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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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Die Fürstin sah über die Arbeit starr vor sich
hin: "Es ist etwas eigenes, das Kapitel von den
Sympathieen und Antipathieen."

"Von den Sympathieen haben wir das corpus
delicti
vor uns," lächelte Wandel, auf das Liebes¬
paar blickend.

"Aber die Antipathieen haben etwas Monströses,
sagte die Gargazin, weil wir sie mit allem Ver¬
stande uns nicht zu erklären wissen. Giebt es einen
Gegensatz zum Magnet, einen Stein, der abstößt?"

"Feuer und Wasser mischen sich nicht."

"Das ist es nicht, was ich meine. Das eine
löscht doch, das andere durchglüht das andere. Aber
wer erklärt diese innere Seelen- und Körperangst, die
ein vernünftiges Wesen oft vom ersten Erblicken an
gegen das andere empfindet? den angebornen
Widerwillen, den geheimen Schauder, wo gar kein
vernünftiger Grund da ist?"

"Doch vielleicht der Kitzel zu Paradoxieen! Das
häßlich zu finden, was Andre entzückt, fordert der
Widerspruchsgeist von selbst auf, der gerade begabten
Naturen eigen ist."

"Warum fürchtet sich Haugwitz vor Ihnen?"

Wandel schien etwas betroffen. Er wollte von
dem Unglück sprechen, von geheimen Feinden ver¬
redet zu werden, wo ein Ehrenmann sich nicht ver¬
theidigen kann, weil ihm die Anklage selbst unbekannt
blieb. Das war es nicht, was die Fürstin meinte.

"Warum hat Louis Vater einen angebornen

Die Fürſtin ſah über die Arbeit ſtarr vor ſich
hin: „Es iſt etwas eigenes, das Kapitel von den
Sympathieen und Antipathieen.“

„Von den Sympathieen haben wir das corpus
delicti
vor uns,“ lächelte Wandel, auf das Liebes¬
paar blickend.

„Aber die Antipathieen haben etwas Monſtröſes,
ſagte die Gargazin, weil wir ſie mit allem Ver¬
ſtande uns nicht zu erklären wiſſen. Giebt es einen
Gegenſatz zum Magnet, einen Stein, der abſtößt?“

„Feuer und Waſſer miſchen ſich nicht.“

„Das iſt es nicht, was ich meine. Das eine
löſcht doch, das andere durchglüht das andere. Aber
wer erklärt dieſe innere Seelen- und Körperangſt, die
ein vernünftiges Weſen oft vom erſten Erblicken an
gegen das andere empfindet? den angebornen
Widerwillen, den geheimen Schauder, wo gar kein
vernünftiger Grund da iſt?“

„Doch vielleicht der Kitzel zu Paradoxieen! Das
häßlich zu finden, was Andre entzückt, fordert der
Widerſpruchsgeiſt von ſelbſt auf, der gerade begabten
Naturen eigen iſt.“

„Warum fürchtet ſich Haugwitz vor Ihnen?“

Wandel ſchien etwas betroffen. Er wollte von
dem Unglück ſprechen, von geheimen Feinden ver¬
redet zu werden, wo ein Ehrenmann ſich nicht ver¬
theidigen kann, weil ihm die Anklage ſelbſt unbekannt
blieb. Das war es nicht, was die Fürſtin meinte.

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[264/0274] Die Fürſtin ſah über die Arbeit ſtarr vor ſich hin: „Es iſt etwas eigenes, das Kapitel von den Sympathieen und Antipathieen.“ „Von den Sympathieen haben wir das corpus delicti vor uns,“ lächelte Wandel, auf das Liebes¬ paar blickend. „Aber die Antipathieen haben etwas Monſtröſes, ſagte die Gargazin, weil wir ſie mit allem Ver¬ ſtande uns nicht zu erklären wiſſen. Giebt es einen Gegenſatz zum Magnet, einen Stein, der abſtößt?“ „Feuer und Waſſer miſchen ſich nicht.“ „Das iſt es nicht, was ich meine. Das eine löſcht doch, das andere durchglüht das andere. Aber wer erklärt dieſe innere Seelen- und Körperangſt, die ein vernünftiges Weſen oft vom erſten Erblicken an gegen das andere empfindet? den angebornen Widerwillen, den geheimen Schauder, wo gar kein vernünftiger Grund da iſt?“ „Doch vielleicht der Kitzel zu Paradoxieen! Das häßlich zu finden, was Andre entzückt, fordert der Widerſpruchsgeiſt von ſelbſt auf, der gerade begabten Naturen eigen iſt.“ „Warum fürchtet ſich Haugwitz vor Ihnen?“ Wandel ſchien etwas betroffen. Er wollte von dem Unglück ſprechen, von geheimen Feinden ver¬ redet zu werden, wo ein Ehrenmann ſich nicht ver¬ theidigen kann, weil ihm die Anklage ſelbſt unbekannt blieb. Das war es nicht, was die Fürſtin meinte. „Warum hat Louis Vater einen angebornen

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/274>, abgerufen am 12.05.2024.