Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie wollte aufstehen; sie sank auf's Kanape zurück.

"Mit nichts, als was ich von Ihnen habe,"
sprang es aus der gepreßten Brust.

"Sie meinen die kleine Apotheke, meine Gönnerin,
die ich Ihnen aus Herrn Flittners Apotheke zum Haus¬
bedarf zusammenstellen ließ. Die wird vor jedem Me¬
dicinalcollegium die Prüfung bestehen. Es sind die un¬
schuldigsten Mittel, wenn man sie unschuldig gebraucht.
Freilich, wenn man sich vergreift, dann stehe ich für
nichts. Wasser das beste Heilmittel, man kann auch
mit Wasser ermorden."

Ein zweiter Versuch, aufzuspringen, scheiterte an
der Schwäche ihrer Knie; aber sie lehnte sich zurück
und die Kraft hatte sie gewonnen, ihm starr in's
Gesicht zu sehen. -- O dies unveränderliche Gesicht!
War es auch nur eine Muskelbewegung, die eine Auf¬
regung, Furcht, Schadenfreude, Mitgefühl verrieth! So
hätte er eine Liebeserklärung machen, so ein Todes¬
urtheil aussprechen können. Er erfaßte die Spitze ihrer
Hand: "Verständigen wir uns doch! Das Nothwendige
erkenne ich an. Wo der Bruch da ist, der zur Auflösung
führt, soll der Wahrhaftige nicht Salbe darüber streichen.
Er muß sich in das finden, was nun einmal nicht zu än¬
dern ging; ich kann es auch nicht tadeln, wenn er der
Nothwendigkeit einen Schritt entgegen that. Aber -- "

"Bei allen Mächten, warum foltern Sie mich? - -"

"Opiate, narkotische Mittel, alle Säfte aus Ve¬
getabilien dunsten und verdunsten, wie Veilchen und
Rose duften und verduften. Sie lassen Materielles

Sie wollte aufſtehen; ſie ſank auf's Kanapé zurück.

„Mit nichts, als was ich von Ihnen habe,“
ſprang es aus der gepreßten Bruſt.

„Sie meinen die kleine Apotheke, meine Gönnerin,
die ich Ihnen aus Herrn Flittners Apotheke zum Haus¬
bedarf zuſammenſtellen ließ. Die wird vor jedem Me¬
dicinalcollegium die Prüfung beſtehen. Es ſind die un¬
ſchuldigſten Mittel, wenn man ſie unſchuldig gebraucht.
Freilich, wenn man ſich vergreift, dann ſtehe ich für
nichts. Waſſer das beſte Heilmittel, man kann auch
mit Waſſer ermorden.“

Ein zweiter Verſuch, aufzuſpringen, ſcheiterte an
der Schwäche ihrer Knie; aber ſie lehnte ſich zurück
und die Kraft hatte ſie gewonnen, ihm ſtarr in's
Geſicht zu ſehen. — O dies unveränderliche Geſicht!
War es auch nur eine Muskelbewegung, die eine Auf¬
regung, Furcht, Schadenfreude, Mitgefühl verrieth! So
hätte er eine Liebeserklärung machen, ſo ein Todes¬
urtheil ausſprechen können. Er erfaßte die Spitze ihrer
Hand: „Verſtändigen wir uns doch! Das Nothwendige
erkenne ich an. Wo der Bruch da iſt, der zur Auflöſung
führt, ſoll der Wahrhaftige nicht Salbe darüber ſtreichen.
Er muß ſich in das finden, was nun einmal nicht zu än¬
dern ging; ich kann es auch nicht tadeln, wenn er der
Nothwendigkeit einen Schritt entgegen that. Aber — “

„Bei allen Mächten, warum foltern Sie mich? – –“

„Opiate, narkotiſche Mittel, alle Säfte aus Ve¬
getabilien dunſten und verdunſten, wie Veilchen und
Roſe duften und verduften. Sie laſſen Materielles

