nur halb ehrlich! Die kleinen Versuchungen,
wo Sie unterlagen, haben Sie aus Schonung gegen
sich selbst vergessen. Sie zittern nur vor den gro¬
ßen, die noch kommen."

"Ich will sie abwarten."

"Mit der Miene eines Stoikers. Aber ich sehe,
wie der unterdrückte Ehrgeiz, das getäuschte Ver¬
trauen unter den Fältchen Ihrer Stirn kocht. Sie
thun recht daran, Herr van Asten, die Haut recht
glatt zu spannen. Aber mich täuschen Sie nicht, so

bei denen, die wir kennen, der Notar und der Geiſt¬
liche das Werkzeug waren. Wir leben auf dieſer
Erde, mein Herr. Ihre dämoniſchen Säfte, ihr Athem
zuckt in unſerm Blute, und ihr Princip iſt: tödten, in¬
dem wir nach Luft und Leben ringen. Ihre Rechts¬
gelehrten ſprechen ja wohl von dem Recht der Noth,
wonach von zwei Schiffbrüchigen auf einem Brett
der ſchlauere und ſtärkere den andern hinabſtoßen
darf. Die Thoren nennen es einen Ausnahme¬
fall. Es iſt die Regel, das Naturgeſetz, danach leben
Könige und Völker, es gilt allüberall, wo die heiße
Sonne auf das blaſſe Elend ſcheint, und der blaſſe
Mond ſpöttiſch über die Seufzer lächelt, die aus der
heißen Bruſt zu ihm aufſteigen. Oder gehören Sie
zu denen, die das Brett loslaſſen, und ſich von der
Welle fortſpülen laſſen, damit die Creatur am an¬
dern Ende, der edle Nebenmenſch, gerettet wird?“

„Ich ward noch nicht in die Verſuchung geführt.“

„Wenigſtens ehrlich!“ lachte die Geheimräthin.
Nein, nur halb ehrlich! Die kleinen Verſuchungen,
wo Sie unterlagen, haben Sie aus Schonung gegen
ſich ſelbſt vergeſſen. Sie zittern nur vor den gro¬
ßen, die noch kommen.“

„Ich will ſie abwarten.“

„Mit der Miene eines Stoikers. Aber ich ſehe,
wie der unterdrückte Ehrgeiz, das getäuſchte Ver¬
trauen unter den Fältchen Ihrer Stirn kocht. Sie
thun recht daran, Herr van Aſten, die Haut recht
glatt zu ſpannen. Aber mich täuſchen Sie nicht, ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0069" n="59"/>
bei denen, die wir kennen, der Notar und der Gei&#x017F;<lb/>
liche das Werkzeug waren. Wir leben auf die&#x017F;er<lb/>
Erde, mein Herr. Ihre dämoni&#x017F;chen Säfte, ihr Athem<lb/>
zuckt in un&#x017F;erm Blute, und ihr Princip i&#x017F;t: tödten, in¬<lb/>
dem wir nach Luft und Leben ringen. Ihre Rechts¬<lb/>
gelehrten &#x017F;prechen ja wohl von dem Recht der Noth,<lb/>
wonach von zwei Schiffbrüchigen auf einem Brett<lb/>
der &#x017F;chlauere und &#x017F;tärkere den andern hinab&#x017F;toßen<lb/>
darf. Die Thoren nennen es einen Ausnahme¬<lb/>
fall. Es i&#x017F;t die Regel, das Naturge&#x017F;etz, danach leben<lb/>
Könige und Völker, es gilt allüberall, wo die heiße<lb/>
Sonne auf das bla&#x017F;&#x017F;e Elend &#x017F;cheint, und der bla&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Mond &#x017F;pötti&#x017F;ch über die Seufzer lächelt, die aus der<lb/>
heißen Bru&#x017F;t zu ihm auf&#x017F;teigen. Oder gehören Sie<lb/>
zu denen, die das Brett losla&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;ich von der<lb/>
Welle fort&#x017F;pülen la&#x017F;&#x017F;en, damit die Creatur am an¬<lb/>
dern Ende, der edle Nebenmen&#x017F;ch, gerettet wird?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich ward noch nicht in die Ver&#x017F;uchung geführt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wenig&#x017F;tens ehrlich!&#x201C; lachte die Geheimräthin.<lb/>
Nein, nur halb ehrlich! Die kleinen Ver&#x017F;uchungen,<lb/>
wo Sie unterlagen, haben Sie aus Schonung gegen<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t verge&#x017F;&#x017F;en. Sie zittern nur vor den gro¬<lb/>
ßen, die noch kommen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich will &#x017F;ie abwarten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mit der Miene eines Stoikers. Aber ich &#x017F;ehe,<lb/>
wie der unterdrückte Ehrgeiz, das getäu&#x017F;chte Ver¬<lb/>
trauen unter den Fältchen Ihrer Stirn kocht. Sie<lb/>
thun recht daran, Herr van A&#x017F;ten, die Haut recht<lb/>
glatt zu &#x017F;pannen. Aber mich täu&#x017F;chen Sie nicht, &#x017F;o<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0069] bei denen, die wir kennen, der Notar und der Geiſt¬ liche das Werkzeug waren. Wir leben auf dieſer Erde, mein Herr. Ihre dämoniſchen Säfte, ihr Athem zuckt in unſerm Blute, und ihr Princip iſt: tödten, in¬ dem wir nach Luft und Leben ringen. Ihre Rechts¬ gelehrten ſprechen ja wohl von dem Recht der Noth, wonach von zwei Schiffbrüchigen auf einem Brett der ſchlauere und ſtärkere den andern hinabſtoßen darf. Die Thoren nennen es einen Ausnahme¬ fall. Es iſt die Regel, das Naturgeſetz, danach leben Könige und Völker, es gilt allüberall, wo die heiße Sonne auf das blaſſe Elend ſcheint, und der blaſſe Mond ſpöttiſch über die Seufzer lächelt, die aus der heißen Bruſt zu ihm aufſteigen. Oder gehören Sie zu denen, die das Brett loslaſſen, und ſich von der Welle fortſpülen laſſen, damit die Creatur am an¬ dern Ende, der edle Nebenmenſch, gerettet wird?“ „Ich ward noch nicht in die Verſuchung geführt.“ „Wenigſtens ehrlich!“ lachte die Geheimräthin. Nein, nur halb ehrlich! Die kleinen Verſuchungen, wo Sie unterlagen, haben Sie aus Schonung gegen ſich ſelbſt vergeſſen. Sie zittern nur vor den gro¬ ßen, die noch kommen.“ „Ich will ſie abwarten.“ „Mit der Miene eines Stoikers. Aber ich ſehe, wie der unterdrückte Ehrgeiz, das getäuſchte Ver¬ trauen unter den Fältchen Ihrer Stirn kocht. Sie thun recht daran, Herr van Aſten, die Haut recht glatt zu ſpannen. Aber mich täuſchen Sie nicht, ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/69
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/69>, abgerufen am 09.05.2024.