Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Wirklich, Angelika -- das waren andre Zeiten, andre
Genüsse, voller Empfindung, Sympathieen, Leiden¬
schaften. Was ist es jetzt? Asche! Damals glühende
Kohlen! Calculatorische Geschäfte! Wo sind Deine
süß schmollenden Lippen, meine Molly? So etwas
giebt es nicht mehr. Deine ängstlichen Blicke, als
Du die Chocolate trankst, ich mußte vorher nippen,
und dann, o das war Wonne! O und Du, meine
Angelika, Du hattest nicht genippt. Fest mich an¬
blickend, ohne Angst, Vorwurf, nur das tiefe See¬
lenverständniß im Auge, leertest Du die Schaale, und
drücktest mit der feuchten kalten Hand meine. Du
hattest mich verstanden, ich Dich. Ils sont passes,
ces jours de fete!"

"Schönen guten Morgen, mein lieber Herr Ge¬
heimer Legationsrath!" unterbrach eine heisere Ba߬
stimme diese Schwärmereien des Einsamen, und vor
ihm stand der Kaufmann van Asten.

Es war so, -- keine Erscheinung der Traum¬
welt. Der alte van Asten war der letzte Mann, der
in ein Traumgewebe gepaßt hätte. Trotz seiner schwe¬
ren rindsledernen Schnallenschuhe war er unbemerkt
durch die beiden Zimmer gekommen, und drückte jetzt
die Thür hinter sich zu, während dem Legationsrath
die Binde vom Kinn rutschte, und er, aufspringend,
an der Lehne des Stuhles sich hielt.

"Na wie geht's Ihnen denn, mein lieber Herr
von Wandel. Haben sich ja so lange nicht sehen
lassen. Ist das Freundschaft?"

IV. 20

Wirklich, Angelika — das waren andre Zeiten, andre
Genüſſe, voller Empfindung, Sympathieen, Leiden¬
ſchaften. Was iſt es jetzt? Aſche! Damals glühende
Kohlen! Calculatoriſche Geſchäfte! Wo ſind Deine
ſüß ſchmollenden Lippen, meine Molly? So etwas
giebt es nicht mehr. Deine ängſtlichen Blicke, als
Du die Chocolate trankſt, ich mußte vorher nippen,
und dann, o das war Wonne! O und Du, meine
Angelika, Du hatteſt nicht genippt. Feſt mich an¬
blickend, ohne Angſt, Vorwurf, nur das tiefe See¬
lenverſtändniß im Auge, leerteſt Du die Schaale, und
drückteſt mit der feuchten kalten Hand meine. Du
hatteſt mich verſtanden, ich Dich. Ils sont passés,
ces jours de fête!“

„Schönen guten Morgen, mein lieber Herr Ge¬
heimer Legationsrath!“ unterbrach eine heiſere Ba߬
ſtimme dieſe Schwärmereien des Einſamen, und vor
ihm ſtand der Kaufmann van Aſten.

Es war ſo, — keine Erſcheinung der Traum¬
welt. Der alte van Aſten war der letzte Mann, der
in ein Traumgewebe gepaßt hätte. Trotz ſeiner ſchwe¬
ren rindsledernen Schnallenſchuhe war er unbemerkt
durch die beiden Zimmer gekommen, und drückte jetzt
die Thür hinter ſich zu, während dem Legationsrath
die Binde vom Kinn rutſchte, und er, aufſpringend,
an der Lehne des Stuhles ſich hielt.

„Na wie geht's Ihnen denn, mein lieber Herr
von Wandel. Haben ſich ja ſo lange nicht ſehen
laſſen. Iſt das Freundſchaft?“