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0351" n="341"/>
        <p>Sie wollte auf&#x017F;tehen; &#x017F;ie &#x017F;ank auf's Kanap<hi rendition="#aq">é</hi> zurück.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mit nichts, als was ich von Ihnen habe,&#x201C;<lb/>
&#x017F;prang es aus der gepreßten Bru&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie meinen die kleine Apotheke, meine Gönnerin,<lb/>
die ich Ihnen aus Herrn Flittners Apotheke zum Haus¬<lb/>
bedarf zu&#x017F;ammen&#x017F;tellen ließ. Die wird vor jedem Me¬<lb/>
dicinalcollegium die Prüfung be&#x017F;tehen. Es &#x017F;ind die un¬<lb/>
&#x017F;chuldig&#x017F;ten Mittel, wenn man &#x017F;ie un&#x017F;chuldig gebraucht.<lb/>
Freilich, wenn man &#x017F;ich vergreift, dann &#x017F;tehe ich für<lb/>
nichts. Wa&#x017F;&#x017F;er das be&#x017F;te Heilmittel, man kann auch<lb/>
mit Wa&#x017F;&#x017F;er ermorden.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ein zweiter Ver&#x017F;uch, aufzu&#x017F;pringen, &#x017F;cheiterte an<lb/>
der Schwäche ihrer Knie; aber &#x017F;ie lehnte &#x017F;ich zurück<lb/>
und die Kraft hatte &#x017F;ie gewonnen, ihm &#x017F;tarr in's<lb/>
Ge&#x017F;icht zu &#x017F;ehen. &#x2014; O dies unveränderliche Ge&#x017F;icht!<lb/>
War es auch nur eine Muskelbewegung, die eine Auf¬<lb/>
regung, Furcht, Schadenfreude, Mitgefühl verrieth! So<lb/>
hätte er eine Liebeserklärung machen, &#x017F;o ein Todes¬<lb/>
urtheil aus&#x017F;prechen können. Er erfaßte die Spitze ihrer<lb/>
Hand: &#x201E;Ver&#x017F;tändigen wir uns doch! Das Nothwendige<lb/>
erkenne ich an. Wo der Bruch da i&#x017F;t, der zur Auflö&#x017F;ung<lb/>
führt, &#x017F;oll der Wahrhaftige nicht Salbe darüber &#x017F;treichen.<lb/>
Er muß &#x017F;ich in das finden, was nun einmal nicht zu än¬<lb/>
dern ging; ich kann es auch nicht tadeln, wenn er der<lb/>
Nothwendigkeit einen Schritt entgegen that. Aber &#x2014; &#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Bei allen Mächten, warum foltern Sie mich? &#x2013; &#x2013;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Opiate, narkoti&#x017F;che Mittel, alle Säfte aus Ve¬<lb/>
getabilien dun&#x017F;ten und verdun&#x017F;ten, wie Veilchen und<lb/>
Ro&#x017F;e duften und verduften. Sie la&#x017F;&#x017F;en Materielles<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[341/0351] Sie wollte aufſtehen; ſie ſank auf's Kanapé zurück. „Mit nichts, als was ich von Ihnen habe,“ ſprang es aus der gepreßten Bruſt. „Sie meinen die kleine Apotheke, meine Gönnerin, die ich Ihnen aus Herrn Flittners Apotheke zum Haus¬ bedarf zuſammenſtellen ließ. Die wird vor jedem Me¬ dicinalcollegium die Prüfung beſtehen. Es ſind die un¬ ſchuldigſten Mittel, wenn man ſie unſchuldig gebraucht. Freilich, wenn man ſich vergreift, dann ſtehe ich für nichts. Waſſer das beſte Heilmittel, man kann auch mit Waſſer ermorden.“ Ein zweiter Verſuch, aufzuſpringen, ſcheiterte an der Schwäche ihrer Knie; aber ſie lehnte ſich zurück und die Kraft hatte ſie gewonnen, ihm ſtarr in's Geſicht zu ſehen. — O dies unveränderliche Geſicht! War es auch nur eine Muskelbewegung, die eine Auf¬ regung, Furcht, Schadenfreude, Mitgefühl verrieth! So hätte er eine Liebeserklärung machen, ſo ein Todes¬ urtheil ausſprechen können. Er erfaßte die Spitze ihrer Hand: „Verſtändigen wir uns doch! Das Nothwendige erkenne ich an. Wo der Bruch da iſt, der zur Auflöſung führt, ſoll der Wahrhaftige nicht Salbe darüber ſtreichen. Er muß ſich in das finden, was nun einmal nicht zu än¬ dern ging; ich kann es auch nicht tadeln, wenn er der Nothwendigkeit einen Schritt entgegen that. Aber — “ „Bei allen Mächten, warum foltern Sie mich? – –“ „Opiate, narkotiſche Mittel, alle Säfte aus Ve¬ getabilien dunſten und verdunſten, wie Veilchen und Roſe duften und verduften. Sie laſſen Materielles

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/351
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/351>, abgerufen am 05.05.2024.