IV. 20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0315" n="305"/>
Wirklich, Angelika &#x2014; das waren andre Zeiten, andre<lb/>
Genü&#x017F;&#x017F;e, voller Empfindung, Sympathieen, Leiden¬<lb/>
&#x017F;chaften. Was i&#x017F;t es jetzt? A&#x017F;che! Damals glühende<lb/>
Kohlen! Calculatori&#x017F;che Ge&#x017F;chäfte! Wo &#x017F;ind Deine<lb/>
&#x017F;üß &#x017F;chmollenden Lippen, meine Molly? So etwas<lb/>
giebt es nicht mehr. Deine äng&#x017F;tlichen Blicke, als<lb/>
Du die Chocolate trank&#x017F;t, ich mußte vorher nippen,<lb/>
und dann, o das war Wonne! O und Du, meine<lb/>
Angelika, Du hatte&#x017F;t nicht genippt. Fe&#x017F;t mich an¬<lb/>
blickend, ohne Ang&#x017F;t, Vorwurf, nur das tiefe See¬<lb/>
lenver&#x017F;tändniß im Auge, leerte&#x017F;t Du die Schaale, und<lb/>
drückte&#x017F;t mit der feuchten kalten Hand meine. Du<lb/>
hatte&#x017F;t mich ver&#x017F;tanden, ich Dich. <hi rendition="#aq">Ils sont passés</hi>,<lb/><hi rendition="#aq">ces jours de fête</hi>!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Schönen guten Morgen, mein lieber Herr Ge¬<lb/>
heimer Legationsrath!&#x201C; unterbrach eine hei&#x017F;ere Ba߬<lb/>
&#x017F;timme die&#x017F;e Schwärmereien des Ein&#x017F;amen, und vor<lb/>
ihm &#x017F;tand der Kaufmann van A&#x017F;ten.</p><lb/>
        <p>Es war &#x017F;o, &#x2014; keine Er&#x017F;cheinung der Traum¬<lb/>
welt. Der alte van A&#x017F;ten war der letzte Mann, der<lb/>
in ein Traumgewebe gepaßt hätte. Trotz &#x017F;einer &#x017F;chwe¬<lb/>
ren rindsledernen Schnallen&#x017F;chuhe war er unbemerkt<lb/>
durch die beiden Zimmer gekommen, und drückte jetzt<lb/>
die Thür hinter &#x017F;ich zu, während dem Legationsrath<lb/>
die Binde vom Kinn rut&#x017F;chte, und er, auf&#x017F;pringend,<lb/>
an der Lehne des Stuhles &#x017F;ich hielt.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Na wie geht's Ihnen denn, mein lieber Herr<lb/>
von Wandel. Haben &#x017F;ich ja &#x017F;o lange nicht &#x017F;ehen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. I&#x017F;t das Freund&#x017F;chaft?&#x201C;<lb/></p>
        <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">IV</hi>. 20<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[305/0315] Wirklich, Angelika — das waren andre Zeiten, andre Genüſſe, voller Empfindung, Sympathieen, Leiden¬ ſchaften. Was iſt es jetzt? Aſche! Damals glühende Kohlen! Calculatoriſche Geſchäfte! Wo ſind Deine ſüß ſchmollenden Lippen, meine Molly? So etwas giebt es nicht mehr. Deine ängſtlichen Blicke, als Du die Chocolate trankſt, ich mußte vorher nippen, und dann, o das war Wonne! O und Du, meine Angelika, Du hatteſt nicht genippt. Feſt mich an¬ blickend, ohne Angſt, Vorwurf, nur das tiefe See¬ lenverſtändniß im Auge, leerteſt Du die Schaale, und drückteſt mit der feuchten kalten Hand meine. Du hatteſt mich verſtanden, ich Dich. Ils sont passés, ces jours de fête!“ „Schönen guten Morgen, mein lieber Herr Ge¬ heimer Legationsrath!“ unterbrach eine heiſere Ba߬ ſtimme dieſe Schwärmereien des Einſamen, und vor ihm ſtand der Kaufmann van Aſten. Es war ſo, — keine Erſcheinung der Traum¬ welt. Der alte van Aſten war der letzte Mann, der in ein Traumgewebe gepaßt hätte. Trotz ſeiner ſchwe¬ ren rindsledernen Schnallenſchuhe war er unbemerkt durch die beiden Zimmer gekommen, und drückte jetzt die Thür hinter ſich zu, während dem Legationsrath die Binde vom Kinn rutſchte, und er, aufſpringend, an der Lehne des Stuhles ſich hielt. „Na wie geht's Ihnen denn, mein lieber Herr von Wandel. Haben ſich ja ſo lange nicht ſehen laſſen. Iſt das Freundſchaft?“ IV. 20

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/315
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/315>, abgerufen am 11.05.2024.